Tirols türkischstämmiger Hüttenwirt: „Griaß enk, i bin da Kemal“
Ganz schön steil ist die Piste, die an der Alpenrosenhütte im Skigebiet von Westendorf in Tirol vorbeiführt. Und in einem eher schneearmen Winter wie diesem auch ganz schön eisig. Wer sich zu sehr darauf konzentrieren muss, dass er mit den Brettern nicht verkantet, könnte glatt am auf 1.555 Metern Höhe gelegenen Schutzhaus des Alpenvereins vorbeirutschen.
Das wäre allerdings ein bisschen schade. Denn erstens würde man dann den Eine-Million-Euro-Ausblick von der Terrasse auf die umliegenden Gipfel verpassen. Zweitens die deftigen Tiroler Gröstl und Kaspressknödel. Und drittens den Kemal.
Genau: Der Hüttenwirt heißt nicht Sepp oder Franz, sondern Kemal Akcay. Der gebürtige Türke ist hier oben der Chef. Zuvor war er viele Jahre Kellner auf der Hütte, bis sein Vorgänger 2010 in Pension ging. Die Sektion hätte damals am liebsten wieder einen Einheimischen als Pächter verpflichtet, doch der lehnte ab.
Die Stelle wurde ausgeschrieben, vierundzwanzig bewarben sich, Kemal machte das Rennen. „Es hat nie eine Rolle gespielt, dass Kemal türkische Wurzeln hat“, betont Harald Graß von der zuständigen DAV-Sektion Schorndorf: „Er kann gut mit den Gästen und ist fleißig. Das allein zählt.“
Dennoch ist Kemal in den 323 öffentlich zugänglichen Schutzhütten des Deutschen Alpenvereins DAV, von denen viele in Österreich liegen, eine Ausnahme. Wahrscheinlich sogar der einzige türkischstämmige Wirt. Ganz allgemein scheint Bergsport nicht der Türken liebster Zeitvertreib zu sein, zumindest nicht in den Alpen, denn in Kleinasien selbst existiert eine sehr rege Szene.
In Lederhosen und Dirndl
Kemal scheint ein so seltenes Exemplar zu sein wie Lilium martagon. Die Wildblume wird im Volksmund schlicht Türkenbund genannt, in Anspielung an das türkische Wort für Turban, an den die zurückgeschlagenen Blütenblätter erinnern. Die Türkenbundlilie ist in Tirol laut Naturschutzverordnung gänzlich geschützt, Pflücken verboten.
Kemal lacht, wenn man ihn darauf anspricht. Ja, auch er ist eine Rarität. Er weiß das. Er macht gern mit, wenn man ihn als Musterbeispiel gelungener Integration ins Rampenlicht schiebt. Als 2016 die für 1,5 Millionen Euro neugebaute Hütte eingeweiht wurde, berichtete die Schorndorfer Lokalzeitung groß darüber: Auf dem Foto vor dem Schutzhaus posieren Kemal, Sohn Atakan, seine Frau Selma und die beiden Zwillingstöchter Aleyna und Alara in Lederhosen und Dirndl.
Vollintegrierter Obstbrand
Alle fünf Akcays haben einen österreichischen Pass. Kemal und Sohn Atakan tragen rot-weiß-karierte Hemden im Dienst, mit den jetzt am Vormittag zur Hütte hereinschneienden Einheimischen reden sie Tirolerisch. Türkische Spezialitäten wollen sie nicht anbieten, das passe nicht zu einer Berghütte.
Einen Obstbrand, den Kemal Stammgästen oft auf Kosten des Hauses einschenkt, trinkt er schon mal selbst mit. Und trotzdem sagt er: „Wir werden von Österreichern nicht als Österreicher und von Türken nicht als Türken angesehen.“ Soziologen nennen sie „die Zerrissenen“.
Dabei ist Kemal kein typisches Gastarbeiterkind dritter Generation. Seine Familie stammt aus der Schwarzmeer-Provinz Ordu, doch er ging früh nach Istanbul, wo er als Maurer arbeitete und seine Frau Selma kennenlernte, die in derselben Firma tätig war. 1988 folgte er seinem Bruder nach Österreich. Selma kam später nach, 1993 heirateten sie. Alle drei Kinder sind in Tirol geboren.
Die Familie lebt in Kufstein in einer eigenen Wohnung, am Wochenende treffen sich alle auf der Hütte. Zu Hause sprechen sie Türkisch, die Töchter gehen aufs Gymnasium, Sohn Atakan hat Matura und später eine Lehre als Bürokaufmann abgeschlossen. Er will studieren, sieht seine Zukunft nicht als Hüttenwirt.
Heimat - ein schwieriges Thema
Kemal serviert paniertes Schweineschnitzel und isst es auch selbst, obwohl seine Religion der Islam ist. Er ist nicht so streng, bedauert aber ein bisschen, dass der Freitag kein Ruhetag ist, auf der Hütte dann meistens sogar Hochbetrieb herrscht: „Ist halt so. Wir können hier oben auch nicht fasten an Ramadan.“
Natürlich fährt die Familie im Winter Ski, wie es sich für ordentliche Österreicher gehört. Ja, die Akcays sind „vollintegriert“, wie ein Schorndorfer DAV-Mitglied sagt, auch wenn das ein Begriff ist, der bei Google in erster Linie im Zusammenhang mit Waschmaschinen auftaucht. Dennoch gibt Kemal zu: „Heimat ist ein schwieriges Thema. Das ist schon immer noch die Türkei. Na ja, zur Hälfte auch Tirol.“
Meist sei der Alltag aber viel zu hektisch, um intensiv darüber nachzudenken. „Ich bin Chef von zwölf Angestellten“, erklärt Kemal. „Wir managen 3.500 Übernachtungen im Jahr. Unser Arbeitstag hat sechzehn Stunden.“ Kaum Zeit zum Grübeln.
Klimafreundliche Anreise
Mit dem Railjet nach Wörgl, dann mit Regionalbahn oder Bus nach Westendorf.
Die Alpenrosenhütte
Nachtsöllberg 93,
6363 Westendorf,
ab 18 € p.P./N.,
Tel. +43 5334/64 88,
alpenrosenhuette.de
Zustieg
Im Winter Zufahrt mit Ski von der Bergstation Talkaser über die Alpenrosen-Abfahrt.
Im Sommer über den Wanderweg vom Parkplatz der Alpenrosen- Bahn auf den „Wohlfühlweg“, bis zur Alpenrosenhütte. Gehzeit ca. 2,5 Std.
Allgemeine Infos gibt es unter kitzbueheler-alpen.com und skiwelt.at