Leben/Gesellschaft

Gletscher und Eisschilde schmelzen besorgniserregend schnell

Weltweit gibt es rund 200.000 größere Gletscher, die rund 98% der Gletscherfläche der Erde ausmachen. Das ist das Ergebnis des ersten global vollständigen Gletscher-Erhebung, das der Innsbrucker Glaziologe Georg Kaser mit einem internationalen Wissenschaftler-Team in zweijähriger Auswertung von Satellitenkarten erstellt hat – eine "Mammutaufgabe". Wissenschaftlich ergiebiger als die Zahl der Gletscher sind Informationen über die Flächenausdehnung sowie die Lage und Höhen-Erstreckung der einzelnen Gletscher. "Das neue Inventar ermöglicht, viel präziser als bisher zu bestimmen, wie viel Wasser aus den Gletschern in die Meere rinnt und wie viel noch gespeichert ist", erläutert Kaser.

KURIER: Herr Prof. Kaser, was nützt ein Gletscher-Inventar?

Glaziologe Georg Kaser
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/Universität Innsbruck
Georg Kaser, Glaziologe…
Georg Kaser, Glaziologe
Georg Kaser: Mit dem Gletscher-Inventar haben wir einen großen Schritt gemacht. Wir können jetzt praktisch für jeden Gletscher der Erde simulieren, welche Folgen klimatische Veränderungen haben. Wir wissen jetzt auch, dass in Summe weniger Wasser in den Gletschern gespeichert ist, als wir noch vor fünf Jahren angenommen hatten. Es ist etwas weniger als ein m Meeresspiegel-Äquivalent (die Meere würden um diesen Betrag ansteigen, wenn die Gletscher komplett abschmelzen, Anm.). Das ist für den momentanen Meeresspiegelanstieg nicht unmittelbar von Relevanz, es wird aber im Laufe des nächsten Jahrhunderts wirksam werden, wenn sich die Gletscher stark verkleinern werden und damit ihr Beitrag zum Meeresspiegelanstieg stetig abnehmen wird.

Wie viel tragen die Gletscher zum Meeresspiegelanstieg bei?
Rund 1 Millimeter von 3,2 beobachteten im Jahr kommt zurzeit von den Gletschern. Wenn wir alle bekannten Beiträge zum Meeresspiegelanstieg – Gletscher, Eisschilde, thermische Ausdehnung des Meerwassers, Grundwasserentnahme – zusammenzählen, dann kommen wir aber nicht ganz auf den beobachteten Anstieg. Rund 0,3 von den 3,2 mm pro Jahr sind nicht erklärt. Der Fehlbetrag könnte u. a. aus der mangelhaften Kenntnis der Erwärmung tiefer Meeresschichten stammen.

Werden wir weite Teile der Erdoberfläche ans Meer verlieren?
Das passiert langsam, aber kontinuierlich und es ist nicht so sehr das Überfluten von Landmassen, das in naher Zukunft das größte Problem ist. Wenn der Meeresspiegel, wie erwartet, in den kommenden Jahrzehnten ein paar Dezimeter ansteigt, wird durch Überflutung und durch Küstenerosion wohl auch Land verloren gehen. Vor allem aber wird im Bereich großer, dicht besiedelter Flussmündungen wie dem Nil-Delta oder dem Mündungsgebiet des Irrawaddy das Grundwasser weit landeinwärts versalzen und unbrauchbar werden. Der Meeresspiegel steigt außerdem nicht überall gleich. Es gibt Gegenden, wo er leicht sinkt, etwa im Ostpazifik vor Kalifornien. Die größten Anstiege sind zurzeit im Westpazifik – in Südostasien bis zu 14 mm pro Jahr – zu beobachten. Künftig werden die größten Anstiege in den niederen Breiten erwartet.

Die Eisschmelze in der Antarktis ist besorgniserregend und unumkehrbar, sagen US-Forscher. Wie schlimm wird es?
Der momentane Eisverlust des Grönländischen Eisschildes kommt rund zur Hälfte von zunehmendem Schmelzwasser. Der Rest kommt von beschleunigtem Fließen der großen Auslasseisströme (aktueller Rekordhalter ist der grönländische Jakobshavn-Gletscher mit 46 m pro Tag, Anm.). Das ist teilweise auch der zunehmend landeinwärts schreitenden Eisschmelze zuzuschreiben. In der Antarktis findet an der Eisoberfläche kein Schmelzen statt. Dort beobachten wir zurzeit aber ein vermehrtes Abbrechen von Schelfeis (Teile des Eisschildes, die im Meer schwimmen, Anm.). Das Schelfeis wird von wärmeren Meeresströmungen von unten her ausgedünnt und kann dann großflächig wegbrechen. Als Folge werden Beschleunigungen der großen Auslasseisströme beobachtet, was dann zum Meeresspiegelanstieg beiträgt. Einige Teile der Antarktis (der Amundsen / Bellingshausen-Sektor der Westantarktis u. der Wilkens-Sektor der Ostantarktis, Anm.) dürften besonders instabil gegenüber solchen Veränderungen sein. Da steckt also schon Potenzial an drastischen Veränderungen drinnen. Es wird zurzeit sehr intensiv geforscht, um die zugrunde liegenden Prozesse besser verstehen und das Veränderungspotenzial bewerten zu können.

Die Zukunft des Klimaberichts?
Die Fragen, ob es den Klimawandel gibt, und ob er vom Menschen verursacht wird, muss man nicht weiter untersuchen, das ist so. Nach fünf immer größer werdenden IPCC-Berichten stellt sich die Frage, ob dieser Aufwand weiter sinnvoll ist. Vielleicht ist es effizienter, zu den brennendsten Fragen Einzelberichte zu verfassen.

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