Axels Terrasseneintopf: Eine gute Terrasse braucht Brennnesseln
Von Axel Halbhuber
Zuweilen stellen Leserinnen und Leser die Frage, was der große Unterschied zwischen dem Garteln im Freiland und im Topf sei. Dieser Frage braucht man sich gar nicht philosophisch zu nähern – wie der Mensch die Wildnis in einem Gefäß domestiziert, wie er sich ein verkleinertes Abbild der Natur erschafft, und so weiter. Das haben sich in der Gartengeschichte ganze Kulturen (Engländer – ambitioniert, Japaner – perfektioniert) genügend durch den Strohut-bedeckten Kopf gehen lassen.
Für uns Alltagsgartler ist viel wichtiger, wie die Natur im Topf überlebt. Das größte Hindernis ist die Verdichtung der Erde, oder korrekt: des Substrats. Hinter diesem gespreizten Wort steckt die Mischung aller Boden-Bestandteile, von Sand über Rottendes bis zu Stein und Erde. Mit der Zeit verstopfen die kleinsten Teile dieses Gemenges alle Lufträume, weshalb erstens kein Wasser mehr eindringen und abfließen kann, zweitens den Wurzeln die Expansion erschwert wird. In der Natur kümmern sich Mikroorganismen, Würmer und Kleingetier um die Auflockerung. Dem Topf fehlt es an Natur, weshalb Substrat in Kübeln gelockert werden muss. Weil man aber beim Stochern und Harken die Wurzeln erst recht quetscht, mischt der gewiefte Gartler Strukturmaterial ein – von Kokosfasern bis Schafwolle, von Sand bis Gesteine wie Lava, Bims und Perlit. Kann alles nicht gepresst werden, hält also das Erdreich locker.
Die aufmerksame Leserinfragt zurecht: Was hat das alles mit der Brennnessel zu tun? Die Antwort: Wer Natur will, muss auch Brennnessel sagen. Was gäbe es Natürlicheres als eine Pflanze, die in 45 Arten fast auf der ganzen Welt verbreitet ist (nur die Antarktis ist Brennnessel-frei)? Bei uns sind es vor allem vier: die Große und die Kleine Brennnessel, ganz selten die Röhricht- und die Pillen-Brennnessel.
Für uns Natur-Gartler lockt diese Zeigerpflanze (weil sie durch ihre Anwesenheit anzeigt, dass der Boden reich an Stickstoff ist), die Insekten zu unseren Trögen und Töpfen – 50 heimische Raupenarten legen ihre Eier auf ihr ab. Außerdem durchbohrt sie mit ihren starken Wurzeln das Erdreich, womit wir wieder beim lockeren Boden sind.
Wenn man sich für Natur auf Balkon und Terrasse entscheidet, führt der logische Weg von der Brennnessel weiter zur gemischten Naturkiste oder dem -Topf. In dem setzt man die hochwachsenden Nesseln südseitig, damit sie gleich die Nutzpflanzen beschatten kann.
Die verdorrten Stängel aus dem Vorjahr können jetzt zum Saisonstart übrigens gleich in die Erde gearbeitet werden. Ja, erst jetzt! Denn wer schon im Herbst oder Winter alle dürren Pflanzenteile zwickt, nimmt Insekten und Vögeln die Baustoffe im Frühling.
In so eine Naturkiste dürfen auch organische Küchenabfälle, von Eierschale bis Gemüserest. Man nennt das „Einmulchen“ und es funktioniert am besten, wenn ein paar Würmer im Trog wohnen. Die lockern auch wieder die Erde auf. Dazu ein bisschen Naturdünger und bunt befüllen: Anfangs Nutzpflanzen, die schnell wachsen und bald wieder Platz freigeben (z.B. Salat, Radieschen). Daneben etwas, dass diesen Platz eh brauchen wird (z.B. Paradeiser, Kohl). Und dazwischen eine farbenfrohe Blume, die nicht wuchert (z.B. Akelei, Kuhschelle).