Strache in der Ibiza-Villa: "Da war ich überhaupt nicht!"
Von Peter Temel
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Kein Video wurde in Österreich mehr besprochen, zerlegt, auseinandergenommen wie jenes siebenstündige Urlaubsvideo mit Heinz-Christian Strache, das im Mai 2019 die Republik nachhaltig verändern sollte. Laut Corinna Milborn veränderte das Ibiza-Video sogar „den Lauf der Geschichte“ Österreichs.
Drei Jahre nach der Veröffentlichung der berühmt gewordenen Ausschnitte machte die renommierte Fernsehjournalistin nun für Puls24 eine Doku, die tatsächlich einen neuen Dreh präsentierte. Nachdem der ORF zuletzt den „talentierten Herrn Strache“ und den „talentierten Herrn Hessenthaler“ porträtierte, zeigte der Privatsender nun am Jahrestag, dem 17. Mai, „Herr Strache fährt nach Ibiza“. Man sieht also, wie Strache an den Ort des Geschehens zurückreist.
Dass das Wort „talentiert“ hier fehlt, bedeutet nicht, dass Strache gänzlich untalentiert ist. Einmal mehr bedient er seine Lieblingserzählung, dass er unter anderem von einem „mutmaßlichen Drogendealer“ unter Mithilfe des „Gesinnungsjournalismus“ zu Fall gebracht wurde. Er bereue, dass er damals als Parteichef zurückgetreten sei. Den Rücktritt als Vizekanzler hätte er trotzdem gemacht, "um die Regierung zu retten". Obwohl er darauf beharrt, 2017 bei dem Treffen mit der vermeintlichen Oligarchennichte nichts politisch Verwerfliches gesagt zu haben.
Das, was an "Peinlichkeiten" passiert sei, habe er drei Jahre lang (nach Platzen der Affäre) "aufgearbeitet", sagt Strache.
Der Besuch mit Milborn bei der Finca sei auch ein Akt dieser Aufarbeitung, ohne Milborns Idee wäre er nicht mehr dorthin gefahren, meint Strache. Wobei er angibt, nach seinem Rücktritt bereits wieder auf der Insel gewesen zu sein, aber mit seiner Familie. „Wenn man vom Pferd fällt, soll man auch so schnell wie möglich wieder aufsteigen“, argumentiert Strache.
„Willkommen in Ibiza“
Mit „Willkommen in Ibiza“ begrüßt ihn Milborn vor dem Flughafen des Ferienparadieses. Strache vermittelt in der Doku den Eindruck, dass er selbst gar nicht mehr zur „Villa Can Mass“ (klingt irgendwie schon nach „Kameras“) finden würde.
Milborn steuert das Mietauto, der Ritt ins Inselinnere führt durch immer unwegsameres Gelände.
Strache schwärmt von der „wunderschönen Insel, kann man nur jedem empfehlen“.
Vielleicht könnte Strache ja in die Touristikbranche wechseln. Wenn er auch persönliche Führungen anbieten möchte, dann sollte er aber noch an seiner Orientierungssinn arbeiten.
So sagte er zum Beispiel: „Es war ziemlich abgelegen auf alle Fälle. Die Abgelegenheit spricht dafür, dass wir nicht unweit sind.“
Ein interessant gebauter Satz, der mit einer kreativen doppelten Verneinung arbeitet. Aus diesem Material sind gefährliche Aussagen in U-Ausschüssen gebaut.
Bei der Finca angekommen, erweckt Strache dann den Eindruck, als ob er hier noch nie gewesen sei. Erinnerungslücken? Wir kennen das, auch aus U-Ausschüssen.
Strache: „Das ist nicht das Wohnzimmer, in dem wir waren.“
Milborn: „Das ist schon das Wohnzimmer, in dem Sie waren.“
Hüstel … es ist das Wohnzimmer, in dem er war.
„Wirklich wahr? Ganz eigen …“ wundert sich Strache.
„Das erkenne ja sogar ich, Herr Strache“, sagt Milborn.
„Das ist ja so klein! … Ganz, ganz komisch.“
„Na sicher, da sind Sie gesessen, und da ist Herr Gudenus gesessen. Oder?“
Der Dienstagabend ist bei Puls24 ganz im Zeichen des Ibiza-Videos gestanden und hat dem Nachrichtensender erfreuliche Quoten beschert. Mit 5,5 Prozent Marktanteil bei den 12- bis 49-Jährigen lag die zweitstärkste Primetime in der Geschichte des Nachrichtensenders vor. Insgesamt verfolgten 242.000 Zuseherinnen und Zuseher zumindest kurz (weitester Seherkreis) den Abend auf Puls24, der unter anderem die Rückkehr von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nach Ibiza, ein Interview mit dem Drahtzieher des Videos, Julian Hessenthaler, oder auch ein Aufeinandertreffen von Strache mit Johann Gudenus bereithielt. Der Talk "3 Jahre Ibiza", im Zuge dessen "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk, "Profil"-Innenpolitikchefin Eva Linsinger und Puls 24-Chefredakteur Stefan Kaltenbrunner über das Erbe des Ibiza-Videos diskutierten, erreichte durchschnittlich rund 101.000 Zuseher (12+). Aufgrund des für den Privatsender hohen Zuschauerinteresses wird der Ibiza-Themenabend nun am Mittwoch, 18.5., in der Primetime des quotenstärkeren Senders Puls4 wiederholt.
"Nein, das ist völlig falsch!"
„Jetzt muss ich einmal schauen. Da war eine Küche, wo ist die Küche? Nein, das ist falsch, das ist völlig falsch! Da war ich überhaupt nicht. Gibt’s denn das?“
Kommt jetzt die ultimative Verteidigungslinie Straches? Dass in Wirklichkeit ein Doppelgänger von ihm im Juli 2017 an diesem Tisch gesessen ist?
„Mir kommt das jetzt so klein vor. Ich hab‘ da überhaupt keine Erinnerung mehr“, sagt er.
Aber dann kehrt doch langsam die Erinnerung wieder und Strache erklärt die Sitzordnung des unsäglichen Abends: „Da bin ich dann gesessen …“
Er versuche, Erinnerungen zurückzugewinnen, „es kommt mir alles anders vor.“
Strache meint: „Es schaut völlig verrottet aus. Das war damals nicht der Fall.“
Und langsam lenkt er seine Aussagen dort hin, worauf er hinaus will. Irgendwas müsse ihn damals getriggert haben. Weil: „Normalerweise, wenn ich sage, ich geh‘, dann geh ich‘.“
Und er habe an diesem Abend immer wieder den Impuls gehabt, zu gehen.
Milborn kommentiert: „Sie fragen sich jetzt schon, wie Sie darauf hereinfallen könnten ...“
Strache gibt an, an diesem Abend „nur“ Alkohol getrunken zu haben und fügt an: „Ich kenne mich, wenn ich Alkohol trinke.“
Es kommt die wohlbekannte Theorie, wonach ihm etwas in die Drinks gemischt worden sein müsse. Plötzlich spricht er auch von einem "Nebenzimmer" und Aussagen des Slaven K. in diese Richtung.
Andererseits erklärt Strache im Interview auf der Ibiza-Couch wieder einmal im Überfluss, dass er eigentlich überhaupt nix Schlimmes gesagt habe.
Also warum dann die Beimischungs-Theorie, wenn eh alles so harmlos war?
Strache kommt zur ultimativen Essenz: Die-Ibiza-Affäre als "amtlicher Videobeweis dafür, dass ich in einem privaten Urlaub, mit einer Falle, mit Suggestivfragen, mit Alkohol und ich weiß nicht, was da sonst noch eine Rolle gespielt haben könnte - nicht korrupt bin." Viele andere Politiker, "die nicht einmal ein Glasl trinken", würde man in dieser Rolle ganz anders gesehen haben, behauptet er.
"Ich habe mich selbst nicht sehen können“
Wobei das für ihn schon „fürchterliche Bilder“ waren. „Ich habe mich selbst nicht sehen können“, sagt Strache erschüttert.
Und ja, der Ex-Vizekanzler meint damit tatsächlich seine äußere Erscheinung.
Das T-Shirt hat er übrigens noch, er würde es für einen guten Zweck irgendwann versteigern lassen.
Die Strabag, das österreichische Wasser, die Vereinskonstruktionen – das müsse man alles "im Gesamtkontext" betrachten. Die Schilderung der Techniken, die Strache hier wieder einmal anwendet, ersparen wir uns an dieser Stelle.
Sie wollen ohnehin nur wissen, wie das jetzt mit den Zehennägeln war, oder?
Laut dem Fallensteller Julian Hessenthaler, der ebenfalls von Puls24 während seiner Untersuchungshaft interviewt wurde, war es der einzige Punkt, an dem Strache offenbar Verdacht geschöpft habe.
Fußfetisch
„Mir wurde zugetragen, dass Herr Strache einen massiven Fußfetisch pflegt“ behauptet Hessenthaler. „Ich kann versichern, dass die Fußnägel der Oligarchin bei weitem nicht in dem Zustand waren, wie er sie darstellt. Sie war sogar relativ empört darüber, wie sie’s gehört hat, nachher, das kann ich vielleicht verraten. Sie war relativ pikiert, was denn dieser Schwachsinn solle.“
Strache bleibt aber bei seiner Darstellung: „Ich habe ja nie im Leben eine Oligarchin kennengelernt, nur die vermeintliche. Aber eines hab‘ ich mir damals schon gedacht: Eine Person die vorgibt, eine Oligarchin zu sein und so vermögend zu sein, die schaut äußerlich auf sich und die pflegt sich anders. Das waren sehr ungepflegte Zehennägel. Nicht nur, dass der Lack abgesprungen war, das ist noch das geringste. Das war wirklich ungepflegt, da war auch Dreck zu sehen, es war einfach nicht sauber. Da muss man kein Oligarch sein, aber es war sichtbar, das ist kein sauberer Mensch.“
Es lohnt sich, diese Sätze noch einmal genau zu lesen. Hat Strache sich vielleicht damals gedacht: Jemand, der eine Oligarchin spielen würde, hätte das besser vorbereitet und mehr auf die Pediküre geachtet? War das vielleicht sogar der Grund, Vertrauen zu schöpfen und die vermeintliche Oligarchin doch für eine echte zu halten?
Wir wissen es nicht.
Die Macher der Sky-Serie „Die Ibiza-Affäre“ zeigten jedenfalls in einer Szene, wie Hessenthaler und die vermeintliche Oligarchin kurz vor Eintreffen der FPÖ-Granden noch den Garten des Anwesens von Dreck befreit haben, was dem Zustand der Zehennägel der vermeintlichen Oligarchin sicher nicht zuträglich war.
Das Ibiza-Video und seine unglaublichen Zufälle: Auch drei Jahre nach der Veröffentlichung steckt es noch voller Geheimnisse. Was auch die blendende Puls24-Doku wieder einmal gezeigt hat.
TIPP: Hier können Sie die Sendung nachschauen. Puls24 strahlte auch eine Diskussionsrunde mit Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus aus.