Kultur/Medien

ORF-Sportchef hält es mit Bruce Lee: "Sei Wasser"

Der Grand Prix der Steiermark (14.35 Uhr) verheißt am Sonntag erneut Top-Quoten für den ORF. Gleichzeitig ist jedes Rennen dieser Saison auch der Abschied von einem vormals exklusiven Senderecht-Recht im Free-TV. Ein Gespräch mit ORF-Sportchef Hans Peter Trost über den neuen Formel 1-Deal (bis 2023 gültig), über Fernseh-Großereignisse und die Grenzen des Sport-Journalismus.

KURIER: Der ORF zeigt ab 2021 die Formel 1 nur mehr zur Hälfte, die andere sendet ServusTV. Fällt das für Sie nun unter doppelte Freude oder geteiltes Leid?

Angesichts der Rahmenbedingungen freue ich mich für den ORF und natürlich für die Fans. Für diese Einschätzung reicht ein Blick nach Deutschland, wo RTL ausgestiegen ist und nur noch der Pay-TV-Sender Sky überträgt. Es ist also keine Selbstverständlichkeit mehr, dass ein frei empfangbarer Sender – egal ob öffentlich-rechtlich oder privat – hochkarätigen Sport anbieten kann. Das gilt zunehmend auch in Österreich.

Der ORF ist in der Frage der Formel 1-Rechte „aktiv“ auf ServusTV zugegangen, wie dessen Intendant Ferdinand Wegscheider dem KURIER sagte?

Das ist absolut korrekt. Der Abschluss von TV-Sportrechten hat ja einen langen Vorlauf mit Verhandlungen und Gesprächen. Die Situation des ORF ist bekannt – wir müssen jeden Euro nicht nur doppelt, sondern vielfach umdrehen und genau überlegen, wo und wie der Einsatz von Gebührenmitteln vertretbar ist. Man könnte da ja zum Beispiel versuchen, ein Recht exklusiv zu erwerben, was möglicherweise einen langes Wett-Bieten und Hochtreiben von Preisen nach sich zieht. Im Austausch mit der ORF-Geschäftsführung ist klar geworden, dass wir bei der Formel 1 andere Wege überlegen müssen. Da habe ich dann auch keine Berührungsängste, was andere Sender betrifft.

Schon bei den Europa League-Rechten gab es einen Paarlauf mit ServusTV?

Ja, auch das ist richtig und hat mit der skizzierten Situation des ORF zu tun. Dazu kommt, das Comeback eines Sportbewerbs auf einem Sender, wie es die Euro League im ORF ist, ist heutzutage doppelt schwer. Das ist kein Selbstläufer mehr, weil die Menschen ihre Seh-Gewohnheiten haben und sie nicht von einer Woche auf die andere umstellen. Das hat man jetzt auch bei den Live-Spielen der Fußball-Bundesliga im ORF gesehen, die eher zäh verlaufen sind, weil wir sie länger nicht im Programm hatten.

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Welche Auswirkungen hat die Halbierung der Formel 1-Rechte aufs ORF-Team, die Reporter etc.?

Das Team wird sich deshalb nicht ändern, aber wir müssen das Produkt Formel 1 anders denken. Wir werden noch intensiver darüber reden müssen, welche Geschichten wir über Trainings und Rennen hinaus anbieten und wie man mit dem Seher-Flow auf ORF1 umgeht – was natürlich die Aufgabe des Channel-Managements ist. Wir als Sportredaktion werden einfach versuchen dem Publikum  das Beste zu bieten – so wie das war, als wir gegen RTL zu senden hatten oder auch Sky. Heuer sind es jedenfalls insgesamt 50 Stunden Programm aus Spielberg.

Sind Formel E und Extrem E, ab 2021 im ORF, dafür gedacht, die „Motorsport-Lücke“ zu schließen?

Das eine kann nicht das andere ersetzen. Aber natürlich gehört es zu unseren Aufgaben, den Markt zu sondieren und zu schauen, wie steht es um das jeweilige Produkt und was kommt neu auf. Dazu zählen auch Formel E und Extrem E. Wenn man von Anfang an bei einer Sportart partnerschaftlich dabei ist, wird das oft, wenn auch nicht immer, auch später noch geschätzt. Es ist das aber ein völlig anderer Zugang als bei der Formel 1. Und dann gibt es ja auch noch Sportarten, die in Österreich ein Comeback feiern, ob das Boxen oder Basketball sind, oder immer populärer werden wie American Football, auch das muss man als ORF-Sportredaktion im Auge haben.

Ist dann vielleicht US-Sport – zum Beispiel die NFL – eine Option für den ORF oder ORF Sport+?

Aus rein sportlicher Sicht ist jeder Sport ein Thema. Ohne provinziell sein zu wollen, sind wir aber zunächst für Österreich da. Es geht um österreichische Relevanz ohne aber den Blick darüber hinaus zu verlieren.

Für ORF1 ist der Sport ja überlebenswichtig geworden. Ohne Sport, so hat es ORF-Generaldirektor Wrabetz formuliert, misst sich ORF1 nur noch mit Kleinsendern. Das heißt, Sie müssen liefern – ob bei Rechte-Verhandlungen oder dann auch bei den Marktanteilen. Empfinden Sie Druck?

Ich bin schon in einem gesetzteren Alter und halte es da mit Bruce Lee und seinen Worten „Sei Wasser“. Druck haben auch andere und es geht hier nicht um Menschenleben, sondern „nur“ um Sport. Aber richtig ist, wir müssen vor allem liefern, wenn wir einmal ein TV-Recht erworben haben. Es hilft ja nichts, wenn man zuvor eine Situation falsch eingeschätzt hat oder auch äußere Umstände für Gegenwind sorgen. Am Beispiel Bundesliga: Wenn der LASK nicht Punkteabzüge gehabt hätte und die Finalphase dadurch spannender geworden wäre, hätte es bessere Quoten gegeben. Aber die Situation war nun so, wie sie war, wobei für mich die Quoten der Live-Spiele durchaus in Ordnung waren.

Es hätte also auch anders, besser laufen können?

Der Sport lebt ja von Überraschungen und das setzt sich im Fernsehen fort. Da kann ein Sport-Recht plötzlich zur Quoten-Rakete werden wie das beim Frauen-Fußball-Nationalteam oder zuletzt bei den Männern im Handball der Fall war.

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Bleiben wir noch bei der Fußball-Bundesliga, zumal die ja auch ein Politikum ist, weil die alte und auch die neue Bundesregierung meint, diese über die Änderung der Fernseh-Exklusiv-Rechte-Richtlinie ins frei empfangbare Fernsehen hieven zu müssen. Nach den mittelprächtigen Markanteilen zuletzt: War das Investment in die Live-Spiele tatsächlich gerechtfertigt?

Diese Frage hat mehrere Facetten. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir, der ORF, nach dem Verlust der Rechte immer wieder versuchen, an Live-Spiele heranzukommen. In der aktuellen Situation des Sports kommt noch eine gewisse Solidarität und Verantwortung des Öffentlich-Rechtlichen dazu. Das ist vergleichbar etwa mit dem Kulturbereich – es ging und geht hier ja um die Menschen, die sich für Fußball interessieren und daheimsitzen müssen, um die Klubs, Spieler, Betreuer, aber auch deren Sponsoren. Natürlich hätten wir sagen können, es ist uns wurscht, weil mit Ende der Saison hat sich das Kapitel Bundesliga-Live-Spiele für den ORF ja wieder erledigt. Aber so einfach wollten wir es uns in dieser Ausnahmesituation nicht machen. 

Ausnahmesituation heißt auch, dass die Live-Spiele im ORF, vorerst jedenfalls, aufgrund der Rechtesituation keine Fortsetzung finden.

Der ORF muss wegen Corona-Effekten zusätzlich massiv einsparen und gleichzeitig erleben wir 2021, auch wegen Corona bedingten Verschiebungen, ein Super-Sport-Jahr – was mich natürlich freut, aber uns budgetär schon extrem fordert. Aus heutiger Sicht kann ich mir – das hat auch ORF-Generaldirektor Wrabetz als Richtung vorgegeben – nicht vorstellen, dass wir einen Weg finden, zusätzlich Bundesliga-Live-Spiele zu stemmen.

Mit Blick auf das große Portfolio: Es muss niemanden bang werden um den ORF in Sachen Sportrechte. Das kommende Jahr ist, wenn auch nicht ganz freiwillig, ein selten dichtes Sportjahr.

Das gute ist, dass man redaktionell und organisatorisch Ereignisse wie Olympische Spiele und Weltmeisterschaft schon lange vor dem Stattfinden plant. Das erleichtert es auch, wenn es zu Änderungen kommt. Chronologisch betrachtet sind jetzt mal die alpinen Ski-Weltmeisterschaften ab 9 Februar in Cortina bestätigt, dann folgen die Nordischen vom 23. Februar bis 7. März 2021 in Oberstdorf. Bei der Fußball-EM wird einfach die Gesamtstrategie vom heurigen ins nächste Jahr geschoben. Da hatten wir bereits auf die aktuelle Situation reagiert und darauf, dass nicht jedes Match von vor Ort kommentiert und nicht überall eine unserer Kameras dabei sein wird können.

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Übersicht (Auszug)  
Der ORF dominiert  den Winter mit  FIS WM  nordisch und alpin (bis 2025), den FIS Rennen in Österreich (bis 2022) und im Ausland (bis 2026), Biathlon WM und Weltcup (bis 2021), dazu  noch Olympia (Winter bis 2022, Sommer bis 2024).   

Ball-Spiele (Auszug)
Fußball-Länderspiele (bis 2022) EURO 2020, WM 2022,  Europa-League (bis 2023/’24), Bundesliga-Highlights, ÖFB Cup, 2. Liga (bis 2022),   Volley- und Handball.

 

Und dann gibt es auch noch Olympische Sommerspiele.

Die Olympischen Sommerspiele in Tokio werden, die Digitalisierung macht es möglich, in einem hohen Ausmaß zur Remote-Produktion. Das heißt, es ist eine wesentliche kleinere Anzahl von Mitarbeitern vor Ort, die Regie sitzt zum größten Teil in Wien und die Kamerabilder werden in Echtzeit hier in Wien geschnitten werden. Das spart viel Geld etwa bei den Reisekosten. Was wir auch schon entscheiden mussten ist, bei welchen Sportarten österreichische Medaillenhoffnungen bestehen, um überhaupt vor Ort dabei sein zu können. Natürlich können wir durch den langen Vorlauf mit dieser Einschätzung auch mal danebenliegen. 

Ein dichtes Jahr…

… in dem aber trotzdem die Qualität unserer Arbeit hoch bleiben muss, aber natürlich müssen wir uns an die gegebenen Verhältnisse anpassen. Hoffen wir, dass diese Sport-Ereignisse auch tatsächlich stattfinden können.

Um einen anderen Aspekt besonders bei Großereignissen anzusprechen – bereits vielfach sind die Sendeanstalten in der Situation, dass sie fertige Bilder einer Weltregie geliefert bekommen. Da erhebt sich auch die Frage, was ist journalistisch noch möglich in der Berichterstattung?

Diese Frage, wohin der Sportjournalismus sich entwickelt, beschäftigt mich sehr. Es gibt Veranstalter, die bereits große Macht über die Bilder haben. Wir versuchen dem, wo es überhaupt möglich und wirtschaftlich vertretbar ist, entgegen zu wirken und mit eigenen Kameras und Teams vor Ort zu sein. Trotzdem muss man auch einräumen, dass dann im Stadion natürlich die Plätze zugewiesen werden…

… und eine Weltregie zeigt natürlich ein missliebiges Transparent eher nicht

Es geht also um einen Mix: Wer ist vor Ort und sieht mehr, als wenn man nicht vor Ort wäre; was macht man aus den zugewiesenen Plätzen und Interview-Slots; wo und wie kann man sich im Hintergrund noch so frei bewegen und Zusatz-Infos einholen. Da wird es journalistisch interessant. Wenn aber bald jeder Fußball-Verein und jeder Sportler sich seine Berichterstattung selbst macht, bleibt irgendwann die Realität auf der Strecke. Aber es ist so: Die Zeiten, wo Sportler noch ihre Emotionen vor fremden Kameras zeigten, sind vorbei. Deshalb setzen manche Sender Lippenleser ein und im Gegenzug stehen Spieler dann beim Freistoß mit der Hand vor dem Mund - das sind Entwicklungen, die man offen ansprechen und diskutieren muss. 

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Nicht halb und halb, sondern ganz und gar: Pay-TV-Sender Sky hat die auslaufenden Formel-1-Rechte ab 2021 für Deutschland exklusiv sowie  für Österreich verlängern können. Unter der Marke Sky Sport F1 wird im kommenden Jahr u. a. ein eigener 24-Stunden-Sender an den Start gehen. Zusätzlich gibt es  ab sofort auch Formel 2, Formel 3 und Porsche Cup.

Ballerei

Einen nicht vielfach nicht zugetrauten Coup landete Sky mit dem neuen Deal zur Deutschen Bundesliga und 2. Liga bis 2025. Dazu kommen Rechte für den DFB-Pokal (bis 2022) und Champions League ( 2021).

Aktuell zu erleben: Der Schlussspurt der Premier League (bis 2022) mit   Ralph Hasenhüttls   Southampton (gegen  ManU am Montag) und   der österreichischen Bundesliga (2022) am Mittwoch zwischen Hartberg und der Austria.

Die Österreich-Rechte runden Eishockey (2021) und Basketball  (2022) ab.

Zum Sky-Sport-Portfolio gehören zudem die ATP Tour (2023) und Wimbledon (2022) und, natürlich, Golf mit Ryder Cup, European  und PGA Tour.

Zudem hat sich Sky eine neue Preisstruktur verpasst, die deutlich günstiger, transparenter und fairer sein soll.  

 

Noch zum Tennis: Der ORF hat noch die Rechte für Paris. Aber auch hier hat der Red-Bull-Sender ServusTV den Vorteil offenbar auf seiner Seite.

ServusTV setzt auf Tennis und Dominic Thiem – würde ich auch gern. Wir bemühen uns auch um Alternativen in diesem Bereich. Im Tennis merkt man aber halt schon auch langsam, dass Sponsoren Einfluss auf die Vergabe von Übertragungsrechten nehmen.

Wie soll es mit ORF Sport+ weitergehen und was kann man in diesem Zusammenhang sich beim geplanten Online-Plattform, den ORF-Player, erwarten?

Sport+ hat sich bis zur Corona-Krise recht gut entwickelt. Es gibt uns die Möglichkeit, die Vielfalt des Sports zu zeigen und manches inhaltlich wie technisch auszuprobieren. Aus der Sicht des Sports ist der ORF-Player sehr positiv. Es wird, so es die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gibt, dort auch Angebote aus dem Sport-Bereich geben können. Das erleichtert uns dann auch die Situation, wenn sich Sport-Veranstaltungen überschneiden. Beide Welten, Fernsehen und Online, lassen sich beim Sport sehr gut verschränken. Man wird ORF Sport+ und ORF-Player künftig immer gemeinsam denken.