Kultur/Medien

Ins Wort fallen? "Macht doch Spaß bei der Diskussion“

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Seit bald zwei Jahren geht es bei „Im Zentrum“ fast ausschließlich um eine Pandemie. Die Einladungspolitik (wenig Politiker, viele Experten) führte zwar zu hohem Informationsgehalt in der ORF-Diskussionssendung, doch es mehrte sich auch das Gefühl, dass mittlerweile sogar in Sendungen von Barbara Stöckl mehr konfrontative Kraft steckt.

Aber diesen Sonntag lief es anders: Kaum ging es einmal nicht um das Thema Corona, war bei „Im Zentrum“ eine richtig lebhafte Diskussion zu sehen.

Diskutiert wurde über „Putins Spiel mit dem Feuer - droht ein Krieg in Europa?“ Geladen waren ziemlich hochkarätige Gäste.

Zunächst durfte einmal der frühere Bundeskanzer Christian Kern (SPÖ) seine Sicht der geopolitischen Dinge kundtun. Er tat dies offenbar auch in seiner Funktion als Aufsichtsrat der Russischen Staatsbahnen RZD. Kern: „Wir haben eine Situation, in der viele viel zu verlieren haben, und ich sehe eigentlich niemand, der bei der ganzen Entwicklung etwas gewinnen kann“ meinte Kern. „Und uns muss ja bewusst sein, wenn wir hier auf dieses Feld der Interessen schauen, dass wir in Europa auch hier einen Spiegel vorgeführt bekommen, wo wir eigentlich selber in dieser Debatte stehen: dass hier Entwicklungen stattfinden, wo wir nicht mehr am Tisch sitzen, die nicht mehr beeinflussen können.“

Heftig

Josef Joffe, Herausgeber des deutschen Medienflaggschiffs Die Zeit, widersprach gleich einmal Kern. Es würde nicht bloß Verlierer geben. „Es wird Russland gewinnen und es wird die Ukraine verlieren, und zwar heftig“, meinte Joffe, der live zugeschaltet war.

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Er sollte auch erklären, was Putin mit seinem Truppenaufmarsch bezwecken will. Und Joffe, der auch Professor für internationale Politik an der Johns Hopkins Universität ist, dozierte: „Ich glaube, das ist ziemlich einfach. Ich glaube nicht, dass er Krieg will, denn der beste Krieg ist der, den man nicht führen muss. Und er wird solange den Druck rauf und runter fahren, offensive Waffen näher heranführen, bis irgendjemand hier nachgibt.“ Er würde also gern in Putins Schuhen stecken, meinte Joffe.

Russland-Experte Gerhard Mangott von der Uni Innsbruck hielt dagegen: „Nun, natürlich ist die Gefahr einer militärischen Eskalation groß. Russland hat zentrale Forderungen gestellt. Der Westen hat erklärt, auf diese Kernforderungen nicht eingehen zu wollen. Und für diesen Fall hat Russland angedroht, eine militärisch-technische Antwort zu geben. Aber militärische Eskalation muss nicht eigentlich Krieg heißen.“

„Täuscher und Blender“

Dann folgte ein erstes verstecktes Foul von Mangott an Joffe: „Aber niemand weiß, was Putin tatsächlich möchte. All diese, die sagen, 'Das will er, das versucht er zu erreichen', das sind Täuscher und Blender. Wir wissen nicht, was er wirklich tun wird, und ich bin sogar so weit zu sagen, dass viele seiner engsten Vertrauten nicht wissen, was er wirklich vorhat.“

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Christian Wehrschütz blieb cool wie immer und sprach, wie man ihn als ORF-Balkan-und-Ukraine-Korrespondent kennt. Er gab Mangott in dem Punkt Recht, dass keiner so recht wisse, was Putin will. „Aber in einem Punkt möchte ich sagen, es ist sicherlich so gefährlich in der internationalen Politik wie seit 30 Jahren nicht, auch wenn wir in Europa in 30 Jahren sehr wohl Kriege hatten, denken Sie an die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien, aber das war damals eben kein geopolitischer Konflikt und das macht die Situation wahrscheinlich jetzt so gefährlich.“

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Etwas später wollte Moderatorin Claudia Reiterer wissen, wo die ehemalige Außenministerin Ursula Plassnik (auf einem ÖVP-Ticket) denn die roten Linien auf Seiten der EU sehe. Sie wiederholte Kerns Aussage, dass die Gespräche über Europas Sicherheit von Washington geführt werden, aber ohne die Europäer am Tisch.

Plassnik sagte mit Blick auf Kern: „Niemand will schlechte Beziehungen mit Russland, auch nicht die Ukraine, schon gar nicht Österreich und auch nicht die Europäische Union. Also wir müssen die Kirche eigentlich im Dorf lassen. Das ist aber noch längst kein Grund, dass man Russland jetzt ein Imperium zugesteht oder dass man Russland irgendeine Form der Einwirkung, mit Gewalt, mit Drohung gegenüber Nachbarn, Verletzungen des Völkerrechtes zugesteht.“ Die Annexion der Krim sei völkerrechtlich „Landraub“. „Das geht nicht. Im 21. Jahrhundert in Europa geht das nicht“, meinte Plassnik.

Dann gab sie Joffe recht: „Wir haben es nicht soweit gebracht, wie wir es gerne gebracht hätten. Wir haben auch sträflich vernachlässigt, dass alle Beziehungen zu Russland immer eine eminent sicherheitspolitische Dimension haben. Wir müssen sicherheitspolitisches Denken, sicherheitspolitische Analyse in der Praxis im Alltag wieder lernen. Natürlich ist die Energieabhängigkeit ein Teil dieses sicherheitspolitischen Denkens, das wir sehr gerne verdrängen, wenn wir es nicht akut brauchen.“

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Dann drehte Kern - wenig kanzlerlike - ziemlich auf. Er replizierte auf Plassnik: „Aber darf ich Ihnen was sagen? Ich kann das alles nicht ernst nehmen. Und zwar nämlich aus folgendem Grund: Weil der Herr Joffe hat völlig recht, es gibt selten Beispiele für Sanktionen, die einen Regimewechsel irgendwo produziert haben. Aber der springende Punkt ist doch, dass wir es als Westen diese Sanktionspolitik nicht einmal ansatzweise durchhalten, das ernst zu nehmen und glaubwürdig zu sein. Und Sie haben vorhin völlig richtig darauf hingewiesen, Herr Joffe, über 50 Prozent des deutschen Öls kommt aus Russland. Beim Erdgas sind es 55 Prozent, in Österreich ist es sogar 80 Prozent.“

„Nicht ganz, weniger als 50“, warf Joffe ein.

Kern nannte ein Beispiel, die beinharten Wirtschaftssanktionen gegen Hongkong, als China dort „sozusagen die Spielregeln verändert hat“.  Es hätten dann "die größten und umfangreichsten Börsegänge an der Börse in Hongkong stattgefunden, und wer hat das meiste Geschäft damit gemacht? Nicht irgendeine chinesische Bude. Goldman Sachs, Morgan Stanley, die beiden größten amerikanischen Investmentbanken.“

Er sehe „in Wahrheit eine Ohnmacht, die wir uns da permanent selber vor Augen führen, die dazu führt, dass wir eine völlig andere Konzeption brauchen und das ist kein Gegeneinander, sondern wir müssen verstehen, in einer vernetzten Welt funktioniert das nur gemeinsam und wir werden letztendlich keinen Regime-Change in Russland, in China oder sonst wo schaffen. Wir müssen die Hand ausstrecken und müssen versuchen, hier Lösungen zu finden - so mühsam das ist und Schluss bitte mit dieser Rhetorik der Zuspitzung.“

"Sie würden jetzt was genau tun?"

Plassnik reagierte säuerlich: „Gut, das heißt, Sie würden Sanktionen, die wir im Übrigen aufrecht haben seit der Krim-Annexion, abschaffen als österreichischer Bundeskanzler oder sie würden jetzt was genau tun? Sie würden sich den Sanktionsbeschlüssen verweigern oder was wäre Ihre Politik-Anleitung, was wäre Ihre Entscheidung?“

Kern: „Na, wir haben das im Europäischen Rat ja hinter verschlossenen Türen immer diskutiert, dass wir sehr skeptisch sind. Das hat mein Vorgänger gemacht, das habe ich gemacht, das hat Sebastian Kurz gemacht und ich denke, dass wir uns bewusst sein müssen: Wir müssen unsere eigenen Hausaufgaben machen. Wir haben uns in Abhängigkeiten begeben. Wir reden ja nicht nur über Energie, wir reden über Mikrochips, wir reden über …“

Reiterer wollte eher über die Gegenwart und Zukunft reden, auch Plassnik murmelte etwas von „Vergangenheitsbewältigung“.

Großkoalitionäre Freunde werden die beiden wohl nimmer.

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Als Joffe zur Rolle Deutschlands befragt wurde, sprach er über die gegenwärtige Politik. Die Bundesregierung liefere nicht selbst keine Waffen an die Ukraine liefern, sie verbiete „auch anderen Drittstaaten wie zum Beispiel Estland,. denen man Kanonen verkauft hat, sie weiterzugeben. Diese Aktionen sprechen lauter als jede Worte. Wobei ich hinzufügen möchte, eine große Uberraschung für mich war, dass ausgerechnet die alte Pazifisten-Partei, die Grünen, jetzt härtere Worte benutzt als die schweigende FDP oder mehr oder weniger russlandfreundliche Flügel der SPD.“ Man wolle nicht  die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine erhöhen, „was für mich eigentlich schon die Frage beantwortet“, meinte Joffe. „Ich glaube auch nicht, dass Nord Stream 2 zugemacht wird. Das hat unser Kanzler als privatwirtschaftliche Angelegenheit bezeichnet. Damit weiß man, wo’s lang geht.“

"Hysterische Debatte"

Jetzt griff Mangott zum rhetorischen Bihänder: „Ich denke, das ist ein bisschen eine hysterische Debatte, ob Deutschland jetzt Waffen liefert oder nicht. Wer immer jetzt Waffen liefert an die Ukraine..."

„Warum glauben Sie, dass es hysterisch ist, wenn ich ein Argument vortrage? Ich verbitte mir diese Sprache“, warf Joffe ein.

„Bitte, Herr Joffe“, gestand Mangott zu. „Ich halte es trotzdem für eine hysterische Debatte, auch wenn Ihnen das Wort nicht gefällt. Weil jeder, der jetzt Waffen an die Ukraine liefert, wird in dieser unmittelbaren Eskalationsgefahr nichts zur größeren Verteidigungsfähigkeit der Ukraine beitragen. Was die Ukraine militärisch bräuchte, liefert auch niemand. Das heißt...

Joffe: „Darum geht es doch gar nicht …“

Mangott: „Darf ich bitte ausreden, Herr Joffe.“

Herr Joffe sprach aber noch weiter: „Es geht darum, dass wir Deutschen sagen: 'Das kommt nicht in Frage. Punkt.' Das ist das Problem.“

„Sie verbitten sich etwas und fallen mir ins Wort“, sagte Mangott.

„Natürlich, macht doch Spaß bei der Diskussion“, meinte Joffe.

Mangott fuhr fort: „Ich glaube, es ist nicht richtig zu sagen, Deutschland isoliert sich hier selbst, Deutschland wird seiner Verantwortung nicht gerecht.

Joffe: „Hat doch niemand gesagt.“

Mangott: „Es gibt auch Argumente gegen Waffenlieferungen an die Ukraine in der jetzigen eskalativen Lage.“

Deeskalieren

Reiterer fing das Wortgefecht nun ein: „Gut, jetzt  deeskaliere ich in der Diskussion.“

Sie deeskalierte zum Beispiel mit einem Kissinger-Zitat: „„Wenn ich mit Europa reden will, wen muss ich dann anrufen?“

Auch am Schluss zitierte sie den legendären US-Außenminister: Dieser „soll einmal über Krisen in der Politik gemeint haben, es geht nicht um absolute Zufriedenheit, sondern um ausbalancierte Unzufriedenheit. Vielleicht gelingt das in dem schweren Konflikt.“

Ausbalancierte Unzufriedenheit. So könnte man auch diese Diskussion beschreiben.