Hofburg-Kandidaten abgeprüft: "Die Verfassung ist kein Kindergarten"
Von Peter Temel
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*
Applaus, Applaus. „Im Zentrum“ ist aus der Sommerpause zurück, und das mit Publikum im Studio. Aber das ist vorläufig nur einem Spezialformat geschuldet. An diesem Sonntag wurden in einem "Im Zentrum Spezial" erstmals alle Kandidaten für die Bundespräsidentschaftswahl am 9. Oktober in ein TV-Studio eingeladen.
Gekommen waren nur sechs, denn der Amtsinhaber nimmt, wie angekündigt, nicht an Wahlkonfrontationen Teil. Die von Moderatorin Claudia Reiterer verlesene Begründung: „Die Wahrung der Würde des Amtes ist für den Bundespräsidenten sehr wichtig.“
Nun hat Alexander Van der Bellen schon Recht damit, dass sich seine Amtsvorgänger vor ihrer Wiederwahl auch keinen Fernsehdiskussionen stellten. Aber so eine Situation gab es zuletzt 2010 bei Heinz Fischer gegen Barbara Rosenkranz. Das ist immerhin zwölf Jahre her. Seither hat sich in der Medienwelt viel getan. Hinzu kommt, dass sich sechs Gegenkandidaten aufstellen ließen, die nun dank der Wahlsendungen in vier verschiedenen Sendern ihre Botschaften ausführlich darlegen können. Und eine wird sein: Der Bundespräsident sei abgehoben und verweigere sich der Diskussion.
Unwürdig?
Natürlich stellt sich auch die Frage, ob Van der Bellen generell die Teilnahme an TV-Diskussionen als unwürdig empfindet, oder ob er dabei auch an seine Gegenkandidaten gedacht hat.
Fischer sagte vor zwölf Jahren, dass „man nicht amtierendes Staatsoberhaupt des ganzen Landes sein und gleichzeitig an einer TV-Konfrontation teilnehmen“ kann. Zudem seien die Aussagen von Rosenkranz zum Verbotsgesetz und zu Gaskammern „nicht diskutierbar“ gewesen.
Derlei Tiefen wurden bisher gottlob nicht angesteuert, aber dem Präsidenten ist wohl auch nicht danach, Slogans wie „Wählst du Gerald Grosz, bist du die Regierung los“ zu diskutieren.
Die ORF-Dramaturgie half am Anfang auch tüchtig mit, die Kandidaten klein wirken zu lassen. Da wurde gleich einmal eine Straßenumfrage eingespielt, in der zum Beispiel Grosz in den Bereich des „Kasperltheaters“ gerückt wurde - wenngleich auch jeweils eine positive Gegenmeinung eingespielt wurde.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde ging es dann mit einer Art Quiz weiter, in dem die Bewerber Verfassungsfragen beantworten mussten. Sie traten gewissermaßen gegen den im Publikum sitzenden Verfassungsrechtler Karl Stöger an, der zwangsläufig die Oberhand behalten musste. FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz, selbst Jurist und Ex-Volksanwalt, schaffte immerhin ein Unentschieden: Ob es Korinek oder Adamovich war, der in der Frage, ob der Bundespräsident ein Gesetz jedenfalls unterzeichnen muss, eine großzügigere Auslegung vertrat, konnte nicht letztgültig geklärt werden.
"Keine Gouvernantenprüfung"
Auch dieses Format schadete der Würde der Anwesenden - und dass „VdB“ an einem solchen Test nicht gern teilnehmen würde, könnte man dann tatsächlich gut verstehen.
Grosz beschwerte sich dann auch: "Machen wir doch keine Gouvernantenprüfung daraus“, und: „das ist doch bitt’schön kein Kindergarten.“
Reiterer antwortete: „Herr Grosz, die Verfassung ist kein Kindergarten.“
Nun fragt man sich, was er damit meinte: Ob hier jemand zur Gouvernante geprüft werden soll? Nein, es geht ja um die Bundespräsidentenwahl. Offenbar meinte er, dass eine Gouvernante die Kandidaten abgeprüft hat. Das ist dann doch eine ziemlich unfreundliche Aussage.
Anstatt auf die diversen Ungenauigkeiten einzugehen (Grosz: „Wir werden uns bis zur Wahl alle einlesen“), werfen wir einen Blick auf die Mottos, mit denen die sechs Männer in die Diskussion gingen.
Walter Rosenkranz: „Holen wir uns unser Österreich zurück.“
Wo ist es denn gerade, unser Österreich, möchte man fragen. Sitzen wir gerade im Ausland, wenn wir im Büro oder in unserer Wohnung sitzen, wenn es nicht da ist?
Tassilo Wallentin blieb unmissverständlich und zitierte die Bundeshymne: „Mutig in die neuen Zeiten. Einem starken Herzen gleich.“
MFG-Kandidat Michael Brunner machte es sich noch einfacher und zitierte einfach den eigenen Parteinamen: „Menschen - Freiheit - Grundrechte.“
„Menschen - Sicherheit - Zukunft“, sagt Dominik Wlazny. Seine Partei heißt übrigens nicht MSZ.
„Make Austria Grosz again“, sagt ein anderer. Das ist auch interessant, denn Österreich war mit großer Sicherheit nie Grosz und wird es hoffentlich auch nicht werden. So Ich-bezogen war nicht einmal Trump, dass er die USA in „Trump“ umbenennen wollte.
Geradezu philosophisch zeigte sich der Schuherzeuger Heinrich Staudinger: „Es geht weniger, als wir uns wünschen. Aber: Es geht viel mehr, als wir glauben.“
Gandhi
Wenngleich Staudinger den längsten Slogan wählte, so gab er in der Sendung relativ kurze Antworten, die oft auch abrupt abbrachen und ein Schweigen hinterließen, das im Fernsehen relativ unangenehm wirkt. Szenenapplaus gewährte das Publikum - nebenbei bemerkt - keinem der Kandidaten.
Staudinger wirkte ein bisschen wie ein Wut-Opa, dem aber irgendwo auf dem Weg durch die ORF-Flure die Wut abhanden gekommen ist.
Als „Christenmensch und Kommunist“ wurde er zwischendurch vorgestellt. Er könne dem Pazifismus eines Mahatma Gandhi viel abgewinnen, und das Bundesheer sei ihm am Liebsten, wenn es hauptsächlich Katastrophenschutz betreibe.
Staatstragend
Beim Thema Landesverteidigung wurde auch abgeprüft, in welcher Form die Kandidaten gedient haben. Staudinger: „Untauglich.“
Wenn mehrere der Kandidaten der Meinung sind, dass Österreich nicht mehr Österreich ist, so könnte man Dominik Wlazny ("mit 25 Jahren ausgemustert") immerhin bescheinigen, dass der Name seiner Partei sehr nahe an der österreichischen Befindlichkeit gebaut ist: Bierpartei.
Wie alle Mitbewerber war er darum bemüht, möglichst staatstragend zu wirken. Er forderte etwa eine aufrichtige Sicherheitsdiskussion im Lande ein, bisher sei "die Neutralität wie eine Heilige Kuh vor sich hergeschoben" worden.
Wenn es um das Thema EU-Austritt ging, kam aber der Rocker der Punkband Turbobier durch: "Da wird mir ganz schlecht, wenn ich nur daran denke.“
Wallentin, ein Leutnant der Reserve, war auch sehr darauf bedacht, seine Worte wohl zu wählen, und bemüht, auch dem letzten Österreicher zu vermitteln, dass er alles immer schon gewusst hat und dies in seinen Kolumnen und Büchern dokumentiert habe.
Er zeigte sich beim Thema EU eher wohlwollend. Noch nie sei die Chance so groß gewesen, die Union zu verändern. Rosenkranz war hier nicht so optimistisch. Wenn ein Tanker sinke, solle man möglichst schnell das Rettungsboot besteigen.
Auch Ex-Zeitsoldat Grosz zeigte in seinen Sprachbildern nicht gerade Heldenmut. In Bezug auf die Russlandsanktionen und Wladimir Putin sagte er: „Man soll nicht mit dem Löwen kämpfen, wenn der eigene Kopf in dessen Maul steckt.“
Bei Staudinger fragte man sich manchmal, ob er gerade im richtigen Thema steckt. Zum Ukraine-Block fiel ihm ein: „Unser Wohlstand basiert ohne jeden Zweifel auf dem Boden der Ausbeutung der Natur, auch der Tiere, und auch der Menschen, vor allem in der Dritten Welt.“
Als es abschließend darum ging, die weiblichen Wählerinnen anzusprechen, und Wlazny sagte, „Natürlich bin ich Feminist“, erzählte Staudinger zwischendurch von der Photovoltaikanlage im eigenen Betrieb.
Vielleicht war das ja lediglich ein Füllsatz, um am Schluss die bis dahin versäumte Redezeit aufzuholen. Über den Redezeitvergleich mokierte sich wiederum Grosz: "Zuerst werden wir geprüft und dann gibt es einen Zeitzettel?“
Polemik
Der Ex-BZÖ-Politiker und Blogger sprach zwar mit dem Brustton des Elder Statesman, formulierte aber in schlechtester FPÖ-Tradition. Als es darum ging, ob im Ukrainekrieg europäische Werte verteidigt würden, meinte er: „Welche sind das? Korruption in Brüssel?“
Der Vertreter des blauen Originals, Rosenkranz, blieb weitgehend sachlicher. Polemisch wurde er immer dann, wenn es um den „großen Abwesenden“ ging. Der verdiene so gut, dass er sich „die Packerl Zigaretten leicht leisten kann, und die Hofburg wird mit Steuergeld geheizt“, sagte Rosenkranz.
"Der große Abwesende"
Streckenweise hatte man den Eindruck, der „große Abwesende“ sei nicht Van der Bellen, sondern der legendäre Altkanzler Bruno Kreisky. Rosenkranz und Grosz lobten dessen Nahost-Politik, und auch Brunner, der die „ schädlichen Sanktionen“ geißelte, plädierte dafür, wie weiland Kreisky „Kriegspartner an den Verhandlungstisch in Österreich zu bringen“.
Interessant, dass der Säulenheilige der SPÖ bei Vertretern rechts der Mitte so gut ankommt.
Beim Thema Klimaschutz forderte Wallentin Kostenwahrheit in der Wirtschaft. Wenn in Südamerika die grüne Lunge der Erde abgeholzt werde, dann müsse man dies auch bei Fleisch aus diesen Ländern einpreisen. „Die Marktwirtschaft ist in diesem Sinne an ein Ende gekommen“, meinte der Rechtsanwalt und derzeit pausierende „Krone“-Kolumnist.
"Hetzerei"
Die drei Mini-Zweierkonfrontationen wurden personell recht spannend zusammengestellt, es sollte auch darum gehen, mögliche Brücken zwischen den Kandidaten zu finden. Als Grosz zum Thema Ausländerwahlrecht gleich Schlagworte wie „Afghanen“ und „Leonie“ auspackte und sagte, er könne ja auch nicht in Kabul bei der Großmufti-Wahl mitmachen, ging Schuhproduzent Staudinger wenigstens ein bisschen aus sich heraus und unterstellte ihm „Hetzerei“. Beim Klimaschutz wurden Rosenkranz und Wallentin einander nicht grün und nach dem Duell zwischen Arzt Wlazny und Corona-Skeptiker Brunner beim Thema Impfen musste sich Reiterer eingestehen: „Ich sehe nicht einmal eine Hängebrücke zwischen Ihnen.“
Am Ende stand eine Diskussion, die zum Teil ihre Hänger hatte, und nach der man sich - nicht nur wegen des mehrminütigen Überzugs - fragte, welche weiteren Argumente die sechs Männer in den nächsten vier Wochen noch austauschen wollen. Immerhin gingen die Anwesenden recht höflich miteinander um und Verfassungsrechtler Stöger attestierte allen, innerhalb des Verfassungsbogens argumentiert zu haben.
Das ist doch schon einmal etwas.