91. Oscar-Gala: Analyse - Der falsche Film hat gewonnen
Von Alexandra Seibel
Der falsche Film hat gewonnen.Das leutselige Rassismus-Roadmovie „Green Book“ errang bei der 91. Oscarpreisverleihung den Hauptpreis für besten Film. Damit setzten sich die Traditionalisten in der Academy durch und verhinderten bahnbrechende Ehrungen.
So hätte beispielsweise Spike Lee, der mit seinem flotten Film „BlacKkKlansman“ erstmals in seiner Karriere für beste Regie und bester Film nominiert worden ist, einen historischen Sieg erringen können. Hätte Alfonso Cuarons mexikanischer Erinnerungsfilm „Roma“ gewonnen, wäre dies insofern herausragend gewesen, als noch nie ein nicht-englischsprachiger Film in dieser Kategorie gewonnen hat. Und schon gar nicht einer, der von dem Streaming-Riesen Netflix produziert worden war. Selbst die Wahl zu „Black Panther“ hätte herausgestochen, war doch erstmals eine Comic-Verfilmung – noch dazu in einem All-Black-Ensemble - in dieser Kategorie an den Start gegangen.
Mit „Green Book“ aber setzte sich eine gut gemeinte, gegenüber dem weißen, liberalen Hollywood nicht allzu kritisch eingestellte, dabei allerdings überaus vergnügliche Tragikomödie durch. Mahershala Ali als schwarzer Beisitzer auf dem Autorücksitz erhielt den Höchstpreis als bester Nebendarsteller – und ist damit der erste schwarze Schauspieler, der zum zweiten Mal in dieser Kategorie gewinnt. „Green Book“ gewann auch einen Oscar für bestes Originaldrehbuch.
Favoritensterben
Überhaupt herrschte bei der Oscarverleihung großes Favoriten-Sterben, allen voran mit Yorgos Lanthimos‘ „The Favourite“. Zehnmal war die queere Palastintrige nominiert worden, doch nur einen Gewinn konnte sie verzeichnen. Doch der sorgte ebenfalls für einen Knaller: Olivia Colman gewann für ihre Rolle als lesbische Königin einen Oscar als beste Hauptdarstellerin und schlug damit die arme Glenn Close aus dem Feld. Close stellte damit ihren eigenen traurigen Privatrekord als Schauspielerin auf, die zum siebenten Mal nach einer Oscarnominierung leer ausging. Colman entschuldigte sich in ihrer witzigen Dankesrede gleich bei der Konkurrentin („Ich wollte nicht, dass es so ausgeht“) und fügte selbstironisch hinzu: „Das ist wirklich köstlich. Und das kommt auch bestimmt nicht noch einmal vor.“
Ebenfalls baff war man über die Entscheidung, nicht etwa dem herausragenden Christian Bale für seine Darstellung als feist gefressenen Vizepräsidenten Dick Cheney in „Vice“ mit dem Oscar als besten Darsteller zu belohnen. Stattdessen kassierte Rami Malek für seine Rolle als Freddie Mercury in dem Bio-Pic „Bohemian Rhapsody“ die begehrte Statue ein – immerhin als erster arabisch-amerikanischer Schauspieler in der Geschichte.
Wenn schon nicht als bester Film, dann reüssierte „Roma“ doch zumindest in den Hauptkategorien Beste Regie, Kamera und bester nicht-englischsprachiger Film – der bislang größte Sieg für Netflix und damit ein echter „Game-Changer“.
Einen Absacker erlebte auch Bradley Coopers „A Star Is Born“, dessen acht Oscar-Nominierung schließlich auf einen Gewinn für Lady Gaga und den besten Original-Song („Shallow“) zusammenschmolzen.
Moderator gab es heuer keinen, wiewohl drei unglaublich lustige Damen – die Comedienne-Riege Tina Fey, Maya Rudolph und Amy Poehler - den Abend eröffneten und zweifellos ein hervorragendes Moderatorinnen-Trio abgegeben hätten. Tina Fey beantwortete gleich zu Beginn drei entscheidende Fragen: „Nein, wir sind nicht die Gastgeber der Show. Es gibt keine eigene Kategorie für populären Film. Und Mexiko wird nicht für die Mauer bezahlen.“
Insgesamt hielten sich die politischen Statements in engen Grenzen, wenngleich der unschlagbare Spike Lee bei seiner Dankesrede für den Oscar für bestes adaptiertes Drehbuch („BlacKkKlansman“) zuerst einmal Samuel L. Jackson in die Arme hüpfte, ehe er zu einer großen Brandrede ausholte. Sein Dank reichte bis zu den Vorfahren vor vierhundert Jahren zurück und endete mit einem Wahlaufruf mithilfe seines berühmten Filmtitels „Do The Right Thing“ - soll heißen: Stimmt nicht für Trump.
Geweint wurde viel bei den Dankesreden, nicht zuletzt über historische Siege. So gewann Ruth Bachler als erste schwarze Kostümbildnerin einen Oscar für „Black Panther“, ebenso wie Hanna Beachler als erste schwarze Frau für Production Design. Frau Beachler hätte fast auf ihre Dankesrede verzichten müssen, die sie in ihrem Handy gespeichert und vor Aufregung beinahe nicht gefunden hätte.
Zusätzlich zu den afro-amerikanischen Gewinnern – Regina King gewann einen Oscar als beste Nebendarstellerin in „If Beale Street Could Talk“ – tummelten sich auffallend viele Frauen und nicht-weiße Menschen auf der Bühne, präsentierten die Gala-Show und holten wichtige Preise ein.
Eindruck von Diversität (aber vielfach in Nebenkategorien)
So gewann man insgesamt den Eindruck großer Diversität, wenngleich in den Hauptkategorien dann doch wieder meist Männer gewannen; und vor allem in den technischen Oscar-Kategorie wie Ton, Tonmischung oder Spezialeffekten tummelten sich ausschließlich Boy-Groups auf der Bühne.
Den feministischen Vogel schoss auf jeden Fall Rayka Zehtabchi, Gewinnerin des Oscar für die beste Kurzdoku „Period.The end of sentence“. Schluchzend meinte sie bei ihrer Dankesrede: "Ich weine nicht, weil ich meine Periode habe. Sondern weil ein Film über die Menstruation einen Oscar gewonnen hat.“