Kolumnen

Paaradox: Gute Nacht!

Sie

Er hatte einen Traum. Das merkte ich am Zittern des Betts, wovon ich erwachte. Murmelnd warf sich der Mann nebenan hin und her. Ächzen. Stöhnen. Zappeln. Draußen dämmerte es, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Danke, Michi. Und während er murmelte, ächzte und zappelte, fragte ich mich, was sich in seinem Kopf gerade abspielt. Träumte er von einer anderen Frau, von den sieben Zwergen oder dass er als Agent 0Komma07 nur vier Minuten Zeit hätte, sein Land vor einem Klingonenangriff zu schützen? Keine Ahnung. Also nahm ich seine Hand und sagte leise: Alles gut, Schatz. Worauf er ein Schmaskrglempfzn smslnch seufzte, sich zur Seite drehte und weiter schlummerte. Bedeutende Worte, die sich wohl erst der Nachwelt in einem größeren Kontext erschließen werden. Oder auch nicht.

Alles gleichzeitig

Zwei Stunden später stand er, Kaffee kochend, in der Küche und war sichtlich aufgeregt: „Du, arg. Ich hatte so einen intensiven Traum!“ Ah geh. Jetzt war ich gespannt, ob er sich noch an dessen Inhalt erinnern könne. „Natürlich!“, rief er und begann, zu schildern: „Also, pass auf. Das glaubst du nicht. Ich habe geträumt, Österreich wird Fußballweltmeister gegen Deutschland – durch Elfmeter-Schießen im Finale.“ Worauf ich entgegnete, das sei eigentlich sehr fad und kein Grund, sich so im Bett herumzuwerfen. Er: „Naja, jetzt kommt’s erst! Ich war gleichzeitig Spieler, Zuschauer und Berichterstatter. Als dieser sollte ich eine Reportage über meine Gefühle als Kicker schreiben und dazu auch noch Promis interviewen. Sehr stressig.“ Er setzte seine Erzählung fort. Arg traumatisch wurde es, als er bemerkte, dass er nicht als Elferschütze nominiert wurde, sondern – statt ihm – eine Frau. Die dann mit dem Rücken zum Tor den entscheidenden Treffer schoss. „Wer war diese Frau?“, fragte ich. „Nicht du“, antwortete er und ergänzte: „Weißt eh, beim Fußball sind alle jünger.“ Jetzt war ich dramatisch entschlossen, die Traumpsychologie zu bemühen.

gabriele.kuhn@kurier.at / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Es war in der Tat ein intensiver Traum. Aber im Unterschied zu meiner Frau nehme ich so ein nächtliches Erlebnis als einen schicksalhaften Abenteuerausflug zur Kenntnis. Während sie darum kämpft, als gekrönte Deutungshoheit zu erscheinen und meine unbewussten Tiefen zu ergründen. Dabei eröffnet sie ihre Analysen gerne mit dem Satz Könnte es sein …? Und lässt sich auch nicht aus der Ruhe bringen, wenn ich antworte: „Ja, könnte sein. Oder auch nicht.“ Weil ich die Suche nach einem seelischen Befund – wenn schon – lieber einem gelernten Freudianer überlasse als der Liebsten, deren einzige Referenz die einstige Lektüre von Grillparzers „Der Traum ein Leben“ ist. Was bei der Klärung, warum ich keinen Elfer schießen durfte, eher nicht zur großen Erkenntnis beiträgt.

Goldene Gesichter

Aber gnä Kuhn hat nun einmal ein Faible für alles Unerklärliche, das sie erklären kann. Daher teilt sie mir auch regelmäßig die Inhalte ihrer Träume mit. Das Problem: Ich erzähle nur, was als zusammenhängende Geschichte taugt. Sie indessen bastelt gerne minutenlang Puzzlesteine der Erinnerung zusammen und ist beleidigt, wenn meine Hinwendung zum Morgenkaffee den Verdacht nährt, ich würde ihr nicht mit maximaler Aufmerksamkeit folgen. Was schwierig ist, wenn sie erläutert: Ich war in irgendeinem Haus und … ich weiß nimmer … da waren so Tiere, die goldene Gesichter hatten, oder so, und dann ist eine Welle gekommen, und du warst auch dabei, glaub’ ich, und wir haben dann … ich weiß nimmer … Kukuruz gegessen, aber das Wasser war über uns, ganz komisch, und die Tiere und du und, ah ja, meine Mutter hat mir ein Nikolosackerl gebracht … bis ich endlich frage, ob der Traum noch lange dauert, allenfalls eine konkrete Essenz aufweist, und ob es eine Pointe gibt. Ihre Reaktion: Schnoferl. Verbunden mit einem Dann erzähl’ ich halt nix mehr aus meinem Schlafleben. Und ich verkneife mir zu sagen: „Genau davon hab’ ich immer geträumt.“  

michael.hufnagl@kurier.at / facebook.com/michael.hufnagl9