Kolumnen

Paaradox: Für immer jung?

Sie

Mag sein, dass sich der Mann nebenan im Laufe der vielen gemeinsamen Jahre immer wieder in einer Lebensmittel-Krise befunden hat – als ich ihm beispielsweise Paradeissalat oder Gemüsewok servierte, und er das Gesicht verzog, um sich rasch ein Brot dick mit Schinken, Mayo und Käse zu belegen. Jetzt allerdings taumelt er wie ein kleiner Astronaut im großen Weltall herum: Ja, der Hufnagl ist ein bisserl in der Lebensmittelkrise, auch Midlife-Crisis genannt. Oder aber zweite Pubertät. Wie sich die äußert? Etwa, indem er seit neuestem immer ein „Hi du!“ Richtung Wohnzimmer schmettert, wenn er nach Hause kommt. Oder aber vom Textilhändler seines Vertrauens ein Kilo neue, vorzugsweise schwarzgraue T-Shirts anschleppt, über die La Tochter sehr lachen muss: „Papa, das sind ja Leiberln, die sonst nur Hip-Hopper tragen.“

Wow!

Der Vater tut dann so, als hätte er’s überhört, und schlägt ihr stattdessen vor, ihm doch einmal „ein bissi so Sachen, die die Jungen heute so im Club hören“ vorzuspielen. Vielleicht für eine neue Playlist im Auto?! Eine arge Verhaltensauffälligkeit, zumal Herr Hufnagl bisher nur die Herren Mozart, Beethoven und gehobene Popmusik aus dem 20. Jahrhundert an sein Ohr ließ. Von wegen. Auf einmal ist da ein pubertäres „Wow, voll super!“ samt leichtem Schwingen in der Hüfte. Das würde mich nachdenklich machen, wäre es nicht so – hm, pardon – komisch. Fehlte nur mehr eine Hose, die ihm unterm Popsch herumhängt. Erst kürzlich stolperte ich über folgenden Satz: „Ein Mann ist dann kein junger Mann mehr, wenn die Frau, der er zuzwinkert, meint, ihm sei etwas in Auge geflogen.“ Wer weiß, vielleicht ist das ja des Gönnjamins nebenan größte Angst, gepaart mit der Sehnsucht, einmal noch Gas geben zu dürfen.

Vollgas – und zwar: akkurat.

gabriele.kuhn / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Ich gestehe,  dass jener Augenblick, als mir meine Tochter erklärt hat, ich sei für dieses T-Shirt um etwa dreißig Jahre zu alt, schmerzhaft war. Nicht nur, weil das gute Kind nicht versteht, dass man Botschaften zu männlicher Verjährung auch durch die Blume (die keine Distel ist) sagen kann. Sondern vor allem, weil es sich tatsächlich um einen Irrtum handelte. Ich habe versehentlich ein falsches (viel zu langes) Leiberl gekauft. Was daran liegt, dass ich beim Betreten eines Modegeschäfts in erster Linie das Ziel habe, es so rasch wie möglich wieder verlassen zu dürfen. Unter diesem Druck geschah der Fehlgriff, der mich zum Star auf der Spottbühne machte.

Eheliche Bewegungen

Und schon transformierte gnä Kuhn meinen unfreiwilligen Schlabberlook zu einem Symbol meiner Jungbrunnen-Sehnsucht. Dabei fielen auch Sätze wie: Du gehst plötzlich so federnd. Oder: Warum läuft in deinem Radio Superfly? Wer das hört, macht sich Gedanken. Allerdings weniger über sich selbst und den Anschein einer Krise, die ein lapidarer 50er ausgelöst haben soll. Sondern viel mehr über die Liebste, die sich nicht über meinen zwischenzeitlichen Elan freuen mag. Weil sie viel lieber als Seismografin eheliche Bewegungen analysiert. Und dabei gar nicht mehr bemerkt, wie oft sie selbst das Älterwerden thematisiert – das eigene wohlgemerkt. Erst unlängst saßen wir bei einem Glas Rotwein und blickten schweigend in die Sterne. Ehe sie ächzend (der Rücken zwickt!) die Stille unterbrach, um mir Fotos von einst zu zeigen, mit der Erkenntnis: Schau, da war ich noch schön. Ui, heikle Stimmungslage. Denn so leidenschaftlich meine Frau sonst Zustimmung einfordert, so fatal wäre sie in diesem Augenblick gewesen. Also musste  Widerspruch her. Ich sagte daher nicht: „Zieh’  einfach mein megacooles T-Shirt an, schon bist du Aphrodite 2.0“. Sondern ich entschied mich a) für Morgenstern („Schön ist alles, was man mit Liebe betrachtet“) und b) für Hufnagl: „Dich anzusehen, ist jeden Tag wunderbar.“
michael.hufnagl / facebook.com/michael.hufnagl9 

Neue Podcast-Folge „Schatzi, geht’s noch?“ auf kurier.at und allen Podcast-Apps; Auftritte: 10. 10., 1. 11., Rabenhof ; 20. 11., Klosterneuburg