Johannas Fest: Soulfood nach alter Tradition
Von Johanna Zugmann
Vergangenen Montag bin ich das angegangen, was Sie sicher schon vor Monaten erledigt haben: Ausmisten. Ich habe mich an den Nebenraum der Küche unseres Corona-Exils im niederösterreichischen Voralpenland gewagt. Schon Generationen vor uns diente er als Abstellraum. Unmengen von Kartons enthielten alte Musiknoten, Bücher, Briefe, eine völlig desolate Zither, Werkzeug, Geschirr und Küchengerät. In einer der Schachteln aber fand ich ein tadellos erhaltenes Caquelon samt Rechaud. Dabei handelt es sich um einen runden Keramiktopf mit dickem Boden und langem Stiel. Als Tochter einer Schweizerin empfand ich den Fund als echtes Geschenk. Dank meiner helvetischen Wurzeln wusste ich natürlich, wozu dieses Küchenutensil gut ist: zur Käsefondue-Zubereitung.
Mein sensorisches Gedächtnis meldete cremige Konsistenz von würzig-aromatischem Wohlgeschmack, Genuss, Geborgenheit und Unterhaltung im großen Familienkreis. Als wäre es gestern gewesen, erinnerte ich mich an den ersten Besuch der älteren Brüder meiner Mutter in Wien. Onkel German und Onkel Eugen brachten aus Fribourg Delikatessen mit: Schokolade natürlich, die für uns sechs Kinder damals eine echte Rarität war, Käse und Kirschschnaps für die Erwachsenen.
Onkel Eugen stellte sich hinter den Herd und kommentierte jeden seiner Handgriffe so ausführlich, als erteilte er uns Heimatkunde-Unterricht. Er nahm eine Knoblauchzehe zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand und begann das Caquelon energisch in kreisenden Bewegungen auszureiben. „Moitier – moitier“, erläuterte der ständig zwischen schwyzerdütsch und französisch wechselnde Geschäftsmann die Halbe-halbe-Zusammensetzung der Käse: einen mehr als ein Jahr gereiften Gruyère und einen Vacherin fribourgeois aus Rohmilch. Zu den bereits vorgeriebenen Hauptingredienzien für das helvetische „Nationalgericht“ kamen noch ein Schuss Weißwein und etwas Speisestärke. Cremig und nicht zu flüssig muss das Fondue die Brotwürfel, die an zweizinkigen Gabeln in der Speise mehrmals herumgedreht werden, umhüllen und wenn sich harte Fäden ziehen, heißt es unverzüglich zurück an den Herd!“, lernten wir.
Schluss mit lustig
Beim Verzehr gilt es achtsam vorzugehen, denn verliert man seinen eigenen Brotwürfel im Käsesee, oder stößt einen fremden von der Gabel, werden vorher vereinbarte Pönalen fällig.
Mitte vergangener Woche bereitete ich uns ein Fondue. Mein Mann und ich stritten weitaus weniger als seinerzeit meine Brüder und ich darüber, wem jetzt welche Fondue-Gabel gehörte und wer wohl seinen Brotbrocken verloren habe. Das Privileg, am Schluss die heiß begehrte Kruste auskratzen zu dürfen, überließ ich ihm ausnahmsweise kampflos. So war auch er vom Schwyzer Credo „Fondue isch guet und git e gueti Luune!“ überzeugt. Viele halten den wohlschmeckenden Gute-Laune-Erzeuger ja gar für die beste Medizin gegen den Winter-Blues.
Ob die Schweizer das Gericht überhaupt erfunden haben, ist dabei fraglich: Schon in dem Homer zugeschriebenen Epos Ilias ist eine Speise aus geriebenem Ziegenkäse, Mehl und Weißwein beschrieben. Fix ist hingegen, dass die Eidgenossen, die sogar Weltmeisterschaften in der Disziplin Käsefondue-Zubereitung ausrichten, jetzt um den Fortbestand ihrer Tradition in geselligen Runden bangen. Schluss mit lustig macht nämlich auch vor dem Nationalgericht nicht halt: Umständehalber sollen von einem Caquelon künftig nur noch Menschen gemeinsam essen, die auch ein Bett teilen.