Kolumnen

Johannas Fest: Häppchen für den kleinen Hunger

Unlängst luden Manuela, mein Mann und ich unsere Freunde Rita und Gregor in ein Restaurant im Waldviertel ein. Gregor trudelte etwas verspätet ein, was unsere Cocker-Spaniel-Hündin Amy zum Anlass nahm, sich gleich einmal auf seinen Sessel zu setzen. Der reizende junge Ober drückte nicht nur beide Augen zu, sondern brachte auch gleich unaufgefordert einen großen Napf frischenWassers für den vierbeinigen Gast. Als Gregor mit zehnminütiger Verspätung eintraf, wurde wortlos ein sechster Sessel an den Tisch geschoben. Unsere Amy hatte an diesem Tag noch gar nichts gefressen und so fasste ich mir ein Herz: Ich fragte denKellner, ob er den Koch vielleicht dazu motivieren könnte, eine Schüssel Reis mit etwas Rindfleisch – es muss nicht gerade Tafelspitz sein – zuzubereiten. „Ich zahle auch gerne dafür“, stellte ich klar. Er werde in der Küche nachfragen, was möglich sei, aber jedenfalls hätten sie hier an Rindfleisch ausschließlich Tafelspitz.

Den bestellten wir für uns drei Mal, Rita entschied sich für einen Schweinsbraten und Gregor für ein Wiener Schnitzel.

Querverkostung

Amys Hauptspeise kam kurz, nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben hatten. Manuela und ich entdeckten an unserer langjährigen Freundin eine bisher unbekannte Eigenschaft: ungezügelte kulinarische Neugierde auf die Speisen der anderen. „Bitte schneid’ mir ein Stück von deinem Schnitzel runter“, forderte sie ihren Göttergatten auf. „Den Tafelspitz muss ich auch kosten“, verlautbarte sie, ehe ihre Gabel schon in meinen Röstkartoffeln gelandet war und ihr Manuela bereitwillig ein großzügiges Stück von ihrer Portion gekochten Rindfleischs herunter geschnitten hatte. Während sich Rita die Spenden ihrer Mitesser – nicht eben zurückhaltend mit Apfelkren und Schnittlauchsauce garniert – einverleibte, kam es zum Embargo: „Schnittlauchsauce kriegst’ keine mehr, davon haben wir selbst zu wenig“, schob Manuela weiteren Zugriffen auf die begehrte Beilage einen Riegel vor.

Ich fragte mich insgeheim, warum unser Gast wohl einen Schweinsbraten bestellt hatte, der bis dahin unberührt auf ihrem Teller erkaltete. Wollte sie das Budget der Einladenden schonen, indem sie das billigste Gericht auf der Karte gewählt hatte? „Den packen Sie mir bitte ein, den esse ich zu Hause“, ersuchte sie den freundlichen Kellner und setzte ihre Kreuz- und Querverkostungenweiter fort. Rita ist gertenschlank. Vielleicht turnen sie große Portionen ab, bei den kleinen Häppchen-Spenden bleibt die Übersicht über die konsumierten Kalorien hingegen aus.

In Wien gab es einmal ein Restaurant namens „Lustig Essen“, in dem man heimische Spezialitäten in Tapas-Größe servierte. Das wäre das Richtige für Rita gewesen. Weniger im Kost- als im Fressmodus war Amy: Den für einen Bernhardiner mehr als ausreichend gefüllten Hundenapf vertilgte sie mit ebenso großer Freude wie Gier, ganz so als gäbe es daheim nie was zum Futtern. – Wäre der Kellner mit der Alu-Folie nicht schneller gewesen, hätte sie sich glatt auch des von Rita verschmähten Schweinsbratens erbarmt.