Kolumnen

Johannas Fest: Das letzte Abendmahl

Vergangenen Montag trafen wir uns noch einmal mit unseren Gourmet-Freunden Christoph und Julian in einem Restaurant; zu einer Art Abschiedsessen von der Gastronomie, sozusagen. Das hatten wir wohl mit vielen Wienern gemeinsam, wie wir schon bei der Reservierung merkten.

Einmal noch wollten wir genießen, was wir trotz eigener recht ambitionierter Kochkünste nie selbst zubereiten: chinesische Küche. Das Stammlokal unserer Freunde im 1. Bezirk hatte keinen Platz mehr frei. Da es das für wohl mehrere Wochen letzte Abendmahl im Restaurant sein würde, entschieden wir uns für „Fine Dining“. Wir wählten ein Lokal, das nicht nur für seine gehobene Küche, sondern auch für das moderne Design seines Interieurs bekannt ist. Augenschmaus und Gaumenfreuden erwarteten uns am Ziel im Weinbaugebiet Nussdorf.

Auch mit unserer Lokalwahl waren wir nicht allein: Es gab nur noch einen Vierertisch und den nur von 18.30 bis 20 Uhr.

Hinter zwei goldenen Tempelwächtern und unter einem Plafond voll leuchtender Lotusblätter aus Kupfer nahmen wir Platz. Als Aperitif gönnten wir uns ein Glas Crémant de Loire. Wir prosteten einander zu und beschlossen, eine Corona-Familie zu werden, die sich zumindest einmal in zwei Wochen zu einem hausgemachten Mittagessen trifft.

Schutzengel

Als Hors d’oeuvre genossen wir eine Thunfisch- und eine Garnelen-Rolle. Julian und mein Mann teilten sich das Peking-Enten-Menü. Ein höchst aufwendiges Gericht: Zuerst wird die Ente mit 16 Gewürzen mehrere Stunden lang gebeizt, erneut mariniert, im Ofen gegrillt und dann mit heißem Öl übergossen. Die Haut war zum Krachen knusprig, das Fleisch kam zartrosa zu Tisch. Dann war Handarbeit der Gäste angesagt: Hauchdünne Reisfladen waren mit Gurken-, Lauch- und Mangostreifen sowie Entenstücken zu belegen und einzurollen, ehe sie mit den Fingern gegessen wurden.

Ich bestellte knusprige Ente und Christoph Spareribs.

Obwohl wir alle vier keine „Süßen“ sind, orderten wir an diesem Abend auch noch Desserts. Der kleine Verdauungsspaziergang mit unserem Hund entlang der Donau war wie ein Traum. Der Mond tauchte die Quais und das im ausgehenden Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Otto-Wagner-Gebäude in ein mystisches Licht. Vor uns lag ein Hausboot und die beiden Löwen an den Brückenenden über dem Nussdorfer Wehr blickten majestätisch auf uns herab. Mit viel Fantasie konnte man sich vorgaukeln, in Venedig zu sein. Christoph und Julian wollten uns noch zu einem Abstecher in die Innenstadt überreden, wozu wir aber einerseits zu müde und andererseits auch zu risikoscheu waren, Stichwort „Kontaktzahlen“.

Wir zückten die Handys, um Erinnerungsfotos zu machen. Da trudelten die ersten Horrormeldungen ein. Unsere beiden Freunde, die in unmittelbarer Nähe des zutiefst erschütternden Geschehens wohnen, kamen in dieser Nacht nicht mehr nach Hause. Sie mieteten ein Hotelzimmer in der Nähe des Naschmarkts, wohin sie auf einen Digestif gefahren waren. In unserer Wohnung angelangt, schalteten wir sofort die Nachrichten ein und erst da wurde uns das Ausmaß der Tragödie bewusst. Und dass wir einen Schutzengel hatten: Das Stammlokal unserer Freunde, in das wir ursprünglich gehen wollten, befindet sich in der direkten Schusslinie des Terroristen.