Herzbaum und Herbsthund
Von Birgit Braunrath
Daria fliegt uns entgegen. Eigentlich war ja geplant, dass ich sauer auf sie bin. Aber sie schaut so süß aus, wie sie im gestreckten Galopp daherfetzt. Der Herbst steht ihr gut.
Ich halte ja Design-Anforderungen in der Hundehaltung nicht für wesentlich und habe noch nie überprüft, ob Daria zu meiner Handtasche passt oder ob sich ihr Beige-Braun-Weiß-Schwarz-Dekor mit meinem Mantelmuster schlägt.
Dennoch finde ich: Der Herbst steht Daria ganz besonders gut. Es ist beinahe magisch, wie sich die Beige-Brauntöne ihres Haarkleids und das satte Orange ihres Brustgeschirrs optisch so unters bunte Herbstlaub mischen, dass man den Hund glatt aus den Augen verlieren könnte. – Genau das geschah übrigens am vorigen Sonntag. Allerdings nicht aufgrund von Darias herbstlichen Tarnfarben. Wir haben sie aus den Augen verloren, weil sie nicht da war.
Grantig sein macht nicht satt
Dass Daria mit freiem Auge nicht mehr sichtbar war, lag möglicherweise an der Vorliebe ihres Herrls, die Leine in der Jackentasche statt an Darias Halsband zu tragen. Der Mann meint das nicht so böse, wie er mich damit macht. Er leidet nur, wie viele Männer, unter der Vorstellung, man würde ihn selbst an die Kette legen, sobald man den Hund anleint.
Einige Minuten lang erwog ich, grantig zu sein. (Was heißt, ich „erwog“? Ich WAR grantig. Denn ich hatte Riesenhunger und wir wollten zu unserer Lieblingshütte wandern.) Dann aber stellte ich fest, dass es mich weder satt noch froh machte, auf Mann und Hund böse zu sein. Also dachte ich: Gut, dann basteln wir eben etwas Schönes daraus.
Es war ein warmer Nachmittag. Wir setzten uns ins Wurzelgeflecht einer Buche, warteten auf den Herbsthund und redeten über Themen, über die zu reden wir sonst nie die Zeit haben und den inneren Anlauf nehmen. Die Zeit verflog, und als es kühl wurde, flog uns auch Daria entgegen, im gestreckten Galopp.
Ich war viel zu glücklich, um, wie geplant, sauer auf sie zu sein. Und der Mann sagte im Weggehen: „Schau, der Baum hat ein Herz!“ Tatsächlich sind wir, obwohl man den Wald vor lauter Bäumen nicht sah, genau unter jener Buche gesessen, in deren Stamm ein Herz eingeritzt war. Den Baum habe ich mir gemerkt. Ich werde wieder kommen. Mit Leine.