"Klima-Ängstlichkeit": Wie der Klimawandel auf die Psyche schlägt
Die UN-Klimaverhandlungen schienen vielen lange Zeit sehr abstrakt. Mittlerweile beschäftigen sich aber immer mehr Menschen mit den Risiken der Erderwärmung und deren Folgen für das eigene Leben. Mitunter entwickeln sich auch Ängste und andere psychische Probleme. In den USA gibt es dafür schon einen Namen: "climate anxiety" - "Klima-Ängstlichkeit".
Kate Schapira, Dozentin an der renommierten Brown University im Ostküstenstaat Rhode Island, kennt dieses Phänomen schon seit Jahren - von sich selbst und aus ihrer Beratung anderer Betroffener. Wegen der klimaschädlichen Wirkung jedes einzelnen Menschen hat sie sich entschieden, keine Kinder zu bekommen, und in ein Flugzeug steigen will die 40-Jährige auch nie mehr.
Ihre Beunruhigung über die fortschreitende Erderwärmung sei von anderen "wie ein persönliches, individuelles Problem" behandelt worden, erzählt Schapira. Sie habe daher überprüfen wollen, "ob das tatsächlich der Fall ist". Seit 2014 ist die Wissenschafterin regelmäßig auf Wochenmärkten und ähnlichen Veranstaltungen mit einem kleinem Stand präsent, der an den psychologischen Beratungsstand von Lucy in der Comic-Serie "Peanuts" erinnert. "Beratung zu Klima-Ängstlichkeit, 5 Cent. Der Doktor ist da", steht auf einem Schild an Schapiras Stand. Und so können Passanten mit ihr über ihre Zukunftsängste angesichts der Klimakrise sprechen. Schapira hat dabei erfahren, dass sie in ihrer Heimatstadt Providence längst nicht die einzige ist, die der Klimawandel psychisch belastet.
"Besorgt" bis "sehr besorgt"
In einer Umfrage der Universitäten Yale und George Mason vom Frühling gaben sechs von zehn befragten US-Bürger an, dass sie zumindest "irgendwie besorgt" über die Erderwärmung seien. Knapp ein Viertel der Befragten gab sogar an, "sehr besorgt" zu sein.
Der Leiter des Yale-Programms für Klimawandel-Kommunikation, Anthony Leiserowitz, teilt die US-Bürger nach ihrer Reaktion auf den Klimawandel in sechs Kategorien ein - von beunruhigt bis verleugnend. Die allgemeine Annahme, dass vor allem gebildete, liberale Weiße aus der Mittel- und Oberschicht sich über die Erderwärmung Sorgen machten, habe sich in seinen Forschungen nicht bestätigt. Alle Gruppen seien bunt gemischt, sagt Leiserowitz - bis auf die Gruppe der Klimawandel-Leugner. Dort seien "gebildete konservative weiße Männer" eindeutig in der Mehrheit. Und sie unterschieden sich von den anderen "dramatisch" in ihrer Wahrnehmung der Klima-Risiken.
Vertreter aus genau dieser demografischen Gruppe kontrollieren in den USA das Weiße Haus, den halben Kongress und viele der größten Konzerne des Landes. Insofern ist es nicht überraschend, dass Präsident Donald Trump den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen verfügt hat.
Konfliktvermeidung und Resignation
Für die Washingtoner Psychiaterin Lise Van Susteren, die seit 15 Jahren die Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit untersucht, ist das Ignorieren des Klimawandels verbreitet bei "Leuten, die zu leugnen versuchen, dass auch sie verletzlich sind". Ihrer Einschätzung nach empfindet mittlerweile aber "jeder ein bisschen Klima-Ängstlichkeit".
Der US-Psychologenverband stellte 2017 in einem Bericht fest, dass psychische Reaktionen auf den Klimawandel wie "Konfliktvermeidung, Fatalismus, Angst, Hilflosigkeit und Resignation" zunähmen. Van Susteren erläutert, viele Menschen fragten sich, ob ihr Verhalten angesichts eines globalen Problems überhaupt von Bedeutung ist.
Debbie Chang hat sich entschieden, dass sie unabhängig von anderen das Richtige tun will. Die 43-Jährige hat Essstäbchen in ihrer Handtasche dabei, um Einweg-Plastik zu vermeiden, sie benutzt Stoff- statt Papiertaschentücher und bringt in Restaurants eine Metalldose für Essensreste mit.
Lange Zeit sei es schwierig gewesen, Informationen über "Klima-Ängstlichkeit, Klima-Schmerz, Klima-Verzweiflung" zu finden, sagt Chang. Das habe sich mittlerweile geändert. Nach ihrer Erfahrung merken jetzt immer mehr Leute, "dass das ein großes Ding ist".