Wiener Innenstadt: Verkehrsberuhigung mit vielen Ausnahmen
- Einigung auf Verkehrsberuhigung
- Fahrverbot wird alle Kraftfahrzeuge betreffen
- Allerdings mit vielen Ausnahmen
- Inkrafttreten soll es noch vor der Wien-Wahl
- Verkehrsreduktion von 30 Prozent erwartet
- Frühestmöglicher Start wäre Anfang August
- Vorerst Grüne, ÖVP und Neos an Bord
- Die SPÖ gibt sich noch skeptisch
Jetzt ist es offiziell: Die Wiener Innenstadt soll vom Durchzugsverkehr befreit werden.
Grünen-Vizebürgermeisterin Birgit Hebein und der ÖVP-Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, Markus Figl, haben sich auf eine weitgehende Verkehrsberuhigung der City geeinigt, in der Bezirksvertretung wurden auch die Neos an Bord geholt. Wie diese Lösung genau aussehen soll, wurde heute in einer gemeinsamen, grün-türkis-pinken Pressekonferenz verkündet.
Der Kernpunkt: Die City soll noch vor der Wien-Wahl am 11. Oktober autofrei werden soll. Wobei verkehrsberuhigt eher zutrifft: Eine lange Reihe an Ausnahmen wird die Zufahrt für verschiedenste Interessensgruppen, von Anrainern bis hin zu Hotelgästen, regeln.
Raum für Menschen
Dennoch freute sich Hebein über einen historischen Tag: "Wir geben den öffentlichen Raum ein Stück weit den Menschen zurück." Denn die Verteilung des öffentlichen Raums sei nicht mehr zeitgemäß. Autos, die 23 Stunden am Tag stehen würden, nähmen zwei Drittel des verfügbaren Platzes ein. Dafür sei der öffentliche Raum jedoch zu kostbar, er gehöre den Menschen.
Natürlich geht es aber auch um Klimaschutz. Das Fahrverbot sei eine Maßnahme, die zeige, man könne gemeinsam auch etwas gegen die Klimakrise tun, sagte Hebein. Denn: "Es reicht nicht mehr, Arbeitsgruppen einzurichten und zu diskutieren."
Gleichzeitig betonte Hebein, es würde niemand übersehen. Alle Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, würden "dieses weiter verwenden können".
Wie viele der aktuell 50.000 Fahrzeuge, die täglich in den ersten Bezirk ein- und ausfahren, durch die Verkehrsberuhigung wegfallen werden, kann nur geschätzt werden. Vergeichsdaten aus italienischen Städten ließen aber eine unmittelbare Reduktion um bis zu 30 Prozent erwarten, sagte Hebein. Nach Umgestaltung des frei werdenden Platzes gehen die Grünen von einer deutlich höheren Reduktion aus.
Ziel: Bewohnte Innere Stadt
Auch Bezirksvorsteher Figl freute sich sichtlich über die Einigung. Seit Jahren arbeite man an einem Gesamtverkehrskonzept, für das man sich bemüht habe, "mit allen Stakeholdern zu sprechen". Denn es gehe darum, den 16.000 Bewohnern der Inneren Stadt gleichzeitig mehr Lebensqualität und ihre gewohnte Mobilität zu ermöglichen.
Darum sei das Ziel des Konzepts die Reduktion des Fließverkehrs sowie die Entlastung des Parkraums zugunsten der Bewohner, um auch weiterhin eine bewohnte Innere Stadt zu haben, sagte Figl.
Neos fordern Öffi-Ausbau
Für den Neos-Klubobmann im ersten Bezirk, Christoph Hilscher, war es "besonders erfreulich, dass wir kurz vor der Umsetzung stehen". Da sei ein großer Erfolg für die Bewohner der Inneren Stadt. Gleichzeitig pochte Hilscher auf eine Ausdehnung der Citybuslinien, und zwar sowohl in Hinblick auf die Betriebszeiten als auch auf die Streckenführung. Die städtischen Verkehrsknoten müssten besser an die Innere Stadt angebunden werden.
Entsprechende Anträge, konkret auf Ausweitung der Betriebszeiten auf Sonn- und Feiertage sowie eine Streckenausweitung, würden noch in der heutigen Bezirksvertretungssitzung eingebracht.
Auch eine "ordentliche Evaluierung" war dem Liberalen ein Anliegen - eine solche kündigte Hebein dann auch an.
Die SPÖ war bei der Pressekonferenz nicht vertreten - was Hebein und Figl explizit bedauerten. Bei den - betont - "konstruktiven Gesprächen" am Dienstagabend sei die SPÖ noch vertreten gewesen, berichtete das grün-türkise Duo. Zudem sei sie "in permanent guter Abstimmung" mit Bürgermeister Michael Ludwig, betonte Hebein. Dieser sei auch "selbstverständlich" der erste gewesen, den sie über die Einigung informiert habe.
Skeptischer Ludwig lädt zum Gespräch
Ludwig will sich das Verkehrskonzept nun von Hebein und Figl erläutern lassen und werde die beiden dazu "zeitnah" zu einem Gespräch laden. Die Ausführungen heute seien doch "sehr allgemein" gehalten gewesen und er hätte gerne gewusst, "wie das alles zu verstehen ist", sagte Ludwig - und forderte ein "schlüssiges Konzept". Aus der Pressekonferenz hätte er dies noch nicht herausgelesen. Prinzipiell sei er für verkehrsberuhigende Maßnahmen, bekräftigte der Bürgermeister, der über ein etwaiges Veto zum City-Vorhaben heute nicht spekulieren wollte.
Am Dienstag hatte Ludwig am Rande eines Medientermins noch gesagt, er kenne keine Details des Plans, daher könne er ihn auch nicht bewerten. Grundsätzlich sei er für Verkehrsberuhigung, doch es müsse sichergestellt sein, dass es ein gutes Miteinander aller Betroffenen wie Anrainer oder Wirtschaftstreibende gebe: "Und besonders im 1. Bezirk gibt es da divergierende Interessen, die man natürlich unter einen Hut bringen muss."
Ordentliches Verfahren
Diese divergierenden Interessen sollen nun in einem ordentlichen Verfahren unter Leitung der MA 46 (Verkehrsorganisation und technische Verkehrsangelegenheiten) berücksichtigt werden. Auch darüber zeigte sich Ludwig verwundert; nämlich insofern, dass nicht gleich ein Konzept vorgelegt worden sei, sondern wichtige Fragen erst im Begutachtungsverfahren geklärt werden sollen. Die Punkte hätte man vorher besprechen sollen. Er sei auch gespannt, ob das Verfahren bis zur Wahl im Oktober überhaupt abgeschlossen werden könne.
Als sehr wichtig erachtete der Stadtchef auch, die Auswirkungen auf die angrenzenden Bezirke zu prüfen: "Man muss alle einbeziehen, die betroffen sind. Weil natürlich wird es meiner Meinung nach einen Verdrängungseffekt geben."
Die kürzestmögliche Dauer des Verfahrens, von der Einladung bis zur Verhandlung, betrage drei Wochen, sagte der ebenfalls anwesende, zuständige MA-46-Abteilungsleiter Markus Raab. Unter Einbeziehung aller weiteren Fristen bedeutet das, dass das City-Fahrverbot - frühestmöglich - mit Anfang August in Kraft treten kann.
Anfangs soll das Fahrverbot mittels Zonenbeschilderung gekennzeichnet werden, mittelfristig strebt die Stadt aber eine elektronische Zufahrtslösung an. Für diese soll jedoch erst eine Umsetzungsstudie beauftragt werden, damit sich die Lösung "auch international sehen lassen kann", sagte Hebein. Darüber gebe es auch eine fraktionsübergreifende Einigung.
Diese übergreifende Einigkeit - mit Ausnahme der FPÖ - betonte auch Figl: "Alle Fraktionen, die guten Willens waren, waren dabei." Die Freiheitlichen forderten Bürgermeister Ludwig hingegen in Person von Stadtparteichef Dominik Nepp dazu auf, das "schwarz-grüne Pantscherl für die autofreie Innenstadt“ zu stoppen. Nepp warnte in einer Aussendung davor, dass die Verkehrsberuhigung die ohnehin schon von der Coronavirus-Krise schwer gebeutelten Unternehmen weiter belasten werde und wetterte über einen "Überfall auf die Bürger".
Der Plan und die Ausnahmen
Grundsätzlich wird ein Fahrverbot für alle Kraftfahrzeuge, also auch Motorräder, umgesetzt. Zudem dürfen nur mehr Anrainer, Menschen mit Behinderung und Fahrzeuge für Ladetätigkeiten im öffentlichen Raum parken. Folgende, großzügige Ausnahmen sind jedoch vorgesehen:
- AnrainerInnen mit Hauptwohnsitz (Nachweis durch Parkpickerl für den ersten Bezirk)
- Direkte Zufahrt zu (privaten und öffentlichen) Garagen
- Unternehmen mit Standort im ersten Bezirk
- Außendienst-Mitarbeiter mit "notwendiger, wiederkehrender Servicetätigkeit" im ersten Bezirk
- Beschäftigte, die außerhalb der Öffi-Betriebszeiten beruflich zufahren müssen
- Sozial- und Pflegedienste
- Menschen mit Behinderung
- Taxis und Gästewagen des Gewerbes
- Hotelgäste
- Diplomaten
- Fahrzeuge für Ladetätigkeiten
- Einsatzfahrzeuge und öffentliche Dienstleister wie Müllabfuhr, Pannendienste oder Baufahrzeuge
- Linienbusse und Omnibusse mit entsprechender Erlaubnis sowie
- Fahrräder und
- Fiaker