Chronik/Wien

Bäume und Parks: Wo Wien am grünsten ist

Katrin Hagen bleibt vor einem Metalltor in der Margaretenstraße stehen. Es ist ein gewöhnliches Metalltor, wie es gewöhnlicher nicht sein könnte. Graue Metallstreben, Schild drüber, eine Tür.

Aber Katrin Hagen, Stadtklima-Forscherin am Institut für Städtebau und Landschaftsarchitektur der Technischen Universität Wien (TU), nimmt dieses Tor sehr ernst.

Denn das, was sie gleich erzählen wird, sollte man wissen, bevor man eintritt, sagt sie.

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„Was Sie gleich sehen werden, waren einmal alles kleine private Hinterhöfe.“ Mit nicht mehr als ein paar Meter breiten Grünstreifen, wie es sie bei Gründerzeitbauten oft gibt.

Und Katrin Hagen hat Recht: man sollte das wissen, bevor man das Tor öffnet. Denn unmittelbar danach steht man in einem riesigen Innenhof-Garten mit vielen Bäumen und Sträuchern.

Mit einer Wiese, einer großen Sandkiste für Kinder, Parkbänken und Picknicktischen. Hie und da stehen Bobbycars herum, es gibt einen Kinderspielplatz.

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Planquadrat (oder Planquadrat-Garten oder Planquadrat-Park) heißt das Kleinod, das dort niemand jemals erwarten würde. Eingebettet zwischen den Häuserzeilen der Schikaneder-, Mühl- und Preßgasse im 4. Bezirk liegt der 5.100 Quadratmeter große Park.

Das besondere: Es ist kein städtischer, sondern ein privat geführter, für die Öffentlichkeit zugänglicher Park.

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1973 gründete sich eine Bürgerbewegung – angeführt von zwei ORF-Journalisten. Ihr Ziel: die insgesamt 34, zum Teil betonierten, zum Teil mit Stacheldraht begrenzten Innenhöfe zu einem großen gemeinsamen Garten umzugestalten.

Mit entsprechender medialer Unterstützung gelang es den Anrainern damals, die Bezirkspolitiker zu überzeugen. Die Stadt ebnete den rechtlichen Weg und legte den Park an, die Anrainer verpflichteten sich im Gegenzug zur Instandhaltung.

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1977 wurde er eröffnet, bis heute funktioniert er so, wie damals angedacht. „Dieser Park hat eine Qualität, die man im dicht verbauten Stadtgebiet sonst nicht findet“, sagt TU-Forscherin Katrin Hagen.

Seitdem kam nichts Vergleichbares nach.

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Wien hat einen Gesamtgrünanteil von 53 Prozent – das ergab das sogenannte Grünraum-Monitoring der MA 22 (Umweltschutz) für das Jahr 2019. Innerhalb von 10 Jahren ist der Grünanteil damit um 2 Prozent gestiegen. Die Wiener Stadtpolitik ist bei dem Thema nicht um Eigenlob verlegen.

Auch nicht, was den Anteil der versiegelten Flächen betrifft (das sind Flächen, auf denen ein Gebäude errichtet wurde oder unbebaute Flächen, die mit Beton, Asphalt oder Pflastersteinen befestigt wurden, Anm.).

Denn der liegt in Wien bei 30 Prozent. So niedrig ist der Anteil in keiner anderen europäischen Stadt. Darf sich Wien also zurecht selbst feiern, weil es üppig grün und im vergleich wenig verbaut ist?

Außen grün, innen grau

„Ich stelle die Gegenfrage“, sagt Raumplanerin Katrin Hagen. „Wo ist Wien denn so grün?“ Und die Antwort ist einfach: am Stadtrand. Das, was Wien den hohen Grünraum-Anteil beschert, ist der berühmte „Grüngürtel“, also die vielen Hektar Wald rund um die Stadt.

Der Wienerwald im Süden und Westen, die Lobau im Osten, der Lainzer Tiergarten im Westen.

In der Innenstadt gibt es dagegen wenig Grünflächen. Denn die innerstädtischen Grünflächen bestehen zu einem großen Teil aus den historischen Parks (Burggarten, Volksgarten, Augarten; auch Schönbrunn zählt dazu) und den großen städtischen Parks wie Stadtpark oder Prater.

Ansonsten gibt es viele Beserlparks, die im Wesentlichen aus Bänken bestehen, nicht aber aus Wiesen.

Dass die Wienerinnen und Wiener heutzutage überhaupt im Stadt- oder Türkenschanzpark in der Wiese sitzen (oder liegen) dürfen, haben sie sich selbst zu verdanken. Weil der Druck aus der Bevölkerung so groß wurde, hob die Stadt 2007 das sogenannte Liegeverbot auf.

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Liegen verboten

Auch die Bundesgärten genehmigten das „Sitzen, Liegen und Stehen“ – etwa auf der großen Wiese im Burggarten. Im Volksgarten darf man allerdings noch immer nicht auf den Wiesen liegen. Und auch auf der Gloriette-Wiese hinter dem Schloss Schönbrunn gilt: Betreten verboten.

„Der Druck auf Grünflächen, die man auch betreten kann, ist enorm groß“, sagt Hagen. Das war immer so und ist heute nicht anders. In seiner großen Bezirksumfrage etwa wollte der KURIER von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Bezirke 1 bis 9 – also des dicht verbauten Stadtgebiets – wissen, wie wichtig mehr Grünanlagen in den Grätzeln wären.

Das Ergebnis ist so eindeutig wie bisher kaum ein anderes der Umfrage: 77,12 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer finden Grünflächen in der Stadt sehr wichtig. 18,8 Prozent halten das Thema für unwichtig.

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„Betonwüste“

Am größten ist der Wunsch nach Grün derzeit in Margareten. 8,8 Hektar sind dort als Grünfläche ausgewiesen. Weniger sind es nur in Mariahilf, Neubau und in der Josefstadt.

Selbst aus Wien-Landstraße – einem Innenstadt-Bezirk, in dem es vergleichsweise viele Parks gibt – schreiben Leser dem KURIER, es brauche „Grün, Grün, Grün“. Das Fasanviertel etwa sei eine regelrechte „Betonwüste“.

Dass es tatsächlich Grätzel in der Stadt gibt, in denen es in Sachen Grünraum Luft nach oben gibt, hat die Stadt erkannt. Und auch, dass es dort, wo es viel Beton und wenig Grün gibt, entsprechend heißer ist.

Das „Coole Straßen“-Projekt von Planungsstadträtin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) setzt dort an. Es schafft mit kleinen Umbauten Grün- und Aufenthaltsräume im Schatten.

Aber wird man durch Projekte wie diese effektiv mehr Grün schaffen? „Die coolen Straßen sind nicht die Lösung“, sagt Forscherin Katrin Hagen. „Aber sie sind ein Ansatz, um Bewusstsein zu schaffen.“

Denn: „Ja, es fehlt Grün im dicht bebauten Stadtgebiet“, sagt Hagen. „Aber es ist nicht so, dass die Stadt das ignoriert.“

Die Sache sei nur: die Umsetzung.

"Jeder will einen Baum vorm Haus"

Im dicht verbauten Gebiet einen neuen Park aus dem Boden zu stampfen, wird beispielsweise eher nicht möglich sein. Andere Möglichkeiten gebe es aber genug: Wenn man nicht jede Baulücke auch tatsächlich verbaut, können darauf Grünflächen entstehen.

Wenn neben kleineren, bestehenden Parks Flächen frei werden, könnte man eine größere, vernetzte Grünfläche daraus machen.

Man müsse sich auch unpopuläre Maßnahmen überlegen. Sollen auf bestehenden großen Grünflächen Lokale eröffnen? Oder könnte man stattdessen versuchen, solche Parks den Wienerinnen und Wienern zugänglich zu machen?

Und ja, oft gehe mehr Grünraum auf Kosten der Straße. „Jeder will einen Baum vor dem Haus, aber keiner will einen Parkplatz dafür aufgeben“, sagt Hagen. Jeder hätte gern einen Park vor der Haustür, aber der Lärm spielender Kindern stößt auf wenig Gegenliebe.

Rücksichtnahme ist wichtig, sagt die Expertin. Aber: „Man muss sich auch trauen, was umzusetzen.“

Bestes Beispiel: die Begegnungszone Mariahilfer Straße. Einst gescholten, hat sie mittlerweile Nachfolger in der Herrengasse, der Otto-Bauer-Gasse, der Rotenturmstraße und bald auch in der Neubaugasse bekommen.

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