Chronik/Wien

Opfer wäre fast gestorben: Neues Verfahren um Missbrauch in Wien

Am Wiener Straflandesgericht haben sich Geschworene am Donnerstag mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ein Mann, der am 12. Juli 2020 eine 30 Jahre alte Kindergartenpädagogin missbraucht und dabei so schwer verletzt haben soll, dass sie beinahe verblutet wäre, auch des Mordversuchs durch Unterlassung schuldig ist. Der Oberste Gerichtshof hatte das Urteil nämlich wegen eines Belehrungsmangels der Geschworenen aufgehoben.

Der Prozess gegen insgesamt drei Angeklagte ging vor einem Jahr über die Bühne. Der mittlerweile 35-jährige Hauptangeklagte fasste wegen versuchten Mordes und sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen Person 20 Jahre Haft aus. Ein ehemaliger Fußballprofi (25) wurde wegen Missbrauchs schließlich zu acht Jahren Haft verurteilt. Der nun neuerlich vor Gericht stehende 40-Jährige erhielt damals sowohl wegen Missbrauchs als auch wegen Mordversuchs in Form unterlassener Hilfeleistung 14 Jahre Haft, weil er für die 30-Jährige trotz starker Blutungen keine Rettung geholt habe.

Strafhöhe muss neu entschieden werden

Nach einer Nichtigkeitsbeschwerde hob der OGH zumindest das Urteil bezüglich des Mordversuchs und die Entscheidung über die Strafhöhe auf, da die Geschworenen nach Ansicht des Höchstgerichts nicht ausreichend über die Voraussetzung einer Begehung durch Unterlassung aufgeklärt wurden. Die Rechtsbelehrung der Laienrichter muss mündlich und schriftlich erfolgen. Somit kam es zu dieser sogenannten Instruktionsrüge durch den OGH. Das Urteil wegen Missbrauchs ist bereits rechtskräftig. Heute wurde bezüglich des Mordversuchs neu verhandelt. Auch über die Strafhöhe muss neu entschieden werden.

Der Fall wurde bereits im Herbst 2020 gerichtlich behandelt. Doch aufgrund der schweren Verletzungen des Opfers erklärte sich das erste mit dem Fall betraute Gericht für unzuständig, die Anklage wurde daraufhin ausgeweitet. Neben sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen Person mussten sich die Männer daraufhin im Juni 2021 auch wegen Mordversuchs - teils durch Unterlassen - vor Geschworenen verantworten.

Übergriffe nach Party

Die Frau hatte in der Nacht auf den 12. Juni 2020 nach einer Privatparty einen der Angeklagten in einem Lokal nahe des Naschmarktes kennengelernt. Die 30-Jährige und der 25-jährige Profifußballer kannten einander vom Sehen bzw. von der Social Media-Plattform Instagram. Gemeinsam mit zwei Männern, mit denen die beiden zufällig vor dem Lokal ins Gespräch kamen, fuhren sie in eine Wohnung in Meidling. Dort kam es zu den folgenschweren Übergriffen.

Stundenlang wurde die Frau, die durch den Alkohol und die Drogen immer wieder bewusstlos wurde, missbraucht. Laut Anklage hatte sie eine hochgradige Mischintoxikation, sodass sie sich nicht mehr wehren konnte. Obwohl sie bei den Misshandlungen von dem Hauptbeschuldigten so schwer verletzt wurde, dass sie eine zehn mal fünf Zentimeter große, stark blutende Wunde davontrug, kamen ihr die Männer nicht zu Hilfe und missbrauchten sie weiter.

"Die ganze Wohnung war voll Blut"

Die Frau war so schwach, dass sie nicht einmal alleine nach Hause fahren konnte. Der 25-Jährige begleitete sie zwar, holte aber nicht die Rettung, sondern ließ die junge Frau einfach alleine, als er hörte, dass die Mutter der 30-Jährigen kommen wollte. "Die ganze Wohnung war voll Blut", berichtete die Mutter. Nur eine Notoperation rettete das Leben des Opfers. "Dass sie nicht gestorben ist, war ein riesengroßes Glück", merkte die Staatsanwältin an. "Die Verständigung der Rettung hätte viel früher erfolgen müssen." Die 30-Jährige wird ihr Leben lang mit den Folgen zu kämpfen haben, sowohl körperlich als auch psychisch.

Am Donnerstag stand deshalb vor allem im Raum, ob der mittlerweile 40-Jährige hätte erkennen können, dass die Frau in Lebensgefahr war. Beim Zufügen der Verletzungen durch den Hauptbeschuldigten hatte er kurzfristig zum Duschen den Raum verlassen. Allerdings, betonte die Staatsanwältin in ihrem Eröffnungsplädoyer, gebe es bestimmte Personengruppen, die zum Hilfeholen rechtlich verpflichtet sind, wie etwa jene Personen, die ein gefahrenbegründetes Verhalten an den Tag gelegt haben.

Für seinen Mandanten sei nicht erkennbar gewesen, dass sich die Frau ernsthaft in Gefahr befunden hätte, sagte Anwalt Bernhard Brehm. Die Frau habe noch ein Taxi gerufen und die Wohnung aufrecht verlassen. Zudem hätte sie zwei Stunden später noch mit der Polizei sprechen können. "Ich hätte nie gedacht, dass sie in Gefahr wäre", sagte der Beschuldigte. "Nie im Leben." Er dachte, die Frau sei übernächtigt und beeinflusst durch Drogen und Alkohol.

Zwei oder mehr Liter Blut verloren

Laut der gynäkologischen Sachverständigen Sigrid Schmidl-Amann hatte die 30-Jährige "zumindest zwei Liter Blut verloren. Ich glaube, dass es mehr war". Ein im Spital im Unterleib entdecktes Blutgerinnsel hatte einen Umfang von 750 Milliliter, also fast einen Liter Blut. Auch die Mutter der Frau berichtete, dass ihr ihre Tochter in vor Schmerz gebückter Haltung und mit grauer Gesichtsfarbe die Türe geöffnet habe. Immer wieder habe sie das Bewusstsein verloren und zu sich selbst gesagt, "nein, ich darf nicht einschlafen". Für die Frau war die Lebensgefahr ihres Kindes deutlich erkennbar.

Nach einer Mittagspause wird die Aufzeichnung der kontradiktorischen Einvernahme unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgespielt. Mit einem Urteil wird am späten Nachmittag bzw. Abend gerechnet.