Arzt soll bei Geburt nicht nach Vorschriften vorgegangen sein
Am Wiener Landesgericht für Zivilrechtsachen (ZRS) ist am Donnerstag um das Schicksal eines mittlerweile dreijährigen Mädchens verhandelt worden, bei dessen Geburt in einer Wiener Klinik es zu Komplikationen gekommen war.
Die Nabelschnur hatte sich um den Hals gewickelt, was zu einem Sauerstoffmangel und einem Stopp des Pulsschlags führte. Die Neugeborene war postnatal zunächst ohne Lebenszeichen, musste wiederbelebt werden und ist schwerst behindert.
Kind leidet an Epilepsie
Das Kind kann nicht selbstständig essen und wird über eine Sonde ernährt. Die Dreijährige leidet an Epilepsie, was zur Folge hat, dass sie aufgrund von Anfällen mitunter wochenlang in einem Spital stationär behandelt werden muss. Immer wieder treten Krampfanfälle auf. Sie kann nicht selbstständig sitzen und wird vermutlich nie gehen und sprechen können.
Die Betroffene und ihre Eltern haben in diesem Zusammenhang den Geburtshelfer - einen erfahrenen Facharzt für Frauenheilkunde - und dessen Versicherung geklagt.
Die Rechtsvertreterin der Familie, die Wiener Rechtsanwältin und Humanmedizinerin Astrid Hartmann, wirft dem Arzt eine Kette von schweren Behandlungsfehlern vor. Er hätte anhand der Aufzeichnungen des Wehenschreibers erkennen müssen, dass die Herzschlagfrequenz des Ungeborenen nicht in Ordnung war, und sofort die Entbindung einleiten müssen.
Bei der Mutter - einer damals 38 Jahre alten Frau - sei ein Epiduralkatheter gesetzt worden statt einen dringend gebotenen Kaiserschnitt in die Wege zu leiten.
Umfangreiche Klage
Die Familie macht in ihrer Klage neben Schmerzengeld und Pflegekosten unter anderem die Kosten für die Anmietung einer Erdgeschoßwohnung, den Einbau eines Lifts und die Vergrößerung ihrer Wohnung durch Ankauf der Nachbarwohnung geltend.
Die Mutter der Dreijährigen behauptet, in dem Spital sei auf die immer schwächer werdenden Herztöne des Ungeborenen viel zu spät reagiert worden.
Das CTG - ein Verfahren, das gleichzeitig die Herzfrequenz des Babys im Bauch und die Wehentätigkeit aufzeichnet - sei schon ab 18.55 Uhr suspekt gewesen, der Gynäkologe habe dessen ungeachtet nicht sofort die Notfallkette in Gang gesetzt, keine Sectio (Fachausdruck für Kaiserschnitt, Anm.) eingeleitet oder sonstige gebotene medizinische Maßnahmen gesetzt.
Ihre Tochter sei erst weit nach 21.00 Uhr mittels einer Vakuumextraktion avital zur Welt gebracht worden und habe mehrfach wieder belebt werden müssen, heißt es in der Klage der Frau und ihres Mannes.
"Kunstfehler"
Der Arzt bestreitet den Vorwurf, ihm sei ein "Kunstfehler" unterlaufen. Die Mutter habe trotz Aufklärung die Vornahme eines Kaiserschnitts verweigert, hatte seine Anwältin Susanne Kurtev (Kanzlei Rast Musliu) im Vorfeld der heutigen Verhandlung erklärt. Die werdende Mutter habe ihrer Hebamme gegenüber im Vorfeld angegeben, sie sei eine Verfechterin der "natürlichen Geburt", sagte Kurtev.
Diese Darstellung wies die Mutter in ihrer heutigen Zeugenaussage in aller Deutlichkeit und mit Bestimmtheit zurück. "Ich hätte mich niemals gegen einen Kaiserschnitt entschieden. Das wusste mein Mann, das wusste meine Gynäkologin, das wusste jeder."
Tatsächlich gibt es SMS der Frau, in die die APA Einsicht nehmen konnte, in denen sie Monate vor der Geburt Bekannten Sätze wie "Zur Not gibt es eh den Kaiserschnitt" sowie "Bin eher der Kaiserschnitt-Typ" schreibt.
Sie sei damals mit plötzlich einsetzenden Wehen ins Spital gefahren, schilderte die mittlerweile 42-Jährige dem Gericht. Dort habe ihr die Hebamme gesagt, das CTG sei schlecht. Ihr sei es dann gesundheitlich nicht mehr gut gegangen, sie habe erbrochen und sei in den Kreißsaal gebracht worden: "Mir war durchgehend schlecht. Meine Frage war dann, ob ein Kaiserschnitt gemacht wird. Das wurde nicht beantwortet bzw. kann ich mich nicht daran erinnern."
Sie habe den Geburtshelfer gefragt "Kommt ein Kaiserschnitt?" präzisierte die Frau. Sie habe in diesem Zusammenhang ihre Hebamme erwähnt, die einen solchen Schritt angedacht hätte. Darauf habe der Arzt "Hebammen reden irgendwas" erwidert: "Er hat das abgetan."
Arzt kommt noch zu Wort
Zuvor war eine zur Geburt beigezogene Anästhesistin unter Wahrheitspflicht als Zeugin vernommen worden - der beklagte Arzt kommt erst beim nächsten Termin zu Wort.
Die Narkoseärztin hatte behauptet, der Frauenarzt habe mit der werdenden Mutter ausführlich gesprochen und dieser erklärt, "dass eine Sectio (Kaiserschnitt, Anm.) dringend notwendig ist, weil das CTG nicht in Ordnung ist". Die Patientin habe darauf "ziemlich laut 'Keine Sectio!' gesagt. Sie hat fast geschrien". Das sei "eher atypisch und ungewöhnlich".
Der Mutter sei vom beklagten Arzt "eindeutig alles erklärt worden", bekräftigte die Anästhesistin: "Es wurde aufgeklärt. Die haben diskutiert vorher." Es sei um die Frage Sectio oder Schmerztherapie gegangen.
"Das stimmt nicht. Es stimmt nichts davon", kommentierte die Mutter der Dreijährigen diese Angaben. Es sei seitens des Arztes "weder darüber (über einen Kaiserschnitt, Anm.) geredet worden noch dass das CTG nicht stimmt." Grundsätzlich habe im Kreißsaal "keine schlechte Stimmung" geherrscht: "Es war für mich nicht besorgniserregend. Die Hebamme war sehr motivierend. Der Arzt war im Raum, er war als Geburtshelfer aber nicht präsent."
Um 21.37 Uhr war ein Kinderarzt zu der laufenden Geburt gerufen worden. Um 21.44 Uhr war dieser Arzt zur Stelle. Das soeben Geborene sei schon "am Reanimationsplatz gelegen", es habe "keine Herzfrequenz und Sättigung" gehabt. "Ich habe sofort intubiert", schilderte der Kinderarzt im Zeugenstand.
15 Minuten nach der Geburt sei "die erste Herzaktion unter Beatmung gekommen". Abschließend bemerkte er: "Mir wäre lieber gewesen, wäre ich schon bei der Geburt dort gewesen. Aber man nimmt es so, wie es ist."
Beweisverfahren bis 2022
Zu Beginn des heutigen Verhandlungstags war am ZRS eineinhalb Stunden über eine außergerichtliche Lösung debattiert worden, was in erster Linie am mitbeklagten Versicherungsunternehmen scheiterte. Daher wurde ein Beweisverfahren in Gang gesetzt, das sich zumindest bis weit ins Jahr 2022 hinein erstrecken wird.
Die Versicherung stellte sich auf den Standpunkt, man könne nicht "Millionen zahlen ohne versicherungsmathematische Berechnung". Ein Gutachten zum Pflegebedarf des Kindes müsse auf jeden Fall eingeholt werden.
Zuvor will die Richterin aber klären, ob der Frauenarzt dem Grunde nach für die gesundheitlichen Schäden des dreijährigen Mädchens haftet. Die Verhandlung wurde auf den 18. Jänner vertagt.