Zu viele Kirchenaustritte: Bayrische Behörden sind überfordert
Im erzkatholischen Bayern hängt der Haussegen schief. Die Zahl der Kirchenaustritte in bayerischen Städten ist nach der Vorstellung des Münchner Missbrauchsgutachtens vor einem Monat förmlich explodiert. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter mehreren Städten in dem deutschen Bundesland. In München verdoppelte sich die Zahl der Kirchenaustritte, wie ein Sprecher des Kreisverwaltungsreferates (KVR) mitteilte. Andere Städte in Bayern bestätigen den Trend.
"In der ersten Januarhälfte, also vor dem Gutachten, hatten wir in München pro Arbeitstag in etwa 80 Kirchenaustritte. Seit dem 20. Jänner, also seit dem Gutachten, sind es um die 150 bis 160 Kirchenaustritte pro Arbeitstag. Also etwa doppelt so viele", so das KVR. Und es könnten sogar noch mehr sein. "Die Nachfrage ist sicherlich dreimal so hoch wie Anfang des Jahres", sagte der Sprecher.
Doch die sei nicht zu bewältigen: "Das Limit ist hier unsere Kapazitätsgrenze, vor allem beim Personal." Dabei habe das KVR die Öffnungszeiten verlängert und mehr Leute eingesetzt. "Trotz erweiterter Öffnungszeiten und Personalumschichtungen wird es wegen der sehr hohen Nachfrage voraussichtlich nicht möglich sein, alle Austrittswünsche zeitnah zu bedienen."
Deutlicher Trend
Das Standesamt Nürnberg meldete zwischen dem Tag der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens am 20. Jänner und dem 14. Februar 617 Kirchenaustritte, davon 381 aus der katholischen, 234 aus der evangelischen Kirche und zwei andere. Vor zwei Jahren - im Vergleichsjahr 2020 - hatte das Standesamt in diesem Zeitraum nur 372 Austritte, davon 200 katholisch, 165 evangelisch und sieben sonstige.
In Ingolstadt erklärten vom 20. Jänner bis zum 17. Februar 254 Personen ihren Austritt aus der Kirche - im selben Zeitraum des Vorjahres waren es 84. "Das Standesamt meldet eine weiterhin große Nachfrage nach Austrittsterminen", sagte ein Sprecher der Stadt.
Sexueller Missbrauch
Das am 20. Jänner vorgestellte und vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) war zu dem Ergebnis gekommen, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt worden waren.
Die Gutachter gehen von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern, zugleich aber von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Sie erhoben schwere Vorwürfe unter anderem gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, dem sie vierfaches Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchsfällen in seiner Zeit als Münchner Erzbischof vorwerfen.