Vorwürfe gegen Alt-Papst Benedikt XVI: "Das tut weh“

Papst Franziskus (re.) hat mehrfach tiefe Wertschätzung für seinen Vorgänger Benedikt XVI. erkennen lassen.
Franziskus fordert „besondere Sorgfalt und Strenge“ bei Missbrauch. Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic verweist auf den Weg der österreichischen Kirche.

Das Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl zu Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising zwischen 1945 und 2019 hat ein gewaltiges Beben ausgelöst. Insbesondere weil einer der früheren Erzbischöfe der spätere, nunmehr emeritierte, Papst Benedikt XVI. ist: Zwischen 1977 und 1982 stand Kardinal Joseph Ratzinger an der Spitze der Erzdiözese. Ihm wird in vier Fällen Fehlverhalten im Umgang mit Missbrauchstätern vorgeworfen.

„Ich bin erschüttert und beschämt“, sagte der gegenwärtige Münchner Erzbischof Reinhard Marx in einer ersten Reaktion. Er nahm nicht an der Präsentation des von der Erzdiözese selbst beauftragten Gutachtens am Donnerstag teil. In einer Woche will er sich – nach gründlichem Studium der knapp 1.900 Seiten – dazu äußern.

Ein Wort aus Rom

Ohne direkte Bezugnahme auf das Gutachten nahm auch Papst Franziskus Stellung zur innerkirchlichen causa prima: Beim Thema Missbrauch sei das Kirchenrecht „mit besonderer Sorgfalt und Strenge“ anzuwenden, so der Pontifex bei einem Treffen mit der Vollversammlung der Glaubenskongregation (deren Präfekt übrigens Ratzinger von 1982 bis 2005 war).

Weder der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn noch sein Salzburger Amtskollege Franz Lackner – er ist auch Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz – wollten sich auf Anfrage des KURIER zum Münchner Gutachten äußern. Als für die Missbrauchsthematik zuständiger Referatsbischof nahm der Feldkircher Oberhirte Benno Elbs Stellung: „Das tut weh“, so Elbs, der sich tief betroffen zeigte. Die Anschuldigungen könne er nicht beurteilen, er halte es aber für wichtig, „dass die Verantwortlichen Stellung nehmen“ – auch Benedikt.

Zudem verwies Elbs auf die einschlägigen Verdienste der Unabhängigen Opferschutzkommission unter Ägide der früheren steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic.

„Mauer des Schweigens“

Diese erklärte in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem KURIER, das Gutachten habe „in erschütternder Weise schwere Verfehlungen der Vergangenheit aufgezeigt“. Die Opfer hätten „oft unvorstellbar Schlimmes erlebt und durchgemacht“ – statt sich dem zu stellen, sei „viele Jahre hindurch vertuscht“ worden. Allerdings habe die Kirche in Österreich, „als die Mauer des Schweigens 2010 durchbrochen wurde“, „im Gegensatz zu anderen Ländern wie Deutschland, Schweiz oder Frankreich gehandelt“. Die von Klasnic geleitete Kommission bearbeitete bis heute rund 2.800 Fälle, in gut 2.600 wurde zugunsten der Betroffenen entschieden, insgesamt wurden mehr als 33 Millionen Euro an Hilfen (die man bewusst nicht „Entschädigung“ nennt) zuerkannt. Die meisten dieser Fälle datieren aus den 60er- und 70er-Jahren, ein knappes Drittel betrifft sexuellen Missbrauch, der Rest hat mit anderen Formen von Gewalt zu tun.

Ins selbe Horn wie Klasnic stieß der Religionssoziologe Paul M. Zulehner, der in der ZiB 2 attestierte, dass die österreichische Kirche „in den Fragen der Prävention und der Bearbeitung von Missbrauchsfällen wahrscheinlich der Weltkirche sogar ein paar Jahrzehnte voraus“ sei.

Auch die deutsche Politik reagierte: Es gelte, „das Vertrauen in den Aufarbeitungswillen der katholischen Kirche und von einzelnen Würdenträgern“ zu stärken, so die Sprecherin von Bundeskanzler Olaf Scholz. Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprach von einem „langen und schwierigen Blick in den Abgrund“.

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