Chronik/Welt

Papst Benedikt empfindet "tiefe Scham" gegenüber Missbrauchsopfern

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirchen um Verzeihung gebeten - konkrete Vertuschungsvorwürfe gegen sich aber entschieden zurückgewiesen. „Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind“, schrieb er in einer Stellungnahme, die der Vatikan am Dienstag veröffentlichte.


Er wolle seine „tiefe Scham“, seinen „großen Schmerz“ und seine „aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck bringen“, heißt es in dem Schreiben weiter.

Fehlverhalten in vier Fällen

Benedikt, der frühere Kardinal Joseph Ratzinger, steht seit Wochen heftig in der Kritik, weil ihm ein Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising Fehlverhalten in vier Fällen vorwirft. Die Gutachter der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) gehen davon aus, dass Ratzinger in seiner Zeit als Münchner Erzbischof Priester, die Kinder missbraucht hatten, wieder in der Seelsorge einsetzte.


Diese Vorwürfe werden in einem ebenfalls am Dienstag veröffentlichten „Faktencheck“ von Ratzingers Anwälten und Beratern kategorisch abgestritten. „Das Gutachten enthält keinen Beweis für einen Vorwurf des Fehlverhaltens oder der Mithilfe bei einer Vertuschung“, heißt es darin. „Als Erzbischof war Kardinal Ratzinger nicht an einer Vertuschung von Missbrauchstaten beteiligt.“
Benedikt äußerte sich auch selbst zu Vorwürfen, er habe über seine Teilnahme an einer Sitzung gelogen, in der es um die Versetzung eines Priesters von Nordrhein-Westfalen nach Bayern ging. Dieser Priester soll später in zwei oberbayerischen Gemeinden wieder mehrere Kinder missbraucht haben. Die falsche Angabe, er sei bei der fraglichen Sitzung nicht dabei gewesen, beruhe auf einem Missverständnis. Das habe sich beim Verfassen der Stellungnahme zu dem Gutachten ergeben, bei dem „eine kleine Gruppe von Freunden“ ihm geholfen habe.

"Ein Versehen"

„Bei der Riesenarbeit jener Tage - der Erarbeitung der Stellungnahme - ist ein Versehen erfolgt, was die Frage meiner Teilnahme an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 betrifft“. Der Fehler sei „nicht beabsichtigt“ gewesen - und „so hoffe ich, auch entschuldbar“, schreibt Benedikt. „Dass das Versehen ausgenutzt wurde, um an meiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, ja, mich als Lügner darzustellen, hat mich tief getroffen.“


Die Teilnahme an der Sitzung belege nicht, dass er von früheren Missbrauchstaten des Priesters aus Essen gewusst habe, betonen Ratzingers Anwälte. Die Akten zeigten, „dass in der fraglichen Sitzung nicht thematisiert wurde, dass der Priester sexuellen Missbrauch begangen hat“, schreiben sie.


Laut dem am 20. Januar vorgestellten Gutachten wurden mindestens 497 Kinder und Jugendliche zwischen 1945 und 2019 in dem katholischen Bistum von Priestern, Diakonen oder anderen Mitarbeitern der Kirche sexuell missbraucht. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es demnach - darunter 173 Priester und 9 Diakone. Allerdings sei dies nur das „Hellfeld“ - es sei von einer viel größeren Dunkelziffer auszugehen.

Er bittet die Gläubigen für ihn zu beten

In seinem Brief bittet Ratzinger die Gläubigen, für ihn zu beten: „Immer mehr verstehe ich die Abscheu und die Angst, die Christus auf dem Ölberg überfielen, als er all das Schreckliche sah, das er nun von innen her überwinden sollte“, schreibt er. „Dass gleichzeitig die Jünger schlafen konnten, ist leider die Situation, die auch heute wieder von neuem besteht und in der auch ich mich angesprochen fühle.“

Wir sind Kirche: "Nichts Neues"

Die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ hat sich enttäuscht gezeigt von der Stellungnahme des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zum Münchner Missbrauchsgutachten. „Der heutige Brief von Joseph Ratzinger, der immer noch als Papst unterschreibt, und die Verteidigungsschrift seiner Anwälte bringen eigentlich nichts Neues“, sagte „Wir sind Kirche“-Sprecher Christian Weisner. „Ratzinger sieht sich selbst immer noch als Opfer, das in übergroße Schuld hineingezogen wurde. Und er ist nicht bereit, zu der nicht delegierbaren Gesamtverantwortung zu stehen, die ein Bischof hat.“