Chronik/Österreich

Corona verändert Mobilität: Der Kampf um die Ressource Platz

Die Corona-Pandemie hat der aktiven Mobilität, also Zufußgehen und Radfahren, einen Schub gegeben. Eine am Donnerstag vorgestellte, repräsentative Umfrage des Verkehrsclub Österreich (VCÖ) ergab, dass 43 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher im vergangenen Jahr mehr zu Fuß unterwegs waren und 26 Prozent mehr Rad gefahren sind.

Das deckt sich auch mit dem vergangene Woche präsentierten Wiener Modal Split für das Jahr 2020, demzufolge die Anzahl der zu Fuß zurückgelegten Wege im Vergleich zu 2019 von 28 auf 37 Prozent und die auf dem Rad zurückgelegten Wege von 7 auf 9 Prozent gestiegen sind.

Platzverteilung

Und: Mehr als die Hälfte der vom VCÖ Befragten will das geänderte Mobilitätsverhalten beibehalten. Dabei gibt es aber auch Hürden, und auch diese seien durch die Pandemie deutlicher zu Tage getreten, sagte VCÖ-Experte Michael Schwendinger bei der Präsentation: "Das Kernproblem ist, dass oft einfach zu wenig Platz zur Verfügung steht. Und Platz ist vor allem in urbanen Räumen eine knappe und umkämpfte Ressource."

So kann der momentan geforderte Sicherheitsabstand von zwei Metern auf vielen Gehwegen nicht eingehalten werden, weil diese schlicht zu schmal sind. "38 Prozent der Gehwege in Wien sind schmäler als die in den Richtlinien vorgeschriebenen zwei Meter, Radwege fehlen oft komplett", so Schwendinger.

Zusätzlich stellen Verkehrsschilder, Laternenmasten, überragende Kraftfahrzeuge, fehlende Straßen-Querungsmöglichkeiten und lange Rotphasen für Fußgänger sowie Radfahrerinnen zusätzliche Hindernisse für den Umstieg auf die aktive Mobilität dar.

Kurze Strecken

Dabei wäre das Potenzial vorhanden: Über 700.000 Autofahrten pro Tag seien kürzer als einen Kilometer, vier Millionen kürzer als fünf Kilometer, rechnete der VCÖ vor. Gleichzeitig sei ein Drittel aller Alltagswege kürzer als 2,5 Kilometer.

Darum fordert der Verkehrsclub eine Neuausrichtung der Verkehrspolitik hin zu mehr Platz für die aktive Mobilität und weg vom Primat des Autos, sprich: eine Überarbeitung der Straßenverkehrsordnung (StVO). Momentan sei diese vorrangig auf die "Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs" hin ausgerichtet, künftig müsse sich das Regelwerk "stärker auf die Gesundheit der Verkehrsteilnehmer" fokussieren, so Schwendinger.

Zu wenig Bewegung

Wobei Gesundheit hier im doppelten Sinn zu verstehen ist: Einerseits führen Verkehrsberuhigung und geringere Tempolimits zu viel weniger tödlichen Unfällen. Andererseits adressiert die Forderung auch das grassierende Problem des Bewegungsmangels, der bereits bei Kindern und Jugendlichen schlagend wird. Nur 17 Prozent der 11- bis 17-Jährigen in Österreich erreichten im Jahr 2018 die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sich zumindest eine Stunde am Tag aktiv zu bewegen.

Die Folgen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Übergewicht, Haltungsschäden, Schlafstörungen und psychische Erkrankungen, die jährliche Kosten in Höhe von 181 Millionen Euro für das öffentliche Gesundheitssystem verursachen.

Welche zusätzlichen, positiven Effekte eine verkehrsberuhigte Innenstadt haben kann, zeige darüber hinaus das Beispiel Hohenems, sagte Schwendinger. Die Vorarlberger Stadt hat ihr Zentrum im Jahr 2016 in einem partizipativen Planungsprozess barrierefrei umgestaltet und verkehrsberuhigt und konnte dadurch den Anteil der Geschäfte in der Innenstadt um 20 Prozent steigern.