Kritik nach Präsentation der Beschwerdestelle von Polizeigewalt
Eine unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle für vermutete bzw. behauptete Polizeiübergriffe war Teil des türkis-grünen Koalitionsabkommens, im Oktober 2020 hatte das Innenministerium die Schaffung einer solchen für die erste Jahreshälfte 2021 angekündigt. Am Montag und somit zwei Jahre später gaben Spitzenvertreter der ÖVP und der Grünen im Rahmen einer Pressekonferenz im Parlament die Einrichtung einer Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe bekannt.
„Mit der Schaffung einer neuen, unabhängigen Beschwerdestelle sorgen wir für einen echten Paradigmenwechsel im Umgang mit Gewalt- und Misshandlungsvorwürfen durch die Polizei. Damit bekommen die Opfer von Polizeigewalt endlich die Möglichkeit, sich an eine Stelle außerhalb der klassischen Polizeistruktur zu wenden“, sagte Justizministerin Alma Zadic (Grüne). Mit der neuen Ermittlungsstelle sei „eine seriöse, gründliche und unverzügliche Aufarbeitung“ bei Vorwürfen in Richtung Polizeigewalt gewährleistet. Das helfe den Opfern, entlaste unter Verdacht geratene Beamtinnen und Beamte, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen und stärke somit auch das Vertrauen der Bevölkerung „in die Demokratie, insbesondere in die Exekutive“, sagte Zadic. Der entsprechende Gesetzesentwurf soll in der kommenden Woche in Begutachtung gehen, die gesetzliche Umsetzung soll noch heuer erfolgen, die Behörde 2024 ihre Arbeit aufnehmen.
Umgehende Kritik
Eingerichtet wird die neue Ermittlungsstelle allerdings im Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) und damit einer Einrichtung des Innenministeriums. Kritik an der von Zadic, dem Sicherheitssprecher der ÖVP, Christian Stocker, dem Grünen Sicherheitssprecher Georg Bürstmayr und Bundespolizeidirektor Michael Takacs präsentierten Stelle kam umgehend. Die Ansiedelung einer vorgeblich unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestelle im BAK, sohin im Bereich des Innenministeriums, sieht die Menschenrechtsorganisation Amnesty International „äußerst problematisch“, da die Stelle unter der Weisungsbefugnis des Innenministers stehe und damit nicht das Kriterium der Unabhängigkeit erfülle.
„Die Unabhängigkeit einer solchen Stelle ist zentral. Die ermittelnde Stelle darf in keiner hierarchischen oder institutionellen Verbindung zur Polizei stehen. Für Österreich bedeutet das, dass eine solche Stelle unbedingt außerhalb der Weisungsbefugnis des Innenministers stehen muss“, meinte Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, noch am Rande der Pressekonferenz. Diesem Einwand begegnete Zadic mit dem Hinweis, es sei „sichergestellt, dass Weisungen stets schriftlich zu erteilen sind“. Man habe keine Ombudsstelle, sondern eine außerhalb der polizeilichen Strukturen stehende Stelle mit polizeilichen Befugnissen - Festnahmen, Sicherstellungen und Hausdurchsuchungen - schaffen wollen. Nur bei einer Stelle, die mit Amtsgewalt ausgestattet ist, sind nach Ansicht der Grünen umfassende Ermittlungen bei Misshandlungsvorwürfen gewährleistet. „Das BAK hat Erfolg damit, wenn interne Überprüfungen anstehen“, bemerkte die Justizministerin.
Gesetzesentwurf
Die neue Ermittlungs- und Beschwerdestelle (EBS) soll sich zunächst aus einer Personenanzahl im mittleren zweistelligen Bereich zusammensetzen. 15 erfahrene Polizeibeamtinnen und -beamten werden die eigentlichen Erhebungen führen, dazu kommen sechs Personen für die Qualitätssicherung und Analyse, sechs Fachkräfte - etwa Forensiker, IT-Fachleute oder Sozialarbeiter -, die eine multiple Ausrichtung über die reine Polizeiarbeit hinaus sicherstellen sollen, sowie weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, etwa für eine geplante Online-Meldestelle. Wie der Grüne Sicherheitssprecher Bürstmayr erläuterte, soll die EBS so funktionieren, dass sie bei Bedarf „rund um die Uhr ausfahren kann“. Budgetiert seien dafür vorerst 4,5 Millionen Euro. Außenstellen in den Bundesländern sind geplant.
Erfahrungen von ähnlichen Ermittlungsstellen
Amnesty-Gesellschafterin Schlack verlangte gegenüber der APA, die Tätigkeit der EBS müsse öffentlich kontrolliert werden: „Hierfür braucht es eine institutionelle Verankerung einer wirksamen Kontrolle durch die Zivilgesellschaft.“ Der Gesetzesentwurf, auf den sich die Regierungsparteien einigen konnten, sieht eine Kontrolle durch einen Beirat vor, dessen Mitglieder unter anderem vom Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK), der Ärztekammer, der Universitätskonferenz, dem Bundeskanzleramt sowie dem Innen-, Außen- und Justizministerium nominiert werden. Fünf der insgesamt 13 Mitglieder sollen von Nichtregierungsorganisationen kommen, wobei es ein gemeinsames Vorschlagsrecht von Justiz- und Innenministerium geben soll. Die oder der Vorsitzende soll auf Vorschlag des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) ernannt werden.
Zadic betonte auf der Pressekonferenz die Unabhängigkeit des Beirats, in den man bewusst „die Zivilgesellschaft“ eingebunden habe. Unter anderem sollen ihm Soziologinnen und Soziologen, Psychologinnen und Psychologen und Menschenrechts-Expertinnen und - Experten angehören. Der Beirat könne von sich aus selbstständig an die Öffentlichkeit gehen, Stellungnahmen abgeben und, was die Ermittlungsstelle anlangt, „organisatorischen Änderungsbedarf“ melden, betonte Zadic. Die Grünen wollen für den Beirat „Top-Leute“ gewinnen, hieß es dazu am Montag. Der Beirat soll sich nicht ins Tagesgeschäft der EBS einmischen, jährlich einen Bericht über seine Wahrnehmungen erstatten, der auch in den Sicherheitsbericht einfließen soll. Die Mitglieder des Beirats sollen auf sieben Jahre ernannt werden.
Ein weiterer Kritikpunkt ist für Amnesty International die - noch - fehlende Transparenz im Bestellprozess für die Leitung der neuen Ermittlungs- und Beschwerdestelle (EBS). „Es ist überaus wichtig, wer diese Stelle leiten wird und wer in dieser Stelle ermittelt. Es braucht hier unbedingt einen transparenten und professionellen Auswahlprozess, um zu garantieren, dass die Ermittlungen auch von Personen durchgeführt werden, die ein unabhängiges Verständnis ihrer Tätigkeit haben“, gab Amnesty-Geschäftsführerin Schlack gegenüber der APA zu bedenken. Überhaupt habe das Innenministerium bisher weder die Expertise der Zivilgesellschaft eingebunden noch internationale Organisationen zu ihren Erfahrungen mit ähnlichen derartigen Ermittlungsstellen in anderen Ländern konsultiert: „Wir haben große Sorge, dass die Umsetzung der Stelle mangelhaft wird.“ Das sei dann „nicht nur ein massives Problem für die Betroffenen von Polizeigewalt, Österreich verletzt damit auch seine völkerrechtlichen Verpflichtungen“, betonte die Amnesty-Geschäftsführerin gegenüber der APA.
Wie Bürstmayr auf Nachfrage von Medienvertreterinnen und -vertretern erklärte, soll die Ermittlungsstelle von einem stellvertretenden Direktor des BAK geleitet werden, der für einen Zeitraum von zehn Jahren bestellt wird. Bundespolizeidirektor Takacs betonte, es obliege dem BAK bzw. der Ermittlungsstelle, wie viele Kräfte benötigt werden: „Wenn sie nicht auskommen, muss sie zusätzliches Personal rekrutieren.“ Takacs begrüßte die neue Behörde ausdrücklich. 2022 habe es seitens der Exekutive in Österreich in 23.200 Fällen „Zwangsmittelanwendungen“ gegeben. Darunter hätten sich 300 Fälle von möglicher Polizeigewalt befunden, „die man untersuchen hat müssen“. Das sei ein sehr geringer Anteil, dessen ungeachtet gehörten behauptete Übergriffe „ordentlich aufgeklärt“.