Chronik/Österreich

Klimawandel lässt die Alpen bröckeln

Der Auslöser für das Forschungsprojekt liegt mehr als 15 Jahre zurück. „Seit dem Hitze-Rekordsommer 2003 hat es eine signifikante Zunahme von Felsstürzen gegeben“, erzählt Salzburgs Landesgeologe Gerald Valentin. Vor mehr als zehn Jahren startete dann auf dem Gletscher Ödenwinkelkees in Uttendorf im Nationalpark Hohe Tauern ein Forschungsprojekt zum Einfluss des Übergangsbereichs von Eis zu Fels auf die Stabilität eines Gebirges.

Die Ergebnisse sind eindeutig: Die steigenden Temperaturen aufgrund des Klimawandels machen das Hochgebirge instabiler, vermehrte und auch größere Felsstürzen sind die Folge. Ein Beweis dafür blieb nicht lange aus, denn es gab während der Forschungsjahre in der näheren Umgebung einen gewaltigen Felssturz, der genau in das Schema und die Parameter des internationalen Forschungsprojektes passt.

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Am kleinen Wiesbachhorn donnerten im Oktober 2017 150.000 Tonnen Gestein aus einer Flanke auf den darunterliegenden Gletscher. Der Felssturz geschah mitten in der Nacht und wurde somit nicht beobachtet, war aber einer der größeren seiner Art. Da er im Hochgebirge geschah und sich das Gestein auf unwegsames Gelände ergoss, kam es zu keinen Schäden. Die Felsmassen hätten eine verheerende Wirkung haben können.

Die Forschungsergebnisse sollen nun helfen, Bauwerke im hochalpinen Gebiet besser zu schützen. „Praktisch jedes Bauwerk, das über 2500 Metern steht, kann davon betroffen sein“, sagt Valentin. Das betrifft etwa Schutzhütten, Seilbahnstützen oder vereinzelt auch Straßenbauten. „Nun haben wir gesicherte Daten in der Permafrostforschung und wissen mehr über die Prozesse, die in den sensiblen Zonen an den Randbereichen der Gletscher ablaufen“, erklärt der Geologe.

Prognosen werden treffsicherer

Das soll die Vorhersagen über Felsstürze deutlich verbessern. „Unsere Prognosen werden nun treffsicherer, wie sich die Felsstabilität in hohen Lagen in Zeiten des Klimawandels weiterentwickeln wird. Dies hilft uns bei der Einschätzung von Gefahren und Risiken“, sagt Valentin. Die Vorhersagen werden immer wichtiger.

Denn es sei zu erwarten, dass die Zentralalpen lange in Bewegung bleiben. „Dieser Bereich bleibt wahrscheinlich für Jahrzehnte instabil“, sagt Valentin. Der Geologe erklärt auch, woran das liegt: „Der Gletscher wirkt wie eine Decke, die isoliert und die Temperatur unter 0 Grad Celsius hält. Vor 2003 war der Fels dauerhaft gefroren.“

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Die Wärme des Sommers konnte nur ganz gering in den Felsen eindringen. Nun ist das anders. „Jetzt friert die Auftauschicht zwar immer wieder, die Wärme geht aber viel weiter in den Felsen hinein“, sagt Valentin. Das hat auch Auswirkungen auf die Größe des ausbrechenden Gesteins. „Durch die zunehmende Wärme taut es immer weiter in die Felsschicht hinein. Die Ablösebereiche, an denen das Gestein abbricht, gehen viel tiefer hinein“, erklärt der Wissenschafter.

Folgeereignisse dieser Prozesse können Auswirkungen bis in bewohntes Gebiet haben. „Größere Murenabgänge können runtergehen bis ins Tal“, sagt Valentin.

Folgeprojekte laufen

Das Forschungsprojekt lieferte auch Erkenntnisse für andere Alpenregionen. „Wir sind in einem alpenumspannenden Netzwerk in regem Austausch“, berichtet Valentin. So wurde das Projekt mit 135.000 Euro auch maßgeblich von der Arge Alp, einer Arbeitsgemeinschaft von alpinen Regionen mit 26 Millionen Einwohnern, finanziert.

Auch weiterführende Forschungsprojekte wurden bereits vereinbart. So wird in einem interregionalen Projekt von Salzburg, Südtirol, Friaul, Venetien und Kärnten erforscht, wo Gefahr drohen könnte. „Mit hochauflösenden Satellitendaten sehen wir uns an, wo Bereiche sind, die in Bewegung geraten“, erklärte Valentin.

In einem weiteren Schritt sollte es auch möglich sein, Bereiche zu lokalisieren, die heute unauffällig sind, aber in mehreren Jahren herunter kommen können. Das würde die Prognosefähigkeit der geologischen Dienste noch einmal erhöhen.

Felssturz bei Stausee hatte wohl andere Ursache

Ein Felssturz bei den Kapruner Stauseen verlief Anfang September 2019 besonders tragisch und sorgte für viel Aufsehen. Eine Steinlawine erfasste vom Hochschober kommend acht Menschen und forderte ein Todesopfer sowie zwei Verletzte. Bei diesem Felssturz dürfte es laut dem Salzburger Landesgeologen Gerald Valentin aber andere Ursachen als das Auftauen von Permafrost gegeben haben.

„Aufgrund der Höhenlage und der Süd–Exponiertheit dürfte das dort eher nicht der Fall gewesen sein“, sagt Valentin. Die Ursache dürfte eher in starken Temperaturschwankungen auf dem Gestein gelegen haben.

Bei dem Felssturz hat es sich, mit einem Abbruch von rund 500 Kubikmetern Gestein, um einen mittelschweren Felssturz gehandelt. Dass die Steinlawine eine Gruppe von Wanderern erfasste und damit einen derart tragischen Ausgang nahm, sei schlicht und einfach Pech gewesen. „Die Wanderer waren leider zur falschen Zeit am falschen Ort“, sagt Valentin.