Chronik/Österreich

Kampf um heimische Gletscher "schon verloren"

Der Generalsekretär der Weltmeteorologieorganisation (WMO), Petteri Taalas, hat keine Hoffnung mehr für die österreichischen Gletscher. "Dieses Spiel ist schon verloren", sagte Taalas im APA-Interview. Selbst bei einem beherzten Kampf gegen den Klimawandel werde das Schmelzen von Polareis und Gletschern "noch für Jahrhunderte weitergehen", und damit auch der Meeresspiegel steigen. Städten wie London droht die Verlegung, den Niederlanden sogar die Evakuierung.

"Es könnten ein paar gute Leute aus den Niederlanden hierher nach Österreich kommen", veranschaulichte Taalas die möglichen Folgen. Das schon jetzt teilweise unter dem Meeresspiegel liegende dicht besiedelte EU-Land werde ähnlich "verzweifelt" gegen den steigenden Meeresspiegel kämpfen wie etwa Bangladesch oder Inselstaaten im Pazifik. Doch auch eine Reihe von Megastädten sei gefährdet, insbesondere in Asien, aber etwa auch die kalifornische Metropole Los Angeles, London oder Kopenhagen. Sie alle würden nämlich unter dem Meeresspiegel liegen, der um zehn bis 30 Meter steigen dürfte. "Es wird größere Anpassungen brauchen, um diese Städte auf weiter im Land liegenden Orten wiederzuerrichten."

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Gletscher werden komplett verschwinden

Die Gletscher werden in Österreich bis zum Ende des Jahrhunderts komplett verschwinden. In der Schweiz werde dann gerade noch fünf Prozent der aktuellen Gletschermasse vorhanden sein, sagte Taalas. Die Auswirkungen auf den Sommerskilauf sind dabei noch die geringsten.

Ohne Gletscher würden die Flüsse nämlich weniger Wasser führen, was sich auf die Trinkwasserversorgung und die Stromproduktion auswirke. So speisen sich die großen Flüsse Indiens und Chinas aus dem Himalaya-Eis. Ähnliches gilt für die Andengletscher in Peru oder die Rocky Mountains in den USA. "Die Wasserfrage ist die größte Frage, also ob wir genug Wasser für die Landwirtschaft und die Menschen haben werden", betonte Taalas.

Milliarden pro Jahr

Stoppen lasse sich diese Entwicklung nur, wenn Kohlendioxid aktiv aus der Atmosphäre entfernt werde. "Dafür haben wir keine guten technologischen Mittel", sagte Taalas. Nicht gangbar sei, Kohlendioxid in den Meeren zu versenken, weil dies zu einer Übersäuerung führen würde. Theoretisch machbar wäre eine Abkühlung des Planeten durch Beschattung, indem man Asche in der Stratosphäre ausbringe. "Das wäre möglich. Wir bräuchten dafür rund zehn Milliarden Dollar pro Jahr", sagte Taalas. Allerdings wäre eine solche Lösung "sehr riskant". Es würde nicht nur auf der ganzen Welt "ein bisschen dunkler" werden, sondern man würde auch überall sauren Regen haben.

Taalas sagte, dass der Klimawandel neben den Polregionen den Mittelmeerraum am stärksten betreffen werde. Er verwies diesbezüglich auf die im Vorjahr in Italien gemessene Rekordtemperatur von 48,8 Grad. Dies werde sich negativ auf Tourismus und Landwirtschaft auswirken. In Afrika und dem Nahen Osten dürfte sich die schon jetzt kritische Situation weiter verschlechtern, wobei verschärfend das starke Bevölkerungswachstum hinzukomme. Versuche der Wetterbeeinflussung hätten sich dort als wirkungslos erwiesen. "Die arabischen Staaten haben große Summen in künstliche Regenproduktion investiert, aber die Ergebnisse waren mager", sagte Taalas. Angesichts der trockenen Luft sei es nämlich "praktisch unmöglich, mehr Regen zu produzieren".

Mit Blick auf die politischen Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels zeigte sich Taalas vorsichtig optimistisch. Die Klimakonferenz in Glasgow sei die "zweiterfolgreichste" nach Paris gewesen, und die Regierungen hätten das Problem mittlerweile tatsächlich erkannt. "Alle Staats- und Regierungschefs haben starke Reden gehalten. Die klangen wie Greenpeace for zehn Jahren." Auch die Unternehmen würden sich bemühen, "Teil der Lösung" zu sein, und es gebe schnelle technologische Fortschritte. Er hoffe, dass man sich bei der nächsten Klimakonferenz im November in Ägypten auf Schritte verständigen könne, um wieder Kurs auf das 1,5-Grad-Ziel zu nehmen.

Zum Bewusstseinswandel hat laut dem WMO-Chef paradoxerweise die Coronakrise beigetragen, die zwei Jahre lang das Thema Klimawandel überschattete. Man habe nämlich gesehen, dass die Menschheit in der Lage sei, "ziemlich dramatische Maßnahmen zu ergreifen, um die Menschen gegen Covid zu schützen, während die für einen Erfolg im Klimabereich nötigen Veränderungen marginaler Natur sind" und keinen massiven Eingriff ins Alltagsleben bedeuten.

Während das ewige Eis schon jetzt verloren ist, wird sich die Klimaerwärmung noch jahrzehntelang im Wetter bemerkbar machen, und zwar "bis in die 2060er und 2070er Jahre, je nachdem, wie erfolgreich wir bei der Abschwächung des Klimawandels sind", sagte Taalas. "Die gute Nachricht ist, dass wir die negativen Trends bei Wetterphänomen stoppen können", sagte er mit Blick auf Flutwellen, Tropenstürme oder Hitzewellen.

Schutzmaßnahmen

Man müsse sich also auf den Klimawandel einstellen, forderte Taalas etwa Schutzmaßnahmen gegen Überflutungen oder extreme Hitze. Wichtig sei dabei auch ein Ausbau und eine bessere Vernetzung der Frühwarnsysteme, um Schäden und Todesopfer durch Unwetter zu vermeiden. "Wir hätten gerne, dass alle unsere Mitgliedsstaaten richtige Frühwarndienste haben, derzeit ist das nur bei der Hälfte der Fall", sagte der WMO-Generalsekretär. Dabei sei die Organisation vor 149 Jahren in Wien genau zum Zweck gegründet worden, ein weltweit standardisiertes Wetterbeobachtungssystem zu etablieren. Zudem gebe es in Teilen der Welt immer noch weiße Flecken bei der Wetterbeobachtung, was sich auch auf die Zuverlässigkeit der Vorhersagen in Europa auswirke. "Wenn wir Lücken in der Karibik haben, kann man das ein paar Tage später auch (bei den Vorhersagen, Anm.) in Europa sehen."

Doch auch in Europa gebe es noch Verbesserungsbedarf, verwies Taalas auf die verheerende Fluten in Westdeutschland im Vorjahr. Die zahlreichen Todesopfer hätten "verhindert werden können", wenn es eine bessere Vernetzung von Meteorologen und Hydrographischen Diensten gegeben hätte. Der Deutsche Wetterdienst habe die Regenfälle nämlich akkurat vorhergesagt, doch hätten die Hydrologen auf regionaler Ebene nicht entsprechend reagiert und Evakuierungen veranlasst. Während auch Österreich eine ähnliche Trennung habe, gebe es etwa in Großbritannien und Finnland gemeinsame Operationszentren von Meteorologen und Hydrographen.

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