Chronik/Österreich

Forscherin: „Spiele aus den 50ern sind von Rassismus durchzogen“

In Finnland hat es einen Ehrenplatz im Spielemuseum – und gilt als eines der bedeutendsten Gesellschaftsspiele des Landes: Der Stern von Afrika (Originaltitel: Afrikan Tähti) wurde im Jahr 1951 vom finnischen Spieleautor Kari Mannerla entwickelt und gehört seither in jedes Kinderzimmer.

Auch in Österreich verkaufte es sich gut. Dass das Spiel kolonialistische Stereotype bedient, das störte lange niemanden.

Auch bei Spielen deutlich jüngerer Generation ist das Thema präsent. In Mombasa (2016) geht es darum, den afrikanischen Kontinent möglichst effizient auszubeuten.

Manitoba (2018) schaffte es gar in die kanadischen Medien, weil sich die namensgebenden Stämme selbst diskriminiert fühlten. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Ein Gespräch mit der Spieleforscherin Sabine Harrer. Sie ist Hertha-Firnberg-Stipendiat*in und lehrt und forscht an den Universitäten Wien und Uppsala. Zuletzt erschien ihr politisches Spiel Kyoto - Money makes the World go down. (Eine Rezension finden Sie am Ende des Artikels.)

KURIER: Ist der Akt des Spielens an sich immer ein politischer?

Sabine Harrer: Jedes Gesellschaftsspiel, darum steckt ja das Wort Gesellschaft darin, ist bis zu einem gewissen Grad politisch. Es ist ein Modell, in das Normen und Werte eingeschrieben sind, von denen jemand – meist der Verlag – denkt, dass sie Spaß machen. Da kommen wir zur Frage: Wessen Spaß ist das überhaupt? Wer wird adressiert, wer nicht? Und es gibt Konventionen: Welche Themen bieten sich an, welche sind tabu?

Wo sehen Sie problematische Themen?

Der Kolonialismus ist seit Jahrzehnten ein beliebtes Thema bei europäischen Spielen. Es geht oft um Fantasien der Machtübernahme über ein fremdes Gebiet. Darum, ein Herrscher zu sein. Und daran können wir erahnen, wer sich angesprochen fühlt: Nämlich jene, die sich auch mit diesem Teil der Geschichte identifizieren.

„Risiko“ wäre hier wohl ein klassisches Beispiel.

Ja. Oder Der Stern von Afrika. Es knüpft an eine Tradition von Kolonialfantasien an, in denen weiße Menschen im Dschungel Abenteuer erleben. Es spielt auf einer Karte, auf der Afrika zu sehen ist – aber in einer Darstellung, die schon zur damaligen Zeit völlig veraltet war. Die Spieler dringen von Norden her in „das Herz von Afrika“ ein, um sich dort zu bedienen und einen Diamanten „in Sicherheit zu bringen“, also zurück in den Norden zu bringen. Alleine diese Formulierungen und Narrative zeigen, was das Spiel sagen will: Afrika ist ein Spielplatz für Weiße, die sich bedienen und gegeneinander wetteifern. Das Interessante: Das Spiel wird von seinen Spielern gar nicht als politisch wahrgenommen, sondern als Unterhaltungsmedium. Es ist ein Familienspiel, das als Teil der finnischen Identität stolz von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Wie gehen die Verlage und Spieleentwickler mit solchen Erkenntnissen um?

Es tut sich momentan einiges in der Branche. Es gibt Spieleentwickler, die reagieren, wenn sie aufmerksam gemacht werden, dass sie in ein rassistisches oder sexistisches Klischee abrutschen. Leider kommt es oft zu einem Backlash unter den Spielerinnen und Spielern, die sich dann gegen solche Veränderungen in Spielen wehren. Das bildet die allgemeine Rassismusdebatte gut ab, in der ja viele argumentieren, dass Rassismus nur dann Rassismus ist, wenn er aus schlechten Motiven entsteht. Das ist ein Ablenkungsmanöver, das den Fortschritt hemmt. Aber gerade da liegt das Problem: Veraltete Werte und Normen werden ja vor allem dadurch fortgeschrieben, dass ich problematische Bilder als normal wahrnehme.

Was tun als Familienvater, der so ein Spiel zu Hause hat: Nicht mehr spielen mit den Kindern?

Das bleibt den Spielerinnen und Spielern selbst überlassen. Das ist ein Prozess, den jeder für sich durchschreiten muss. Wie gehe ich damit um, dass Spiele – aber oft auch Literatur, Kunst, Kultur – rassistisch aufgeladen sind? Eine Möglichkeit wäre, es zu leugnen und weiterzutun. Vor allem bei Kinderspielen wird oft mit der Unschuld argumentiert: „Die verstehen das ja gar nicht.“ Gerade dadurch wird die Spirale des Tabus weitergesponnen. Die andere Möglichkeit wäre, den harten Prozess der Trauer über den Verlust dieser Unschuld durchzumachen. Ich muss mir dann Strategien überlegen: Wann spreche ich mit meinem Kind darüber, dass Spiele aus den 50er-Jahren von Rassismus durchzogen sind? Ich könnte das Spiel etwa als historisches Artefakt betrachten, es meinen Kindern zeigen, mit ihnen darüber sprechen.

In welchen bekannten Spielen findet sich denn noch implizit Politisches, das vielen Spielern vielleicht gar nicht auffällt?

Das PC-Spiel Die Sims ist ein gutes Beispiel. Hier kann sich jeder einmal die Frage stellen, was er oder sie im Spiel tun kann – und was nicht. Was kann im echten Leben passieren, wird hier aber nicht dargestellt? Sims kann zum Beispiel keine Obdachlosigkeit darstellen. Es ist darauf optimiert, dass man innerhalb eines kapitalistischen Lohnarbeitssystems Karriere macht. Das Spiel suggeriert eine freie Welt, aber in Wahrheit ist das Gewinnen und Verlieren stark an ökonomischen Erfolg geknüpft. Andere Werte kann man nicht abbilden: Solidarität oder Familienmodelle außerhalb der Kleinfamilie. Eine Kommune können Sie in Sims nur sehr schwer gründen.