Chronik/Österreich

Gerasdorfer Tschetschenen-Mord im Fokus internationaler Medien

„Tschetschenische Exilbürger werden jetzt gejagt. Sehr oft führt die Spur zurück nach Russland“, titelte die Washington Post am Montag über die schreckliche Bluttat vom vergangenen Samstag. Ähnlich der britische Guardian, der über die Festnahme eines Russen durch die österreichische Polizei berichtet. Was war geschehen?

Martin B. hatte keine Chance. Mit fünf Schüssen wurde der 43-Jährige Samstagabend in Gerasdorf bei Wien niedergestreckt. Als der Notarzt eintraf, war B. bereits tot. Zwei Stunden später konnte sein mutmaßlicher Mörder in Linz gefasst werden. Der 47-Jährige Sar Ali A. ließ sich widerstandslos festnehmen. Bei Opfer und dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um Tschetschenen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Österreich geflohen waren.

Martin B. war lange Zeit in der Community ein Underdog. Doch plötzlich habe er unter dem Namen „Anzor von Wien“ begonnen, Youtube-Videos zu veröffentlichen, in denen er den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow wüst beschimpfte. „Er war provokant. In einem Video hat er sogar seine Telefonnummer veröffentlicht. Er meinte, er habe keine Angst“, schildert ein Tschetschene.

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Landsleute berichten zudem, dass der Tod von Martin B.’s Bruder in Tschetschenien Auslöser für die Videos gewesen sein soll.

Es ist jedenfalls nicht das erste Attentat auf Regime-Kritiker. Im vergangenen Februar wurde ein tschetschenischer Blogger in Schweden von einem Mann mit einem Hammer angegriffen. Der Blogger überlebte. Im Jahr 2009 wurde Regimekritiker Umar Israilow in Wien erschossen. Im aktuellen Fall läuft die Suche nach dem Motiv. Der mutmaßliche Schütze und der angebliche Bodyguard des Opfers, Salman M., der nun ebenfalls in Haft sitzt, geben sich zugeknöpft.

In Polizeikreisen heißt es, dass weder ein gezieltes Attentat, noch ein Streit unter Landsmännern ausgeschlossen werden könne. Es gebe Hinweise, die in den Bereich der Organisierten Kriminalität führen, von Clans und mafiösen Strukturen ist die Rede.

Pizzeria gesprengt

Beide, sowohl Opfer als auch mutmaßlicher Täter, sind keine unbeschriebenen Blätter. Martin B. wurde unter anderem wegen Schlepperei, Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung und falscher Zeugenaussage verurteilt. Er dürfte zuletzt auf den Schutz des Verfassungsschutzes vertraut haben. Er gilt als Informant und Vertrauensperson, nachdem es 2017 zu schweren kriminellen Handlungen gekommen war. Als auf der Donauinsel 22 Tschetschenen mit einer Maschinenpistole und anderen Waffen festgenommen wurden, war Martin B. darunter. Im Zuge von Erpressungen und eines Versicherungsbetrugs wurde damals in Hollabrunn eine Pizzeria in die Luft gejagt. Martin B. soll den Kontakt zu einem ägyptischen Arzt hergestellt haben, der das Brandopfer versorgte. Der Mediziner dürfte dem Clan Medikamente verschrieben haben, die zu tausenden Stück in Tschetschenien teuer als Ersatzdrogen verkauft wurden. Zuletzt hatte er bis Spätsommer 2019 eine Freiheitsstrafe verbüßt, aus der er bedingt entlassen wurde.

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Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) fordert in der Causa volle Aufklärung: „Wir dulden Gewaltakte auf unserem Boden nicht. Derzeit wird intensiv ermittelt, wer die Hintermänner dieses Mordes sind. Es braucht volle Aufklärung, denn viel zu oft werden ausländische Konflikte nach Österreich hineingetragen. Klar ist: Dafür habe ich null Toleranz. Gewaltbereite oder radikale Gruppen, die egal aus welchem Motiv den Rechtsstaat mit Füßen treten, werden entschieden in die Schranken gewiesen.“