Der rätselhafte Tod des "Baron" Weigert
Es war ein ungewöhnlich warmer Sommerabend mitten im August des Jahres 2004. Rund um den Figurteich in Guntramsdorf, NÖ, dachten viele Besucher erst ans Heimgehen, als es langsam dunkel wurde. Als der Mann seine Sachen schließlich doch zusammenpackte, bemerkte er im Augenwinkel zwei Personen, die zur Liegewiese beim Apfelbaum kamen. Ein korpulenter Herr, etwas älter, mit einem auffälligen Hemd. Und dazu ein zweiter, deutlich jüngerer Begleiter, der auffallend muskulös war.
Als der Mann schon etwas weiter entfernt war, hörte er plötzlich einen Hilfeschrei. Er war irritiert. Zurück ging er nicht mehr. Doch der Schrei ließ ihm keine Ruhe. Er stieg ins Auto, fuhr rund um den Teich. Notierte sich die Kennzeichen der Autos, die noch beim Teich geparkt waren. Zur Sicherheit.
Was er nicht wusste: Er war gerade Ohrenzeuge eines Mordes geworden. Die Leiche des Opfers wurde erst am nächsten Morgen gefunden. Der 67-jährige Kurt Weigert trieb leblos im Wasser des Figurteichs. Er war der korpulente, ältere Herr mit dem auffälligen Hemd. Er wurde gewürgt und war ertrunken.
Ermittlungen
Mordermittler Johannes Steinbichler sitzt an seinem Schreibtisch in Mödling. Hinter ihm hängen Fahndungsbilder. Vor ihm steht ein Flipchart mit Ermittlungsergebnissen, Querverbindungen und sichergestellten Spuren zu einem aktuellen Mordfall. Der Kontrollinspektor ist seit mehr als 20 Jahren im Geschäft. Auch im Fall Kurt Weigert hat er ermittelt. "Die Leiche ist in Ufernähe bei einem Steg mit einer Aluleiter geschwommen", erinnert er sich. Ein Passant hatte sie gegen 10 Uhr gefunden. Doch Spuren fanden die Ermittler weder am Liegeplatz noch im Wasser.
Bei einer Obduktion wurden an Weigerts Leiche Hämatome am Kopf und Oberkörper fest. Sie stammen von wuchtigen Schlägen - möglicherweise mit der Faust.
Auffällig: Kurt Weigert war nackt. Doch seine Kleidung lag nirgendwo auf der Wiese. Ermittler stellten sie später im Auto des Ermordeten sicher, das ca. 250 Meter entfernt geparkt war. "Der Täter muss nach der Tat noch das Fahrzeug geöffnet haben. Auf dem Fußweg zwischen Badeplatz und Fahrzeug konnten wir weitere Gegenstände des Mordopfers finden. Unter anderem die Bankomatkarte und die Armbanduhr", erzählt der Ermittler. Was fehlte, war das Bargeld aus der Geldbörse, die Kreditkarte und die Autoschlüssel.
Szene-Treffpunkt
Kurt Weigert war kein Fremder am Figurteich. Hier kannte man sich. Und obwohl Baden hier eigentlich gar nicht erlaubt ist (der alte Ziegelteich gilt als Naturdenkmal,Anm.), wird es geduldet. Die Liegewiesen um den Teich sind klar aufgeteilt. Auf der einen Seite finden sich FKK-Anhänger, auf der anderen Seite treffen sich Homosexuelle. Dazu kommen auch noch Fischer und Leute, die mit ihren Hunden herkommen. Das Miteinander funktioniert mehr oder weniger. Doch es gibt Spannungen.
"Das ist ein Naturparadies, Sie sehen es, nicht wahr?", sagt Frau Susanne, die mit ihrem Hund spazieren geht. Die Besucher würden sich nicht ans Badeverbot halten und ihren Mist verteilen. Doch das ist nicht alles. "Wir haben den Strich da", erklärt Frau Susanne. "Nicht nur den normalen Strich, auch den Schwulenstrich."
Tatsächlich fahren auffällig viele Männer allein zu diesem Teich, verschwinden ohne Badetuch in den verwinkelten Trampelpfaden. Der Figurteich ist ein bekannter Kontaktplatz in der Schwulenszene, er wird auch in diversen Online-Foren genannt. Speziell abends, wenn die meisten Badegäste bereits daheim sind, trifft man sich.
"Baron Weigert"
Auch Kurt Weigert war hier oft. Nicht nur zum Sonnen. Weigert, ein pensionierter Mitarbeiter der Müllabfuhr Mödling, traf hier auch jüngere Männer. Weigert war schwul. Daraus machte er kein Geheimnis.
Der 67-Jährige genoss das Leben. Er war mit einem gelben Renault-Cabrio unterwegs. Trug auffälligen, großen Goldschmuck. Er nannte sich "Baron", verteilte sogar Visitenkarten mit diesem Fantasie-Titel.
Im echten Leben wuchs er in einer Arbeitersiedlung in Mödling auf, unweit des Figurteichs. Dort lebte er viele Jahrzehnte, etliche Jahre auch mit seinem Lebensgefährten. Doch zuletzt war Weigert single.
"Er war ein richtig netter Kerl", erinnert sich Nachbarin Annemarie Wurmbrand. "Einmal hat er im Müll einen Hund gefunden. Den hat jemand entsorgt. Den hat er dann zu sich genommen."
"Er hat sein Leben sehr genossen, er war ein fröhlicher Typ, hat viel gelacht", sagt Andreas Holzmann. Der ehemalige Gemeindepolitiker war unter anderem für die Abfallwirtschaft zuständig - und lernte in dieser Funktion Kurt Weigert kennen. Sein ganzer Stolz sei sein Auto gewesen, sagt er. Und in seinem Beruf sei er durchaus streitbar gewesen - wenn es etwa um die Arbeitsbedingungen für die Kollegen ging. "Aber das ist ja auch in Ordnung so", meint Holzmann.
Doch nicht alle wollen in der Mödlinger Hartigstraße, einer ehemaligen Arbeitersiedlung, über Kurt Weigert sprechen. "Warum wollen Sie das wissen?", fragt ein Mann, der gerade seinen Holzzaun schleift. Er ist ein entfernter Verwandter des Opfers. "Wir waren gar nicht da, wie das passiert ist", erklärt er laut. "Wir waren im Urlaub." Niemand werde mit uns über Kurt Weigert hier sprechen.
Die Neuigkeit, dass hier Fremde zu dem alten Mordfall Fragen stellen, verbreitet sich in Windeseile.
Stricher
"Die Ermittlungen waren sehr schwierig", erinnert sich Mordermittler Steinbichler. "Damals war noch kaum ein Homosexueller geoutet." Doch zumindest bekam die Polizei Hinweise, dass sich Weigert gerne in bekannten Szene-Lokalen in Wien aufgehalten hatte. "Wir sind dann aber schlussendlich mit unseren Erhebungen gescheitert. Wir konnten keine ehemaligen Stricher identifzieren, die er unter Umständen mit nach Hause genommen hat", erklärt Steinbichler.
Zumindest einmal dürfte Weigert mit einer Bekanntschaft in Wien schlechte Erfahrungen gemacht haben. Weigert saß mit einem Bekannten in einem Szenelokal, als ein junger Tscheche eintrat. "Der hat mich ausgeraubt", sagte Weigert seinem Gegenüber. Doch Anzeige wollte er keine erstatten.
Die Lokale, in denen sich Weigert aufhielt, gibt es heute nicht mehr. Doch der Pensionist fuhr auch ins Ausland, um junge Männer kennenzulernen. Konkret nach Budapest. Und auch dort geriet er zumindest zwei Mal an die Falschen.
Überfallen
"Er war drei Mal in Ungarn. Einmal haben sie ihm das Ketterl seiner Mutter gestohlen. Daran erinnere ich mich noch genau, weil er damals hergekommen ist und geweint hat. Und beim zweiten Mal ist er in der Nacht vor meiner Tür gestanden...", schildert Frau N. Die resolute Dame sitzt am Wohnzimmertisch ihres Hauses in Forchtenstein, Burgenland, und streichelt ihre Katze.
Frau N., sie will anonym bleiben, kannte Kurt Weigert über Jahrzehnte. Weigert hatte sich mit seinem Ersparten ein Haus in Forchtenstein bauen lassen. In der Pension zog er fix ins Burgenland. Mit Frau N., die nur wenige Häuser entfernt wohnt, verstand er sich gut. "Ich hab immer zu meinem Mann gesagt: Wenn du dich von mir scheiden lässt, dann heirate ich den Kurti", lacht sie. "Mit dem konntest du durch dick und dünn gehen."
Die Frau hatte einen Ersatzschlüssel für Weigerts Haus. Und eines Nachts stand Weigert vor ihrem Haus. "Es war eine heiße Nacht, ich hatte das Schlafzimmerfenster offen. Und gegen 4 Uhr Früh habe ich ihn auf- und abgehen gehört... er hatte immer Eisen an den Sohlen", erinnert sie sich. "Kurti? Was machst denn da?", schrie sie zu ihm hinunter.
"Bitte gib mir den Schlüssel, ich bin total fertig. Ich komme aus Ungarn, aber ich erzähl es dir dann, wenn ich dir wieder den Schlüssel bringe", sagte Weigert zu Frau N. Er habe völlig verwirrt gewirkt, erschrocken.
Am nächsten kam Weigert wie besprochen, um den Schlüssel zu bringen. "Da hat er mir gesagt: Du kannst dir nicht vorstellen, was los war. Mir haben sie den ganzen Schmuck abgenommen. Und ich weiß bis jetzt nicht, wie ich hierher gekommen bin."
Das war zwei Wochen vor seinem Tod.
Nachbarin N. hat sich viele Gedanken über den Mordfall gemacht. Für sie passt vieles nicht zusammen. "Er hat das Wasser gemieden. Er ist nie hingegangen, weil er sich so viel gefürchtet hat. Nicht einmal bei uns am Stausee ist er zum Wasser gegangen", sagt sie. Weigert habe außerdem gar nicht schwimmen können.
Schein und Sein
"Wir können einen Raubmord insofern nicht ausschließen, weil auch bekannt war, dass Kurt Weigert eher protzig mit Goldketten und Ringen aufgetreten ist und den Eindruck erweckt hat, dass er sehr vermögend sei. Was er aber nicht war", meint Ermittler Steinbichler. "Unter Umständen ist ihm das zum Verhängnis geworden."
Doch wer war der Mann, mit dem Weigert zum Teich ging? Eine Bekanntschaft aus Ungarn?
"Ich hab ihm gesagt, fahr nicht mehr nach Ungarn", erzählt Nachbarin N. "Nein, eh nicht", habe Weigert geantwortet. Er tat es doch. Ausgerechnet am Tag seines Todes. Zum Mittagessen fuhr er mit einem Bekannten abermals über die Grenze.
Danach führte ihn der Weg nach Mödling. Er besuchte seine Familie, gemeinsam aß man Eis. "Ich fahr heim ins Burgenland", verabschiedete er sich. Und tat es nicht. Er fuhr zum Figurteich. Wo er seinen Begleiter aufgegabelt hat, ist unklar.
Der Mordermittler appelliert daher: "Unsere Frage lautet: wer kann etwas zum Begleiter des Kurt Weigert sagen, mit dem er am 17. August 2004 gegen 21.30 Uhr zum Figurteich gekommen ist? Kurt Weigert war zu diesem Zeitpunkt mit einer weißen, langen Hose und einem schwarzen hemd mit aufgedrucktem Drachensymbol bekleidet."
Hinweise an das Landeskriminalamt Niederösterreich unter: 059133-30 3333.