Belastungsprobe Lockdown: Was in Familien für Streit sorgt
Von Matthias Nagl
Der Betreuungsbedarf nimmt zu. Wie das Bildungsministerium am Freitag berichtete, sind für die kommende – voraussichtlich – letzte Woche des Schul-Lockdowns 17 Prozent der Kinder für die Betreuung an den Schulen angemeldet. In den ersten beiden Wochen waren es jeweils nur 15 Prozent. Über die Gründe dafür lässt sich vorerst nur mutmaßen.
Das Institut für Early Life Care der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität und das Kinderlabor der Universität Salzburg haben eine Studie zur Resilienz, also Widerstandsfähigkeit, der Familien während des ersten Lockdowns durchgeführt und kürzlich eine erste Auswertung der Ergebnisse abgeschlossen.
Diese zeigen, dass ein Lockdown innerhalb der Familien eine konfliktträchtige Zeit ist. „Es gab nur ganz, ganz wenige Familien, wo es keine Konflikte gab“, berichtet Studienleiterin Beate Priewasser. Bei 30 Prozent der Familien war die Zahl der Konflikte überdurchschnittlich groß.
Die Studie
„Familienleben im Lockdown“ heißt die Studie, die als Basis eine Umfrage unter 649 Familien mit Kindern im Alter von 0 bis 18 Jahren in Österreich und Deutschland hat. 349 Fragebögen wurden vollständig ausgefüllt. Nur sehr wenige Studienteilnehmer waren alleinerziehend oder in einer „grundsätzlich sehr stark belasteten Lebenssituation“
Das Institut
Es ist laut Eigenauskunft das weltweit erste Forschungsinstitut dieser Art. Das Institut für Early Life Care an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg widmet sich der ersten Lebensphase von der Zeugung über Schwangerschaft und Geburt bis zur frühkindlichen Entwicklung. Dabei handelt es sich noch um vergleichsweise unerforschte Bereiche
Kleine schlafen schlecht
Zwar wären mehr Spannungen zwischen Eltern und Kindern entstanden. „Die wenigen Konflikte zwischen den Eltern sind aber für alle belastender“, sagt Priewasser. Viele Kinder hätten veränderte Verhaltensweisen gezeigt, die darauf hindeuten, „dass sie sehr stark unter Druck waren“. Das betrifft nicht nur Kinder, die wegen des Lockdowns im Home Schooling waren.
„Vor allem kleinere Kinder hatten Schlafprobleme und konnten nicht durchschlafen“, sagt die Studienleiterin. „Das war wiederum ein Belastungsfaktor für die ganze Familie.“ Das Problem potenziere sich quasi. Auch die Eltern würden natürlich darunter leiden und die Konfliktneigung nehme zu.
Doch nicht nur das Verhalten der Kleinsten hat sich geändert. „Die Mediennutzung ist bei allen Altersgruppen deutlich angestiegen“, sagt Priewasser. Das lasse sich in so einer Situation kaum vermeiden, geholfen habe Familien aber, wenn das Konsumierte danach gemeinsam besprochen werde.
Offene Schulen helfen
In diesem Zusammenhang sei es für Eltern aber auch wichtig, angesichts der Krisensituation Kompromisse einzugehen. „Wichtig ist, sich zu überlegen, welche Regeln sind jetzt noch wichtig und wo kann man großzügiger sein? Denn das Einhalten der Regeln kostet natürliche Energie“, erklärt Priewasser.
Inwieweit sich die jetzige Situation im zweiten Lockdown von jener im ersten unterscheidet, lasse sich nur schwer beurteilen. Es sei aber zu hoffen, dass die Familien aus den Erfahrungen des Frühjahrs gelernt hätten. „Die prinzipielle Möglichkeit Kinderbetreuung wahrzunehmen, die es jetzt an den Schulen gibt, hilft sicher“, erklärt Priewasser.
Einen Querschnitt über die Gesellschaft konnte die Studie übrigens nicht leisten. Es steht zu befürchten, dass sich die Situation noch prekärer dargestellt hat als in der Studie aufgezeigt. „Wir haben gesehen, dass die Umfrage eher hochgebildete und gut situierte Familienschichten erreicht hat“, erzählt Priewasser. „Alleinerzieherinnen waren zum Beispiel kaum vertreten“. Wie sich in diesen Bereichen die Situation entwickelt hat, lässt sich daher nur vermuten.