Chronik/Österreich

Armutskonferenz: Sozialhilfe versagt, insbesondere in der Pandemie

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Die Abschaffung der Mindestsicherung durch das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz bedeutet für die Armutsbekämpfung in Österreich einen massiven Rückschritt. Darauf wies die Armutskonferenz am Donnerstag neuerlich hin. Gerade in der aktuellen Coronakrise zeige sich dies besonders. Das Netzwerk aus Sozialorganisationen rechnet künftig mit einem "Fleckerlteppich" bei den Länder-Regelungen, also genau mit dem Gegenteil dessen, was durch das Grundsatzgesetz beabsichtigt gewesen sei.

Das Grundsatzgesetz war von Türkis-Blau auf den Weg gebracht worden, zwei Kernpunkte wurden aber vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, nämlich die Verknüpfung mit Sprachkenntnissen wie auch die Höchstsätze für Kinder. Oberösterreich und Niederösterreich haben als einzige Bundesländer bis dato Sozialhilfe-Ausführungsgesetz umgesetzt. Im kommenden Jahr sollen dann weitere Bundesländer folgen.

"Sozialhilfe versagt"

"Das neue Gesetz ist ein Rückschritt in der Armutsbekämpfung", betonte Martin Schenk von der evangelischen Diakonie bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. Es degradiere Betroffene zu "Bittstellern", verschärfe bestehende Armut und baue neue Hürden auf. Dabei gebe es gerade in der aktuellen Krise massive Probleme, so Schenk: "Die schlechte Sozialhilfe kann sie nicht lösen." Es zeige sich aktuell, wie wichtig jetzt eine gute bedarfsorientierte Mindestsicherung wäre. An den Ausführungsgesetzen in Oberösterreich und Niederösterreich könne man sehen, "wie die Sozialhilfe versagt".

Wie Norbert Krammer vom "VertretungsNetz" kritisierte, zeichne sich die oberösterreichische Regelung durch geringere Richtsätze für Erwachsene und Kinder, Anrechnung der Wohnbeihilfe oder eine uneinheitliche Vollzugspraxis der Bezirksverwaltungsbehörden bei Berechnung des Wohnaufwandes von Haushaltsgemeinschaften aus, was dazu führe, dass betroffene Haushalte im Schnitt um mehrere hundert Euro monatlich weniger zur Verfügung hätten als in der Mindestsicherung. Krammer bemängelte auch, dass in Oberösterreich bei "Verletzung der Mitwirkungspflichten" die Sozialhilfe ausgesetzt werden könne. Etwa wenn psychisch Erkrankte mehrmals Termine versäumen oder Nachweise nicht fristgerecht bringen können.

Auch in Niederösterreich habe das Ausführungsgesetz Verschlechterungen gebracht. Etwa sei entgegen aller Beteuerungen die Bestimmung erhöhte Wohnkostenpauschale nicht umgesetzt worden. Und gestaffelte Kinderrichtsätze hätten zur Folge, dass Eltern mit mehr als einem Kind unter Kürzungen litten.

Reform gefordert

Für Erich Fenninger von der Volkshilfe sei die Sozialhilfe nicht nur ein Rückschritt sondern treffe Kinder "besonders hart". Sie sei ein Grundgesetz "zur Beförderung und nicht zur Verhinderung von Armut". In Nieder- und Oberösterreich würden Ausführungsgesetzte zur Anwendung kommen, die Kinderarmut beförderten. Fenninger forderte daher eine umfassende Reform der Sozialhilfe und eine Kindergrundsicherung. "Wir müssen die Armut als Folge der Krise genauso bekämpfen wie die Krise selbst."

Doris Pettighofer von der Plattform für Alleinerziehende erinnerte daran, dass sich die Situation für diese Gruppe in der Pandemie "dramatisch" verschlechtert habe. Nicht nur hätten sich die Alltagsausgaben erhöht, so seien auch institutionelle Kinderbetreuung, Schulen und soziale Netzwerke weggebrochen. Diese Mehrbelastungen seien in "keiner Weise" in den Hilfsmaßnahmen abgebildet worden. Die Verzweiflung bei den Betroffenen sei groß.

Warnung vor Delogierungs-Welle

An die 450.000 Menschen, die gegenwärtig arbeitslos sind, erinnerte wiederum Schifteh Hashemi, Geschäftsführerin von arbeit plus. Diese Menschen seien aktuell zusätzlichem Druck ausgeliefert und hätten große Existenzängste, jedoch keine Anbindung an arbeitsmarktpolitische Angebote. Kritik übte Hashemi daran, dass der Beschluss des Sozialhilfegesetzes mit Kürzungen im arbeitsmarktpolitischen Budget einhergingen. Wichtig wäre ein "Brückenschlag" zwischen Arbeitsmarktpolitik, Existenzsicherung und Armutsbekämpfung, gerade jetzt in der aktuellen Krise.

Alexander Machatschke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rechnet im kommenden Jahr - "spätestens im Herbst" - mit einer großen Welle von Delogierungen. Dabei verschärfe die neue Sozialhilfe auch die Situation für Wohnungslose. Etwa durch die Aufteilung von 40 Prozent auf Wohnbedarf und 60 Prozent für Lebensunterhalt. Bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung waren dies noch 25 Prozent für Wohnbedarf und 75 Prozent für den Lebensunterhalt. Wohnungslose Menschen erhielten somit 15 Prozent weniger Leistung, haben aber trotzdem oft nicht nachweisbare Wohnkosten zu zahlen. Auch werde dadurch die Möglichkeit erschwert, etwas für künftige Kautionen oder Provisionen anzusparen.