Chronik/Burgenland

Durch Holocaust-Gedenkinitiative Verwandte gefunden

„Der Taufname meiner Mutter war Stössel…“ – Mit diesen Worten begann das Schreiben, das die Lockenhauserin Ruth Patzelt via eMail von Robert Schon aus London erhielt. „Es war die Nachricht eines Nachkommens einer aus Lockenhaus stammenden jüdischen Familie“, sagt Patzelt.

Das Ehepaar Emanuel und Valerie Stössel war – nach ihrem Umzug von Lockenhaus nach Mödling – 1941 nach Lodz (Polen) deportiert und von den Nazis ermordet worden. In Mödling erinnern zwei kleine Stolpersteine an sie. Ihre drei Töchter Franzi, Sophie und Gretel konnten nach England flüchten. Eine von ihnen – die 1919 geborene Sophie Stössel – ist die Mutter Robert Schons.

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„Sehr berührend“

Es war die von Patzelt im Rahmen der Gedenkinitiative betreute Homepage „shalom.Lockenhaus“, durch die Schon auf den Geburtsort seines Großvaters gestoßen ist (siehe Zusatzbericht). Patzelt griff sofort zum Hörer. „Es war ein sehr berührendes Gespräch. Robert Schon erzählte, dass er durch die Homepage erfahren hat, dass es noch mehr Familienmitglieder gab, die die Shoa überlebt haben.“

Aber es gab auch eine traurige Nachricht. „Er musste auch lesen, dass sieben Mitglieder eines Familienzweigs, von deren Existenz er bis dahin nichts wusste, in Auschwitz und Dachau ermordet wurden. Es waren der Onkel, dessen Frau sowie die Cousins und Cousinen seiner Mutter.“

Dass er noch Verwandte hat, die in London und Israel leben, das sei aber eine Überraschung gewesen. Mit einem von ihnen sei er nun in Kontakt getreten, schildert Schon. Durch den Kontakt zu Patzelt hofft er, mehr über seine Ahnen zu erfahren.

 

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Auch für Patzelt, die sich seit Jahren mit der Geschichte der jüdischen Bewohner von Lockenhaus befasst, ist der Kontakt mit einem Nachkommen eines früheren Bewohners eine Freude. „Ich war völlig überrascht und aufgeregt, denn über Emanuel Stössel haben wir sehr wenig Daten.“ Dass drei Töchter Emanuel Stössels 1938 nach England fliehen konnten, das sei bisher nicht bekannt gewesen.

Seit Jahren bemüht sich Ruth Patzelt, „das jüdische Erbe in Lockenhaus sichtbar zu machen“. 2008 hat Architektin Barbara Horvath im Ort eine Gedenktafel für die Opfer der Shoa gestaltet. Dreizehn Namen sind in das Mahnmal eingraviert. Es gebe noch so viele Geschichten ehemaliger jüdischer Bewohner, die noch im Verborgenen lägen. „Da fehlt noch was in Lockenhaus“, so Patzelt.

Derzeit überwiegt die Freude: Robert Schon und seine Familie haben ihren Besuch angekündigt. „Wir freuen uns alle, Ruth zu treffen.“

www.shalom-lockenhaus.at

KURIER: Wie haben Sie shalom.Lockenhaus entdeckt?
Robert Schon: Die BBC hat kürzlich eine Fernsehsendung mit Robert Rinder gemacht, in der er über die Erfahrungen seiner eigenen Familie mit dem Holocaust sprach. Meine Frau schaltete die Sendung ein. Als ich ins Bett ging, googelte ich  den Namen von der Mutter meiner Mutter – Valerie Stössel – und fand Ruth Patzelts Homepage.

KURIER: Können Sie den Moment schildern, als Sie mehr über ihre Vorfahren erfuhren?
Schon: Ich wusste nichts über die  Familie meiner Mutter, außer dass ich die Namen ihrer Eltern,  ihrer zwei Schwestern und ihrer Kinder und einer Cousine in Straßburg kannte. Über meine Großeltern weiß ich nahezu Null. Mir war aber bewusst, dass es  Verbindungen zu Lockenhaus gibt. Es war eine Freude, meinen Verwandten alles über Ruths Arbeit erzählen zu können – ihre enorme Ergänzung zu den Informationen, die wir haben bzw. hatten.

KURIER: Sie haben erfahren, dass Sie noch weitere Verwandte in London haben.
Schon: Es war sehr traurig, zu wissen, dass meine Mutter eine ziemlich nah verwandte Familie hatte, die auch den Holocaust überlebte und in London war, aber sie wusste nichts von ihrer Existenz.