„Botenpilot“: Erst die Notlandung, dann der Neustart
Von Paul Haider
Wer sich dieser Tage im Umland von Parndorf eine Pizza nach Hause liefern lässt, der bekommt sie möglicherweise von einem Herrn in Pilotenuniform überreicht. Dabei handelt es sich um Marcus Kern. Mit seiner neuen Firma „Botenpilot“ liefert er unter anderem Speisen der Parndorfer Restaurants „L'Osteria“ und „Servus“ aus. Die Uniform ist nicht nur ein Marketing-Gag: Kern ist tatsächlich sein halbes Leben lang hauptberuflich um die Welt geflogen – bis ihn die Corona-Krise auf den Boden zurückgeholt hat.
Im KURIER-Gespräch sagt der 50-Jährige über sich selbst: „Ich bin von Kindesbeinen an berufener Pilot. Es gab nie einen anderen Berufswunsch“.
Seine Karriere in luftigen Höhen begann für den gebürtigen Mödlinger, der schon seit einem Vierteljahrhundert im Burgenland lebt, 1995 bei Tyrolean Airways. Es folgen Stationen bei Emirates und DHL. Seine Dienstorte waren (unter anderen) London, Leipzig, Dubai und Rom.
Zuletzt war der Neusiedler bei der skandinavischen Airline „Norwegian“ beschäftigt. Das Luftfahrtunternehmen ist im Zuge der Corona-Krise in die Insolvenz geschlittert. Seinen bislang letzten Flug als Pilot hat Marcus Kern am 4. Jänner 2020 absolviert.
Die große Ungewissheit
Danach kam die große Ungewissheit. Kurzarbeit oder staatliche Hilfen gab es bei der norwegischen Airline nicht. „Dann war ich zu Hause und habe mich gefragt, was mache ich jetzt? Ich bin mit Leib und Seele Pilot und das ist auch das Einzige, in dem ich Experte bin. Wer wartet da auf mich mit 50 Jahren als Quereinsteiger am Arbeitsmarkt? Mein Sandkastenfreund, der bei einer großen Wirtschaftskanzlei arbeitet, hat mir gesagt: ‚Du musst deine eigene Firma aufmachen‘“, erinnert sich Marcus Kern.
Erfahrung als Unternehmer hatte der langjährige Pilot neben seinem Hauptberuf schon mit verschiedenen Projekten gesammelt. Auf eine neue Geschäftsidee brachte ihn dann eine Internet-Suche: „Ich habe gegoogelt, um zu schauen, welche Botendienste es bei uns in der Nähe gibt. Die Antwort war, es gibt keinen! Das kann zwei Gründe haben: Entweder es gibt keinen Bedarf oder ich bin der erste mit der tollen Idee“, sagt der 50-Jährige lachend. Kurzerhand ruft der einfallsreiche Neusiedler die Homepage botenpilot.at ins Leben. Bald darauf folgt die offizielle Firmengründung gemeinsam mit seiner Frau Elfi.
Statt im Boeing-Cockpit sitzt Marcus Kern seit November nun täglich am Steuer seines Kombis und bietet Transporte (fast) aller Art an. Befördert werden beispielsweise Dokumente, Medikamente und Pakete bis 20 Kilogramm. An Bord ist auch eine Kühlbox, die Sendungen bei Bedarf bis minus 20 Grad kühlen kann. Das Zauberwort beim „Botenpiloten“ lautet Same-Day-Delivery: Die Lieferung erfolgt immer am selben Tag – gegen Aufpreis auch in der Nacht.
Was kostet eine Sendung?
Der Preis richtet sich nach der Art und Größe der Sendung, der Entfernung und der Lieferzeit. Die Kosten können auf botenpilot.at unverbindlich errechnet werden
Ein Beispiel
Die Lieferung eines mittelgroßen Pakets (56 x 36 x 29 Zentimeter bis 20 Kilogramm) von Neusiedl am See nach Eisenstadt mit Lieferung am gleichen Tag (Abholung am Vormittag oder Nachmittag) kostet zum Beispiel 54 Euro
Der Lieferradius beträgt zirka 50 Kilometer rund um Neusiedl am See. Die Kosten richten sich nach Distanz und Paketgröße und können auf seiner Homepage schnell errechnet werden.
Passagiere nimmt der „Botenpilot“ übrigens nicht mit. Denn dafür bräuchte es eine Taxikonzession. Für Haustiere hingegen spielt er gerne den Chauffeur, sie transportiert er auch in Kooperation mit der Tierklinik Parndorf. Für Hunde wird der Kofferraum sogar in eine gemütliche „Doggie Lounge“ verwandelt, Rampe zum Einsteigen inklusive. Schwer kranke Tiere und Notfälle transportiere er aber nicht, betont Marcus Kern. Dafür sollte die Tierrettung gerufen werden.
Marcus Kern selbst ist bei einer anderen Einsatzorganisation ehrenamtlich tätig. Schon seit zehn Jahren ist er Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr Neusiedl am See.
Pilot, Bote, Feuerwehrmann
Als Feuerwehrmann war er im Vorjahr besonders aktiv: „Bis ich das Geschäft angefangen habe, war ich fast täglich bei der Feuerwehr. Sie hat mir durch die Corona-Krise geholfen und mir einen Lebensinhalt gegeben. Man kann nicht den ganzen Tag nur Computerspielen“, lacht der frühere internationale Pendler, der sich erst in der Stadt am Neusiedler See zum ersten Mal an einem Ort so richtig zu Hause gefühlt hat, wie er erzählt.
So ist der Flugzeug-Kapitän, dessen Arbeitsplatz bis vor eineinhalb Jahren die ganze Welt war, also als innovativer Unternehmer im Burgenland sesshaft geworden.
Marcus Kern schließt aber nicht aus, dass er eines Tages doch wieder in ein Cockpit steigen wird. Der „Botenpilot“ könnte also vielleicht selbst wieder abheben. Seine neue Firma will er sich dann als zweites Standbein erhalten. Mitarbeiter werden bereits gesucht.