So sieht das Ausland Kern, Hofer & Co

Für den KURIER bewerten drei renommierte Auslandskorrespondenten das Politik-Jahr 2016

"Bilanz des Kanzlers ist leicht enttäuschend"

Meret Baumann. Kerns neuer Kurs hat überrascht.

Die Hofburg-Wahl? Natürlich war sie wichtig und ein zentrales Ereignis im Jahr 2016. "Nach dem Brexit-Votum und der Wahl von Donald Trump", sagt Meret Baumann, Korrespondentin der Neuen Zürcher Zeitung in Wien, hat tatsächlich die ganze Welt auf das kleine Österreich geschaut – ob hier wohl der erste Rechtspopulist zum Staatschef aufsteigt?"

Innenpolitisch weitaus bedeutsamer ist für die Schweizerin allerdings der Kanzlerwechsel im Frühjahr. "Weil er letztlich ein direktes Ergebnis der regierungsinternen Debatte um die Obergrenze war."

So sieht das Ausland Kern, Hofer & Co
Meret Baumann

Für Baumann ist es bemerkenswert, dass die SPÖ den Faymann/Merkel-Kurs verlassen hat: "Dass der neue sozialdemokratische Kanzler die Richtung derart massiv wechselt habe ich persönlich nicht erwartet."

Womit Christian Kern angesprochen ist.

Hat der neue Kanzler bislang überzeugt? Ist er seinen Ankündigungen treu geblieben bzw. hat er die Hoffnungen erfüllt?

Für Journalistin Baumann sind die Auftritte des früheren ÖBB-Chefmanagers zwar überzeugend: "Er erklärt klar und sehr schlüssig, wie einzelne Entscheidungen zustandekommen."

Gleichwohl sei seine bisherige Bilanz "leicht enttäuschend". Warum?

"Weil die Erwartungshaltung nach Kerns Antrittsrede ausnehmend hoch war, und er ganz offensichtlich unterschätzt hat, wie schwierig es ist, mit der Volkspartei zu koalieren." So sei die persönliche Ebene Kern-Mitterlehner zwar von Vertrauen geprägt. "Aber die beiden Parteien dahinter", sagt Baumann, "bestehen aus verschiedensten Flügeln. Und die zu koordinieren hat sich der neue SPÖ-Chef ziemlich sicher einfacher vorgestellt."

Entscheidend werde 2017, ob sich die Lage am Arbeitsmarkt entspannt. "Das ist eine der zentralen, wenn nicht sogar die wichtigste Sorge der Bürger überhaupt".

Die im Zuge der Hofburg-Wahl gern attestierte Spaltung Österreichs sieht Baumann übrigens nicht. "Ich kenne die Situation in Polen oder auch Ungarn aus erster Hand, und hier muss man klar sagen: Von derartigen Verhältnissen ist Österreich noch sehr weit entfernt."


"Gemäßigter Ton der FPÖ war nur Versuch"

Cathrin Kahlweit. Kurswechsel nur kurzfristig.

Für Cathrin Kahlweit, Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Wien, brachte 2016 eine Entwicklung, die noch spannender war als all die Debatten um verschobene Wahl-Termine oder Schlampigkeiten bei der Auszählung, nämlich: die versuchte Verbürgerlichung der Freiheitlichen."Der FPÖ ist es im Wahlkampf ein Stück weit gelungen, sich in die Mitte der Gesellschaft zu schieben", sagt Kahlweit zum KURIER. Gleichwohl sei es bei der Behauptung geblieben.

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Cathrin Kahlweit Süddeutsche Korrespondentin

Warum? "Weil die 47 Prozent nur scheinbar ein Erfolg sind und die Reaktionen im Netz und auch die jüngeren Aktivitäten der FPÖ deutlich zeigen: Die FPÖ vor dem Hofburg-Wahlkampf ist die FPÖ nach dem Hofburg-Wahlkampf. Es blieb beim Versuch eines gemäßigteren Tons.

"Laut Kahlweit wurde der Ton der FPÖ nach der Stichwahl deutlich aggressiver: "Nach dem Wahlsonntag gab es eine wahnsinnige Enttäuschung. Da vorgezogene Neuwahlen nun aber wieder unwahrscheinlicher wurden, muss die FPÖ daran gehen, die Stammwähler bei Laune zu halten. Zusammengefasst heißt das aus der FPÖ: ,die freundlich-harmlose Nummer hat nicht gereicht, also zurück zum alten Kurs‘." Die zweite bemerkenswerte Entwicklung war für die Deutsche der Wechsel an der SPÖ-Spitze: "Ganz unpolemisch darf man fragen: ,Können wir uns eigentlich noch an Herrn Faymann erinnern?’"

Der Liesinger sei so schnell vergessen gewesen, "weil er psychologisch ein unglaublicher Ballast für die Regierung war". Christian Kerns Bilanz sei inhaltlich zwar – noch – mager ("Er hat nicht viel vorzuweisen"). Dennoch sei der neue SPÖ-Chef ein guter Kommunikator. "Er wirkt charmant, souverän und vermittelt das Gefühl: ,Hier passiert etwas Positives‘." Was wartet 2017? Laut Kahlweit wird die Regierung ein paar kleinere Reformen umsetzen. Innerhalb der ÖVP könnte sich die Lage sogar bessern: "Ich sehe keine Profilierungsmöglichkeiten für Kurz – das entspannt die Lage." Der Außenminister müsse tun, was er zuletzt nicht gut genug gemacht habe, nämlich: "Faktisch die Integrationspolitik vorantreiben."


"Österreich müsste die Reset-Taste drücken"

Hans Peter Siebenhaar. Warnt vor "Reförmchen".

"2016 hat sich die bedenkliche Zerrissenheit Österreichs manifestiert."

Für Hans-Peter Siebenhaar, den Österreich-Korrespondenten des Handelsblattes, war die sichtbar gewordene "Aufteilung des Landes in zwei fast unversöhnliche Blöcke" eine der zentralen Entwicklungen, die 2016 politisch gebracht hat.

Polarisierung und Desillusionierung, an denen letztlich auch ein Kanzlerwechsel nichts ändern konnten, würden Gesellschaft und Politik mittlerweile aber streckenweise lähmen, meint der Beobachter. Was also tun?

So sieht das Ausland Kern, Hofer & Co
15.10.2009 Duesseldorf, Handelsblatt GmbH Kasernenstrasse 67 Dr. Hans-Peter Siebenhaar Foto: Pablo Castagnola

Für Siebenhaar ist entscheidend, dass Österreich anstatt von "Reförmchen" nun echte Reformen angeht: "Österreich müsste ökonomisch die ,Reset‘-Taste drücken. Mit einem Spitzensteuersatz von 55 Prozent und einer BIP-Verschuldung jenseits der 80 Prozent ist man bei Weitem nicht dort, wo man eigentlich hingehören würde, nämlich: an die wirtschaftliche Spitze Europas."

Was genau läuft schief? Laut Siebenhaar muss Österreich "ein neues Geschäftsmodell" entwickeln. "Der vergleichsweise starke Staat, der den Einzelnen in ein enges Korsett zwingt, ist nicht mehr zielführend – Österreich ist umringt von Ländern mit hohem Wirtschaftswachstum." Kanzler Kern und seine Regierungsmannschaft müssten 2017 eine klare Antwort auf die Frage geben: Wo ist der Platz eines wohlhabenden Landes in der globalisierten Gesellschaft?

Siebenhaar will die Verantwortung für den Status quo freilich nicht allein den Parteien oder der institutionalisierten Politik zuschreiben: "Es gibt auch eine Bringschuld der Bürger. Und die besteht eben darin, wirtschaftliches Wohlergehen nicht als unverrückbar zu sehen." So sei etwa die Annahme, dass der Staat für jeden Bürger ein "Rundum-Sorglos-Paket" zu schnüren habe e und man sich als Land einfach "einigeln" könne, völlig falsch. "Der Staat ist keine Wellness-Oase."

Bürger und Politik müssten sich demnach ein neues "Mindset" verpassen, in dem der Mut, Dinge zu verändern, wieder zu etwas Positivem und Selbstverständlichen wird. "Denn der ständige Blick zurück ist kein guter Ratgeber für die Zukunft."

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