Warum "seichte Beben" so tückisch sind

Die Forscher bekommen die Daten der italienischen Kollegen in Echtzeit
Nach dem Beben: Der Geophysiker Wolfgang Lenhardt erklärt die Vorgänge im Erdinneren.

Wolfgang Lenhardt kennt sich mit Erdbeben aus, wie kaum ein zweiter, leitet er doch die Abteilung Geophysik der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Im KURIER-Interview erklärt er, warum die Erde in Italien so oft bebt, warum er denkt, dass die aktuelle Erschütterung das Hauptbeben war, und warum "seichte Beben" viel tückischer sind.

KURIER: Herr Lenhardt, wie haben Sie das Beben im Appenin registriert?

Warum "seichte Beben" so tückisch sind
Liebe Frau Schmid, anbei das gewünschte Foto (schmerzfrei...), Wolfgang Lenhardt Wolfgang A. Lenhardt Seismological Service - Section Head Department of Geophysics ZAMG - Central Institute for Meteorology and Geodynamics A-1190 Vienna, Hohe Warte 38 Phone: + 43 1 36 0 26 2507, Fax: + 43 1 368 66 21 E-Mail: wolfgang.lenhardt@zamg.ac.at Homepage: http://www.zamg.ac.at -------------------------------------------------------- Date: Tue, 28 Dec 2004 11:34:25 0100 From: Ilse Schmid Subject: Wtrlt: Foto von Lenhardt

Dr. Lenhardt:Es ist in allen Stationen in Österreich gemessen worden. Ein Seismometer misst die relative Bodenbewegung. Das induziert eine Spannung und diese Spannungsänderung wird aufgezeichnet, digitalisiert und am Bildschirm angezeigt.

Warum ist Italien so oft von Erdbeben betroffen?
Hier – im Appenin – findet aktive Gebirgsbildung statt. Die Adriatische Platte dringt unter einen Ozean, das Tyrrhenische Meer. Durch diese Unterschiebung kommt es zu Erdbeben in der Tiefsee aber auch im Appenin.

Sie sprechen im aktuellen Fall von einem „seichten Beben“. Heißt was?

Warum "seichte Beben" so tückisch sind
Das Hypozentrum – der Ausgangspunkt des Erdbebens – war nahe der Erdoberfläche. Das Beben ereignete sich in vier bis sechs Kilometer Tiefe. Normalerweise treten diese Beben in einer Tiefe von acht bis 15 Kilometer auf. Damit ist der Effekt viel näher an der Erdoberfläche.
Je seichter, desto mehr Auswirkungen?
Genau so ist es (oben).

Woher wissen Sie, dass dieses Beben das Hauptbeben war und nicht das Vorbeben eines noch viel ärgeren ist?
Das kann man nicht ausschließen. Im Nachhinein ist man immer klüger. Bisher ist es das Hauptbeben gewesen. Normalerweise gibt es sehr wenige oder gar keine Vorbeben. Weil es schon so viele Beben in diesem Bereich gegeben hat, ist anzunehmen, dass es kein Vorbeben war. Und das, was noch kommt die Nachbeben sind.
Es gibt noch ein weiteres Argument: Südlich und nördlich der Bruchzone hat es in den vergangene 30 Jahren schon Beben gegeben. Das heißt, dass diese Krustenbereiche entspannt sein dürften. Der mittlere Bereich war noch nicht entspannt – daher dieses Erdbeben.

Gibt es für Sie als Forscher einen Erkenntnis-Gewinn durch dieses Beben?
Wir werten jetzt alle Nachbeben aus, um zu sehen, ob die Erdbeben-Tätigkeit auf andere Bruchzonen überspringt. Es gibt einige Kilometer entfernt andere Störungen, die parallel dazu verlaufen. Weiters interessiert uns, wie stark und schnell die Nachbeben-Tätigkeit abklingt. Das ist spannend für uns, weil wir was seichte Beben betrifft kaum Erfahrungen haben. Das ist für die Einschätzung zukünftiger Szenarien sehr interessant.

Sie arbeiten mit den italienischen Kollegen zusammen?
Selbstverständlich. Wir haben Zugang zu deren Bebenstationen und bekommen die Daten in Echtzeit. Wir sehen wie sich die Erde in Italien ständig bewegt und die Kollegen sehen im Gegenzug wie sich der Erde bei uns bewegt. Und das trifft auch auf alle unsere Nachbarländer zu.

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