Allianz-Chef: "Versicherungen werden Finanzierer"

Wolfram Littich, Vorstandsvorsitzender der Allianz-Gruppe in Österreich
Österreich-Vorstand Wolfram Littich: Tiefe Zinsen zwingen zu alternativen Veranlagungsformen wie Kredite

KURIER: Warum sind Sie als Aufsichtsrat der OMV zurückgetreten?

Wolfram Littich:Ich will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, inkompatibel zu handeln. Wir investieren sehr viel in Infrastruktur, damit könnten sich unsere Interessen mit jenen der OMV überschneiden.

Die Allianz ist in einem Konsortium für den Teilverkauf der OMV-Tochter Gas Connect Austria, der Gas-Hauptschlagader Österreichs.

Das kann ich nicht kommentieren.

Warum investiert die Allianz grundsätzlich in Infrastruktur?

Das ist einfach erklärt. Versicherungen haben langfristige Verbindlichkeiten gegenüber ihren Kunden. Dem Lebensversicherungs-Kunden werden beispielsweise vier Prozent Verzinsung auf 30 Jahre garantiert. Der Versicherer veranlagt aber nur auf drei Jahre. Was passiert, wenn die Zinsen dann auf null gehen? Die durchschnittliche Laufzeit der Verbindlichkeiten und die durchschnittliche Laufzeit der Veranlagung müssen gleich hoch sein. Das ist bei uns auch so, daher haben wir mit niedrigen Zinsen kein Problem. Und können 3,3 Prozent Gewinnbeteiligung bieten, obwohl die Verzinsung deutscher Staatsanleihen auf neun Jahre negativ ist. Wir wollen die Lebensversicherung mit dem höchsten Eigenkapital und den höchsten stillen Reserven sein. Wie ich das so sehe, sind wir das auch.

Wie geht sich das bei langfristig niedrigen Zinsen aus? Irgendwann laufen die hochverzinsten alten Anleihen aus.

Die Qualität einer Versicherung zeigt sich beim Unterschied der Laufzeiten und bei der Höhe der stillen Reserven. Da wird sich die Spreu vom Weizen trennen, und die Eigentümer müssen Kapital einschießen. Ich betone aber, dass das derzeit bei keiner Versicherung in Österreich der Fall ist. Derzeit wackelt keine einzige Lebensversicherung.

Sie haben die Frage noch nicht beantwortet, wie Sie trotz niedriger Zinsen höher neu veranlagen.

Eben mit Investments in Infrastruktur, die auf sehr lange Laufzeiten einen stabilen Cashflow abwerfen. Das ist wesentlich interessanter als etwa Immobilien. Dort haben Sie eine niedrige laufende Verzinsung und eine hohe Wertsteigerung am Schluss, wenn die Immobilie verkauft wird. Das brauche ich aber nicht. Ich brauche eine attraktive laufende Verzinsung, um den Verpflichtungen nachzukommen.

Bei welchen Infrastruktur-Projekten ist die Allianz investiert?

Zum Beispiel in Pipelines von Ölplattformen aufs norwegische Festland. Oder im tschechischen Gasleitungsnetz, einem Abwassertunnel in London und Windkraftwerken in Österreich und der Nordsee.

Die Zinsen werden noch lange so niedrig bleiben?

Ja. EZB-Präsident Draghi kauft jetzt zusätzlich noch Unternehmensanleihen, auch in schlechter Qualität. 20 Milliarden Euro im Monat bis zum Triple-B-Rating hinunter. Damit wird auch die Verzinsung von Unternehmensanleihen sinken. Mit Staatsanleihen verdient man heute schon nichts mehr, mit Unternehmensanleihen wird man morgen nichts mehr verdienen. Daher muss man sich nach alternativen Assets umschauen.

Die da wären?

Versicherungen und nicht Banken werden langfristige Kredite vergeben. Eine Bank vergibt niemals einen 15-jährigen Kredit zum Fixzinssatz. Banken haben langfristige Forderungen, refinanzieren sich aber kurzfristig. Versicherungen wollen aber genau diese langfristigen Kredite. Hypothekarkredite, aber auch Kredite in Industrieunternehmen. Versicherungen werden künftig langfristige und Banken kurzfristige Finanzierer sein. Die Lehman-Pleite und strenge Eigenkapitalvorschriften haben eine echte Strukturveränderung gebracht.

Allianz-Chef: "Versicherungen werden Finanzierer"
Interview mit Dr. Wolfram Littich, Vorstandsvorsitzender der Allianz-Gruppe in Österreich. Wien, am 26.04.2016.
Die Allianz gilt in Österreich als Kostenführer. Warum haben Sie so niedrige Kosten?

Wir haben vor 15 Jahren die gesamte Abwicklung und Verwaltung zentralisiert. Und eine IT programmiert, um die herum haben wir die Prozessstrukturen, die Organisation und die Produkte gebaut. Österreich ist das IT-Headquarter des Konzerns. Wir verkaufen unsere IT weltweit, auch an österreichische Versicherungen. Wir haben in Österreich die geringsten Administrationskosten im Konzern weltweit.

Auslagern in Billig-Lohnländer ist für Sie daher vermutlich kein Thema? Nein, die Frage ist, ob wir insourcen. Wir haben 400 IT-Experten, bald werden wir 500 haben. Entscheidend sind nicht die Kosten eines Programmierers, sondern was er programmiert. Die Mitbewerber müssen ihre IT teilweise hoch abschreiben oder viel Geld neu investieren.

Doch alle schwärmen von der digitalen Zukunft.

Die Frage ist, wie Sie zum Beispiel eine App mit der Kern-IT verbinden. Direkt, oder sind noch Menschen dazwischen? Die Zukunft der Digitalisierung ist nicht, die analoge Welt zu digitalisieren. Ein elektronischer Unfallbericht ist die alte Welt, nur auf einem Smartphone. Die digitale Welt ist: Sie fotografieren das Unfall-Auto und kriegen sofort den Ablösewert. Wir brauchen derzeit eine Stunde dafür, über den Sommer wollen wir das auf zehn Sekunden reduzieren. Auf diesem Gebiet wird eine Revolution stattfinden.

Wenn die Schadensabwicklung voll automatisiert ist und keine Menschen mehr eingebunden sind – ist die Allianz dann nicht ein unmenschlicher Konzern?

Nein. Wir müssen die Welten trennen. Das eine ist die Fabrik im Hintergrund, das andere sind die Kundenbeziehungen. Da müssen wir so dezentral und so nahe wie möglich bei den Kunden sein. Möglichst sogar in derselben Gemeinde. Wir haben die Kundenbetreuung mit rund 280 Outlets bzw. Filialen radikal ausgebaut. Wir wollen aber noch mehr Filialen. In der Lebensversicherung haben wir die höchste Kundentreue, in der Schaden-Unfall liegen wir vor Wiener Städtischer, UNIQA und Generali.

Zur Person: Wolfram Littich leitet seit 2001 die Allianz Österreich. Zuvor war der Volkswirt Vorstand der Wiener Börse und der Bank Austria

Nach dem Abgang von Allianz-Chef Wolfram Littich (56) aus dem OMV-Aufsichtsrat soll nächstes Jahr Ex-ÖBB-Chef Helmut Draxler aus dem Gremium des Öl- und Gaskonzerns abgehen. Littich und Draxler hatten sich früher gegenüber der alten Staatsholding ÖIAG immer wieder als kritische Aufsichtsräte unbeliebt gemacht. Bei Draxler wird nun mit dem Corporate Governance Codex argumentiert. Nach 15 Jahren sollte ein Aufsichtsrat gehen,
weil er mit dem Vorstand verhabert sein könnte. Littich hält diese Bestimmung für wenig sinnvoll: Wenn niemand mehr langfristig im Aufsichtsrat vertreten sei, gehe das Gedächtnis der Firma verloren.

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