Fünf Wochen nach dem Aus: ÖFB zog EURO-Bilanz

Marcel Koller
ÖFB-Teamchef Koller, Präsident Windtner und Sportdirektor Ruttensteiner stellten sich den Fragen der Presse.

Die hohe Erwartungshaltung, die Verfassung der Spieler vor der EM und eigene Fehlentscheidungen. Das waren für ÖFB-Präsident Leo Windtner und Sportdirektor Willi Ruttensteiner die wichtigsten Gründe für das Vorrunden-Aus des österreichischen Fußball-Nationalteams. Die beiden Funktionäre legten ihre Aufarbeitung am Freitag in einer Pressekonferenz in Wien gemeinsam mit Teamchef Marcel Koller dar.

Es sei in den vergangenen Wochen vor allem um eine „nüchterne Analyse“ gegangen, so Windtner, der das Ergebnis abhaken und die richtigen Schlüsse ziehen will.

„Das Ausscheiden in der Vorrunde war für uns, für Fußball-Österreich eine Riesen-Enttäuschung, wir haben einige Zeit gebraucht, um die Schockstarre zu überwinden“, so Windtner. „Aber das Erreichen der Endrunde ist erstmals auf sportlichem Weg gelungen und dieser Erfolg hat uns in ganz Europa entsprechende Reputation eingebracht.“

Analyse

Ruttensteiner habe nach der EM jeden Mitarbeiter aufgefordert, in seinem Bereich eine Analyse durchzuführen. Die Ergebnisse analysierte der Sportdirektor mit dem Teamchef in einer zweitägigen Klausur in der Schweiz und präsentierte sie am Donnerstag dem ÖFB-Präsidium. "Dort hat es eine Diskussion gegeben", erklärte Windtner, der Bericht sei zur Kenntnis genommen worden.

Für den ÖFB-Präsidenten war die hohe Erwartungshaltung der Öffentlichkeit eine Bürde. "Tatsache ist, dass der Hype zu einer gewissen Last geworden ist", meinte Windtner. Bei den Gruppengegnern Island und Ungarn sei das anders gewesen. "Vielleicht sind wir dem nicht mit der entsprechenden Klarheit entgegengetreten und haben darauf hingewiesen, was eine realistische Situation sein könnte, die letztlich auch eingetreten ist", erklärte Windtner.

Für Sportdirektor Ruttensteiner war die Verfassung einiger Spieler im Vorfeld des Turnieres ein mitentscheidender Grund für das Vorrunden-Aus. "Marcel Koller hat das in Frankreich nie zum Thema gemacht. Aber in Summe haben acht Spieler Probleme ins Teamcamp mitgebracht. Jeder Teamchef in Europa ist davon abhängig, wie die Spieler zur Nationalmannschaft kommen. Sie kommen mit einem gewissen Rucksack zum Team. Dieser Rucksack war schwer", sagte Ruttensteiner.

Wichtige Spieler seien mit physischen und mentalen Problemen ins Trainingslager in der Schweiz gekommen, so Ruttensteiner. Als Beispiele nannte er Aleksandar Dragovic und Marc Janko. Zu Dragovic sagte Ruttensteiner: "Er ist mit Knöchelproblemen gekommen. Wir haben ihn fit, aber bis zu den Spielen nicht in Bestform gebracht."

Janko habe vor dem Teamcamp fünf Wochen lang kein Meisterschaftsspiel bestritten. Dazu seien Spieler gekommen, die abgestiegen sind oder wenig Spielpraxis hatten, wie Martin Hinteregger, erklärte der Sportdirektor. Aus diesen Gründen sei der Kader nicht in Bestverfassung gewesen.

Die Erwartungshaltung und die damit in Diskrepanz stehenden Leistungen hätten auch direkte Auswirkungen auf dem Feld gehabt, erklärte Ruttensteiner. "Wenn die Erwartungshaltung mit der Leistung in Diskrepanz steht, erzeugt das Stress. Der wirkt sich auf das zentrale Nervensystem aus und beeinflusst die Koordination. Die Mannschaft hat viele leichte Abspiel- und Stellungsfehler gemacht. Wir haben zu wenig getan, um diesem Stress entgegenzuwirken", sagte Ruttensteiner.

Organisatorische Fehler

In der Organisation rund um die Spiele habe es noch zwei weitere Fehler gegeben, die sich negativ ausgewirkt hätten. Nach dem zweiten Gruppenspiel gegen Portugal gab es aufgrund der Dopingkontrolle und dem Auftanken des Flugzeugs rund um einen Termin in der österreichischen Botschaft in Paris eine Verspätung, die sich auf zweieinhalb Stunden summierte. "Da wäre eine Übernachtung in Paris besser gewesen", sagte Ruttensteiner.

Und vor dem letzten Gruppenspiel gegen Island gab es aufgrund der Verkehrslage in Paris vor der Aktivierung am Vormittag einen ungeplant langen Aufenthalt im Bus. "Da hätte man die Aktivierung vielleicht woanders, etwa im Hotel, machen können", meinte Ruttensteiner.

Die Gerüchte um einen angeblichen Tellerwurf im Teamcamp wurden ins Reich der Märchen verwiesen: „Es hat viel Kritik gegeben, zum Teil bissige, zum großen Teil auch berechtigte. Manches davon ist aber leider an den Fakten vorbeigegangen. Das sollte heute ein für allemal richtiggestellt werden“, so Windtner, überließ dies Willi Ruttensteiner: „Was ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen möchte: Dass es dort einen Tellerwurf gegeben hat. Ich war bei jedem Essen anwesend. So einen Vorfall hat es schlichtweg nicht gegeben. Das ist nicht in Ordnung, wenn man so etwas schreibt. Auch eine schlechte Stimmung gab es nicht. Dass man nach Niederlagen allerdings nicht das blühende Leben ist, ist auch klar.“

Keine Kritik an Koller

Kritik am Teamchef wollten weder Windtner noch Ruttensteiner üben: „Die Arbeit von Marcel Koller war in jeder Trainingseinheit, in jeder Besprechung erstklassig“, so Ruttensteiner.

Koller selbst sprach ebenfalls von einer „riesigen Enttäuschung."

„Wir hatten kein qualitatives Ballbesitzspiel, eine schlechte Chancenverwertung, fehlende Präzision bei den Pässen. Es war sehr auffällig, wie viele Fehlpässe wie wir gespielt haben. Wir hatten wenig Selbstvertrauen im Spielaufbau, im Passspiel. Das Selbstvertrauen der Spieler war schlichtweg nicht auf dem besten Level“, so Koller.

„Mit überzeugenden Leistungen und Siegen hätten wir Selbstvertrauen aufbauen können, das ist uns leider nicht gelungen. Auch im Pressing hatten wir nicht dieses Selbstverständnis, das nötig gewesen wäre.“

Angesprochen auf eine eventuell falsche Taktik im Island-Spiel sagte Koller: „Ich habe in der Vorbereitung auf Island 17 Spiele angeschaut. Island hat immer gleich gespielt. Da war mir klar, dass das sehr zäh werden würde. Und dass wir versuchen sollten, mehr Manpower ins Mittelfeld zu befördern, dort eine Überzahl herzustellen. Deshalb haben wir uns für das 3-5-2 entschieden. Auf dem Platz konnte der eine oder andere das individuell nicht umsetzen. Wir haben ein Gegentor aus einem Einwurf bekommen. Das hat nichts mit dem System zu tun. Wir hatten die Riesenchance durch Arnautovic, haben uns einen Elfmeter erarbeitet, den wir leider vergeben haben.“

Als Fehler wollte der Teamchef weder die Systemumstellung, noch das Vertrauen in die angeschlagenen Spieler bezeichnen. Und die übermäßige Nervosität der Spieler habe man schlichtweg nicht erahnen können: „Es kommt ja kein Spieler her und sagt: ‚Trainer, ich kann mit dem Druck, mit der Nervosität nicht umgehen.‘“

Fan-tastisch

Ins Schwärmen gerieten die Verantwortlichen lediglich beim Thema Fans. Zehntausende Österreicher waren nach Frankreich gepilgert um das Team lautstark und eindrucksvoll zu unterstützen.

Wer dem zurückgetretenen Christian Fuchs in der am 5. September in Georgien beginnenden WM-Qualifikation als ÖFB-Kapitän nachfolgt, ließ Koller offen. Fuchs' Position links in der Viererkette dürfte künftig wohl nicht von David Alaba eingenommen werden - der Coach deutete an, den Bayern-Star weiter im Mittelfeldzentrum einsetzen zu wollen.

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