Sieger trifft geschwächte Kanzlerin

Sieger trifft geschwächte Kanzlerin
Seine erste Auslandsreise als Präsident führt François Hollande am Dienstag nach Berlin – zur angeschlagenen Angela Merkel.

Er kommt mit dem f­rischen Rückenwind eines großen Wahlsiegs nach Berlin; sie hat aktuell die schlimmste einer ganzen Serie von Wahlniederlagen zu verdauen: Unterschiedlicher könnte die Stimmungslage beim ersten Kennenlernen von François Hollande und Angela Merkel kaum sein.

Doch Frankreichs neuer Präsident, der den strikten Sparkurs in Europa aufweichen und durch Investitionsprogramme ergänzen will, wird sich davor hüten, die deutsche Kanzlerin gleich zu überfordern. Denn Merkel hat bereits mehrfach bekräftigt, sie werde keine Wachstumsmaßnahmen auf Pump unterstützen. Bis zu einer für beide Seiten gesichtswahrenden Einigung wird es wohl noch dauern.

Hollande will Trophäe aus Berlin heimbringen

François Hollande braucht am Dienstag gute Nerven: Selten noch hatte ein Staatschef ein derart gerafftes Programm an seinem ersten Amtstag. Der rasende Terminplan startet um 10 Uhr im Pariser Élysée-Palast: Dort wird Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy dem neuen Staatschef den Geheimcode für den Einsatz der Atomwaffen übergeben.

Obwohl sich Hollande eine „nüchterne" Amtsübernahme ausgebeten hat, muss er die Rituale der „monarchischen Republik", wie Frankreichs Präsidentenregime ironisch genannt wird, durchlaufen: Er bekommt das „Band des Großmeisters der Ehrenlegion" umgehängt, hält eine erste Rede, 25 Kanonenschüsse werden abgefeuert.

Um 11.15 Uhr wird Hollande in der offenen Citroën-Limousine über die Champs-Élysée zur Flamme für den unbekannten Soldaten unter dem Triumphbogen chauffiert. Um 13.15 Uhr hält er vor der Statue des einstigen Unterrichtsministers Jules Ferry seine zweite Ansprache. Ferry war 1880 Schöpfer des allgemeinen, streng säkularen Schulsystems, das gegen die Vormacht der Kirche erkämpft wurde.

Hollande will dieses Symbol nützen, um seine Prioritäten, Schulwesen und Verteidigung der säkularen Prinzipien, zu unterstreichen.
Spätestens dann dürfte Hollande den Namen des Premiers bekannt geben und anschließend nach Berlin zu Angela Merkel fliegen. Beides ist politisch miteinander verknüpft: Der Premier soll schon von seiner Persönlichkeit her auf Berlin anheimelnd wirken.

Als Favorit gilt Jean-Marc Ayrault, 62: Der Fraktionschef der SP-Abgeordneten und Bürgermeister der Stadt Nantes war ursprünglich Deutsch-Professor. Außerdem gilt er als umgänglicher Pragmatiker. Allerdings laboriert Ayrault an einer Verurteilung von 1997 wegen irregulärer Auftragsvergabe für eine kommunale Druckschrift – ein Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz.

Zwei andere mögliche Anwärter auf den Posten stehen innerhalb des Spektrums der SP noch weiter weg vom linken Rand: Der 49-jährige Vorstadtbürgermeister Manuel Valls, der in Sachen Kriminalitätsbekämpfung und Schuldenabbau letztlich auch in einer Zentrumspartei seinen Platz hätte finden können. Und Ex-Finanzminister Michel Sapin, 60, ein bekennender Sparmeister. Dieser versicherte gerade, dass jedes Ankurbeln der Wirtschaft durch Defizit und Schulden „gefährlich" wäre – mehr könnte Merkel auch nicht verlangen.

Außerdem bekräftigte Sapin, Frankreich werde sein Defizit 2013 auf die mit der EU vereinbarten drei Prozent senken, nachdem es sich 2012 noch auf 4,5 Prozent belaufen dürfte. Wie das konkret geschehen soll, verrät vorläufig niemand im Umkreis von Hollande.
Deshalb ist auch das Treffen mit Merkel von immenser symbolischer Bedeutung: Hollande muss beweisen, dass er der Kanzlerin ein Zugeständnis im Bereich der von ihm geforderten, gemeinsamen Ankurbelmaßnahmen abgerungen hat. Mit dieser Trophäe hofft er dann die Sparprogramme an der Heimatfront anzugehen und die Gewerkschaften in einen Sozialpakt einzubinden.

Gleichzeitig wird Frankreichs neuer Präsident aber der politisch geschwächten Kanzlerin mit seinem üblichen Fingerspitzengefühl begegnen – also typisch „holländisch", wie man in Paris witzelt.

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