Wo sind denn die Wähler hin?

Wo sind denn die Wähler hin?
Von Rot zu Blau, von Schwarz zu Griss. Eine Erklärung der Wählerstromanalyse.

Besonders interessant nach so einer Wahl: Wer hat welche Wähler verloren und welcher Kandidat hat aus welchem Lager gewonnen? Meist sind diese Wählerstromanalysen allerdings in erster Linie verwirrend.

Der Journalist Martin Thür war nicht der einzige, der sich irritiert gezeigt hat, als im ORF die Analyse der Wählerströme präsentiert wurde. Und ORF-"Wahlfahrer" Hanno Settele zweifelt am Abend nach der Entscheidung an deren Glaubhaftigkeit - auch nicht als einziger.

Die Wählerströme entstammen einer SORA-Analyse, die vom ORF in Auftrag gegeben wurde. Während Tarek Leitner sich in der ZIB2 sichtlich bemühte, die vielen Zahlen verständlich zu erklären, wurde im Netz darüber diskutiert.

Hier die wichtigsten Antworten zur Wählerstromanalyse:

Basiert diese Analyse nicht auf adhoc-Befragungen vor den Wahllokalen?

Nein. Die Wählerströme werden auf Grundlage der vorläufigen Ergebnisse in ausgewählten Bezirken, Gemeinden und Sprengeln auf ganz Österreich hochgerechnet. Sobald das Sonntagsergebnis vollständig ausgezählt war, wurde die Wählerstromanalyse begonnen. Hineingerechnet wurde zudem die Wahlkartenprognose von SORA.

Viele bestreiten die Wissenschaftlichkeit dieser Analyse. Was steckt dahinter?

Die Wählerstromanalyse beruht auf demselben Verfahren wie die Hochrechnung, der multiplen Regression. "Die Annahme dahinter ist, dass es in sozial ähnlichen Sprengeln auch ähnliche Trends gibt", sagt Florian Oberhuber von SORA. Diese Sprengel werden im Vorfeld ausgesucht und gruppiert. Die Hochrechnung zeige ja, dass dieses Verfahren valide und doch recht genau ist. "Natürlich gibt es einen statistischen Schwankungsbereich."

Warum wurde die aktuelle Bundespräsidentenwahl mit der Nationalratswahl 2013 verglichen?

"Es musste eine bundesweite Wahl sein", sagt Oberhuber. Die Nationalratswahl sei als Grundlage für eine Hochrechnung schlichtweg am besten geeignet gewesen. Es gab einerseits eine hohe Wahlbeteiligung, andererseits sind viele Listen angetreten. Bei der Bundespräsidentenwahl von 2010 hingegen sind nur drei Kandidaten zur Wahl gestanden, sie wäre für den Vergleich daher weniger passend gewesen.

Welche sind die markantesten Wählerströme der Bundespräsidentenwahl 2016 im Vergleich zur Nationalratswahl 2013?

Der größte Strom in absoluten Zahlen sind jene 824.00 Menschen, die im Jahr 2013 die FPÖ und nun Norbert Hofer gewählt haben. Das entspricht starken 86 Prozent der FPÖ-Wähler, bei den Grünen konnten immerhin 69 Prozent mobilisiert werden und ihre Stimme für den Kandidaten Van der Bellen abgeben.

Bei der SPÖ waren es rund 402.000 SPÖ-Wähler von 2013, die nun Rudolf Hundstorfer wählten. Das entspricht 32 Prozent der Sozialdemokraten, also einem Drittel. Der Rest der ehemaligen Rotwähler entschied sich nun für Van der Bellen, Hofer und Griss. Ähnlich verhält es sich bei der ÖVP. Die Volkspartei verlor ihre Wähler an Irmgard Griss, außerdem sind viele aus dem ÖVP-Lager (28 Prozent), wie auch aus dem der SPÖ (26 Prozent), gar nicht wählen gegangen.

Wo sind denn die Wähler hin?
Zu Richard Lugner flossen 35.000 Stimmen von SPÖ-Wählern der Nationalratswahl 2013, 18.000 von ÖVP-Wählern, 16.000 von Nichtwählern und 10.000 von der FPÖ.

Woher kommen die Griss-Wähler?

Die Wähler der unabhängigen Kandidatin zeigen viele unterschiedliche Parteifarben. 26 Prozent entstammen von der ÖVP, 15 Prozent jeweils von SPÖ und den Grünen und 14 Prozent kommen von den NEOS.

Gibt es Grünwähler, die nun bei Norbert Hofer ihr Kreuzerl gemacht haben und Blauwähler, die nun für Van der Bellen gestimmt haben?

Ja, beides ist passiert. 16.000 Menschen, die im Jahr 2013 ihre Stimme der FPÖ gaben, haben nun Van der Bellen gewählt. 4.000 Wähler, die damals Grün wählten, haben nun Norbert Hofer gewählt.

Was bedeuten die Ergebnisse der Wählerstromanalyse für die Stichwahl?

"Für Van der Bellen gilt, dass er weit über die Grünwähler hinaus mobilisieren muss, um erfolgreich zu sein. Aber auch für Hofer gilt das", sagt Oberhuber. Hofer habe im ersten Wahlgang bereits 86 Prozent der FP-Wähler von 2013 abgeholt, hier sei also nicht mehr viel unausgeschöpftes Potenzial.

Was kann man aus der Wählerstromanalyse betreffend die Nichtwähler ablesen?

Insgesamt sind über 2,1 Millionen Menschen nicht wählen gegangen. Davon gaben 30 Prozent 2013 noch ihre Stimme ab. Hier liegt also noch großes Potenzial für beide Kandidaten in der Stichwahl.

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