Herr Pröll, soll FP als Nr.1 regieren?

"Ich warne davor, den Wählerwillen zu ignorieren", sagt Erwin Pröll.
"Nach demokratischen Regeln, ja", sagt der niederösterreichische Landeschef Erwin Pröll im KURIER-Gespräch.

KURIER: Bei der Landeshauptleute-Konferenz ist es wieder um das Streit-Thema Quartiere gegangen. Wer versagt hier?

Erwin Pröll: Wir haben mit der Innenministerin darüber geredet, was in nächster Zeit zu erwarten ist. Allen war klar, hält der Flüchtlingsstrom in der Intensität an und bleibt Österreich weiter Zielland, dann ist das nicht mehr zu bewältigen.

Welche Konsequenz zieht man daraus?

Die Frage ist, welchen Plan hat die Bundesregierung. Denn ich hoffe sehr, dass es mehr Vorbereitung auf alle Eventualitäten gibt, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Was wurde in der Vergangenheit versäumt?

Die Innenministerin warnt seit eineinhalb Jahren vor einer derartigen Entwicklung. Aber über weite Strecken hat man in der Bundesregierung entweder weggehört, weggeschaut oder sich dann, als die Fakten eingetreten sind, weggeduckt. Das hat Verunsicherung in der Bevölkerung ausgelöst.

Jetzt gab es das Gespräch mit der Innenministerin. Das ist nicht die Spitze der Bundesregierung.

Wir als Landeshauptleute haben daher ein Gespräch mit der Regierungsspitze verlangt, weil wir den Eindruck haben, dass man versucht, die Dinge entweder bewusst zur Seite zu drängen oder eine Strategie nicht nennen will. Wir brauchen Klarheit.

Herr Pröll, soll FP als Nr.1 regieren?
Was tun gegen die Krise: Investieren oder sparen? Kanzler Werner Faymann und Deutschlands Angela Merkel bei EU-Sondergipfel im Juli

Der Bundeskanzler ist stolz, dass er in dieser Frage im Gleichklang mit Angela Merkel agiert. Ist er mit Wegducken gemeint?

Das gilt für die gesamte Bundesregierung mit Ausnahme der Innenministerin.

Warum agiert man so?

Offenbar ist man über weite Strecken nicht gewohnt, die Dinge beim Namen zu nennen. In so einer Situation die Diskussion, auf Zaun oder nicht Zaun zu reduzieren, ist eines Staates unwürdig.

Die Debatte hat die Innenministerin begonnen.

Sie hat einzig darauf hingewiesen, dass es auch wegen der Situation in Deutschland notwendig ist, Kontrolle in diesen Flüchtlingsstrom hineinzubringen und dass es technische Maßnahmen geben soll, um das zu gewährleisten.

Einig ist man sich hier auch nicht.

Der Auftritt des Regierungschefs in der ZiB2 zur Frage Zaun oder nicht Zaun, ich würde sagen, war nicht gerade professionell. In dieser herausfordernden Situation hat der Kapitän auf der Brücke zu stehen, die Hebel in die Hand zu nehmen und sich nicht mit semantischen Tricks um die klare Antwort zu drücken. Die Menschen spüren, dass mit einer derartigen Vorgangsweise die Souveränität des Staates ins Wanken gerät.

Soll Österreich den Weg der Orbanisierung oder den Weg der offenen Grenzen und der Reisefreiheit gehen?

Das sind zwei Extreme. Ich hoffe, dass man in Kooperation mit den Nachbarländern versucht, zu einer geregelten Zuwanderung zu kommen. Und ob wir das zur Kenntnis nehmen wollen oder nicht, die Frage, wie viel verträgt Österreich, ist virulent. Die muss definiert werden.

Also die Debatte um Obergrenzen. Wer definiert die?

Dazu ist eine Bundesregierung da.

Ist in Niederösterreich der Plafond erreicht?

Wir haben 1,8 Millionen Einwohner und derzeit 12.000 Flüchtlinge. Die Flüchtlingsreferenten haben die Grenze mit 1,5 Prozent definiert. Daher müssen wir wissen, dass das Tempo der Migration im nächsten Jahr so nicht mehr zu realisieren ist.

Das Tempo muss also durch Maßnahmen gedrosselt werden?

Die Maßnahmen hat die EU an den Außengrenzen zu treffen. Und dabei muss es zu einer klaren Trennung zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen kommen.

Europa scheint aber hier nicht ruck, zuck unterwegs zu sein.

Ich bin ein begeisterter Europäer. Aber wenn Europa weiterhin in dieser Art Handlungsunfähigkeit zeigt, dann steht es auf der Kippe. Denn die Zuwanderung in der Form einfach treiben zu lassen, bedeutet, dass man die Hauptverantwortung den Einzelstaaten auferlegt. Wenn die überfordert sind, entsteht der Dominoeffekt, dass ein Staat nach dem anderen versucht, die Grenzen abzusichern. Am Ende haben wir ein Europa, das nicht zusammenwächst sondern auseinander fällt.

Wir sind schon mitten in dieser Entwicklung.

Daher ist entscheidend, ob es Europa gelingt, die Auffanglager an den Außengrenzen zu errichten, damit Schengen wieder in Kraft tritt. Ansonst bleibt das alles Schall und Rauch.

Braucht es wirklich die Symbolik, wie des Stacheldrahtes aus der Zeit des Kalten Krieges, um auf die Situation aufmerksam zu machen?

Herr Pröll, soll FP als Nr.1 regieren?
Um die Symbolik des Stacheldrahtes geht es nicht. Es gibt ein Zwischending zwischen Einladung und Abschotten. So ein wichtiges Signal ist Asyl auf Zeit. Und es ist auch wichtig, zu sagen, es kann nur mehr eine kontrollierte Zuwanderung geben. Denn je unkontrollierbarer der gesamte Flüchtlingsstrom ist, umso unsozialer und unmenschlicher wird es auch für die Flüchtlinge. Denn wohin das Signal der Einladung führt, hat man in den letzten Wochen verspürt.

Die Einladung ist von der Kanzlerin Merkel ausgegangen ist.

Gemeinsam mit dem Herrn Bundeskanzler.

War das ein historischer Fehler?

In der Beurteilung im Nachhinein ist das nicht glücklich gewesen.

Wie soll Asyl auf Zeit funktionieren, wenn auch hier kein klarer Konsens besteht?

Das ist ein typisches Verhalten dieser Bundesregierung. Bei wichtigen Entscheidungen ist nicht Hickhack sondern Ruckzuck gefragt. Ich weiß nicht, was das soll. Da wird am Vormittag in der Regierung Asyl auf Zeit beschlossen und eineinhalb Stunden später kommt schon Kritik aus der Kanzlerpartei. Was soll die Bevölkerung von einer derartigen Regierung halten?

Die Kritik kam von Ihrem Freund Häupl und seinen Stadträten.

Nicht nur. Da merkt man, dass es an Führungsautorität mangelt. Bei einem derartig wichtigen Instrument, mit dem man internationale Signale aussendet, erwarte ich mir, dass man wenigstens da den Grundkonsens in der Republik hochhält.

Profunde Wahlforscher haben nach der Wien-Wahl diagnostiziert: Das Flüchtlingsthema spaltet die Wähler in zwei Lager. Hier die Menschen, die mehr Engagement der Politik wollen, und dort die, die die Grenze total dicht machen wollen. Was ihrer Meinung nach zunehmend fehlt, sind einigende moralische Instanzen. Haben sie damit recht?

Das sehe ich deswegen auch so, weil ich nicht glauben kann, dass die österreichische Bevölkerung eine andere geworden ist als 1956 oder 1968. Natürlich haben sich die Wertigkeiten verändert. Ich bin aber überzeugt davon, dass der Wille zum Miteinander vorhanden ist. Aufgabe in der Republik ist es, dieses Miteinanders wieder zu stärken.

Apropos Miteinander und Reformen. Jetzt geht es wieder um die Schulpolitik. Sie sind im Sommer aus der Reformkommission heraus gegangen. Schon bereut?

Mein burgenländischer Kollege Hans Niessl und ich haben nicht aus Jux und Tollerei die Reformkommission verlassen. Das hat Ursachen. Die erste Reformrunde war am 22. Jänner, die zweite am 3. März. Dort ist von den Experten ein Modell vorgestellt worden das Hand und Fuß hatte. Die Ministerin hätte dann die für die Umsetzung notwendigen Gespräche rasch aufnehmen müssen. Bis Juni hat sich aber nichts getan. Mit der Opposition gab es kein einziges und mit der Gewerkschaft um Ostern ein unverbindliches Gespräch. Daraufhin haben Niessl und ich gesagt, dass das so nicht geht. Ich lasse mich doch von einer Ministerin nicht verschaukeln, dazu habe ich zu wenig Zeit.

Sie hätten das Papier vom 3. März befürwortet?

Ja, das sah eine klare Trennung zwischen Bundes- und Ländergesetzgebung vor. Der Bund gibt vor und die Länder führen aus. Punkt. Die ewige Streiterei, wer wofür zuständig ist und wer was bezahlt, hätte damit ein Ende gehabt. So, wie es aber jetzt ausschaut, wird das keine Reform sondern höchstens ein Reförmchen.

Und der Streit um die Kompetenz bei Lehrern?

Das war doch ein Nebenthema. Wir haben damals errechnet, dass diese Entflechtung jährlich eine Einsparung bis zu 40 Millionen Euro bringt.

Herr Pröll, soll FP als Nr.1 regieren?
Interview mit dem Landeshauptmann von Niederösterreich Dr. Erwin Pröll. Wien, 04.11.2015

Die Koalition steckt seit Monaten im Umfragetief. Wie kommt sie da wieder raus?

Man muss vom Hickhack zum Ruckzuck.

In der ÖVP wächst die Gruppe jener, die sagen, mit Rot-Schwarz werden wir nicht glücklich werden. Probieren wir was Neues. Gehören Sie zur Gruppe jener, die sagen, weiterwurschteln, oder etwas Neues wagen?

Ich weiß eines, klare Verhältnisse geben die Chance, klar die Verantwortung zuzuordnen und klar zu entscheiden. Wo es verwaschene Verhältnisse gibt, ist man immer von Partnern abhängig. Das führt dazu, dass Wasser in den Wein gegossen werden muss.

Abseits von Niederösterreich gibt es aber keine absolute Mehrheiten mehr.

Dann muss man sich fragen, warum. In Niederösterreich werden klare Ziele definiert und dann konsequent entschieden. Auf Bundesebene zeigt das jüngste Beispiel bei Asyl auf Zeit, dass man nicht verstanden hat, worum es geht. Bei Grundsatzentscheidung, wo es um das Gesamtgefüge des Staates geht, erwarte ich mir auch diese klaren Entscheidungen. Dann ist das Signal gegeben, das man braucht, um als Regierung auch Vertrauen zu genießen.

Sie haben in Niederösterreich trotz absoluter Mehrheit immer mir der zweitstärksten Partei ein Arbeitsübereinkommen geschlossen. Schließen Sie das 2018 auch mit der FPÖ, so die zweitstärkste Partei wird?

Diese Hypothese behandle ich nicht. Das Arbeitsübereinkommen war notwendig, um eine breite Arbeitsgrundlage vorzufinden. Aber das heißt nicht, dass man in einem Proporzsystem einen dritten oder vierten in der Regierung deshalb ausgrenzt. Ich habe das immer so praktiziert.

Ein schwarz-blauer Pakt wäre also auch in Niederösterreich in Zukunft vorstellbar?

Die Notwendigkeit im Blick 20 Jahre nach vorne sehe ich nicht.

Wie würden Sie mit einem FPÖ-Regierungsmitglied Höbart leben, der Asylwerber als Erd- und Höhlenmenschen bezeichnet?

Gott sei Dank muss ich mich mit einer derartigen Frage nicht auseinandersetzen.

Die FPÖ hat Susanne Winter ausgeschlossen. In der Haider-Ära hätte man derartige antisemitische Sager ausgesessen. Ist die FPÖ salonfähiger geworden?

Ich warne davor, auf Teufel komm raus einen Wählerwillen dadurch zu negieren, dass man eine demokratische Partei mit allen Mittel aus der Verantwortung drängt, wenn sie durch den Wähler in die Verantwortung hineingewählt wurde. So etwas ist der beste Steigbügelhalter, um die FPÖ noch stärker zu machen. Meiner Meinung nach ist der bessere Weg, die FPÖ je nach dem Wählerwillen in die Verantwortung zu nehmen, streng zu kontrollieren und streng zur Arbeit anzuhalten.

Ab welcher Grenze ist die FPÖ in die Verantwortung hereinzunehmen?

Wenn die FPÖ tatsächlich die Nummer eins wird, muss ich schon die Frage stellen, was berechtigt jemand, die Nummer eins aus der Regierung fern zu halten?

Das heißt als stärkste Partei hätte die FPÖ den legitimen Anspruch, zu regieren?

Nach demokratischen Regeln, ja.

Ihr Landsmann Schelling sagt, er würde einem schwarz-blauen Kabinett nicht angehören. Gilt das für alle Politiker mit Wurzeln in St. Pölten?

Das ist seine persönliche Entscheidung.

Sie werden immer wieder als Präsidentschaftskandidat der ÖVP genannt. Was ist Ihr aktueller Standpunkt dazu?

An meiner grundsätzlichen Situation hat sich nichts geändert.

Die Entscheidung fällt im Dezember oder im Jänner?

Das liegt nicht an mir, das werden die jeweiligen Parteien zu entscheiden haben.

Kommentare