Reinhold Mitterlehner: "Wollen 30 Prozent holen"
KURIER: Herr Vizekanzler, wie machen Sie das: In der Regierung geht noch immer nicht viel weiter, aber trotzdem haben Sie und die ÖVP bessere Umfragewerte als Ihr Vorgänger?
Mitterlehner: Mit jedem Neuanfang ist eine Erwartungshaltung verbunden und die war in meinem Fall erfreulicherweise positiv. Bei der Umsetzung hat sich vielleicht einiges aufgestaut. Aber das Motto: Heute angetreten, morgen erledigt gilt nirgendwo, auch in der Politik nicht. Und wenn einige erhofft haben, dass bei der Regierungsklausur in Schladming schon der Geldtransporter für die Auszahlung einer Steuersenkung von 1000 Euro für jeden steht, dann ist das unrealistisch.
Der Beschluss, 5 Milliarden bei der Steuersenkung auszuschütten, ohne zu sagen, woher die kommen sollen, klingt auch nicht sehr realistisch.
Die fünf Milliarden Euro sind ambitioniert, aber machbar.
Die Regierung arbeitet also nach dem Prinzip Hoffnung.Gilt das auch für die anderen offenen Fragen wie Bildung, Asyl und Bürokratiereform?
Nein, nicht nach dem Prinzip Hoffnung, sondern in der Erwartung, dass sich die Konjunktur 2015 wieder stärker ins Positive dreht. Nachdem die Erwartungshaltung nach einer Steuerreform so groß ist, werden wir auch jeden Euro drei Mal umdrehen, um das möglich zu machen. In der Frage der Bildung ist es uns gelungen, das Thema zu entkrampfen. Wir haben unsere Kritik an der Gesamtschule nicht aufgegeben, aber warten die Evaluierung laufender Schulversuche ab. Wir setzen jetzt einmal zum Beispiel mit der Sprachförderung dort an, wo die Prägung erfolgt, in der Volksschule und im Kindergarten.
In der Frage der Asylpolitik hat man das Gefühl, dass sich Rot und Schwarz weiter sekkieren. Die VP-Innenministerin will Kasernen für Flüchtlinge nutzen, der SP-Verteidigungsminister bietet ihr nur eine, die neben dem sehr belasteten Traiskirchen liegt.
Ist das der neue Stil in der Regierung, die Chefs machen etwas aus und dann geht es schneller?
Wir können nicht nur von einer neuen Stimmung leben, sondern müssen auch einen neuen Arbeitsmodus entwickeln.
Bei der Heeresreform sagen manche, Minister Klug wolle durch die Hintertür das Berufsheer einführen. Glauben die das zu Recht?
Das sehe ich nicht so. Wir sind uns einig, dass die militärischen Anforderungen anders sind als vor dreißig Jahren.
Und das von Klug vorgelegte Konzept weist jetzt in die richtige Richtung?
Einige Ankündigungen wollen wir noch auf ihre Realisierbarkeit nachprüfen.
Klug will auch mehr Geld. Realistisch?
Jetzt reden wir einmal über alle offenen Detailfragen und dann sehen wir weiter.
Alter Koalitionsstil war die gegenseitige Blockade. Wie wollen Sie diese künftig brechen?
Der neue Stil ist, dass man im eigenen Bereich mit gutem Beispiel vorangeht und umsetzt was im Regierungsprogramm steht. Früher hatten wir die Relation, dass zu 80 Prozent blockiert und zu 20 Prozent zusammengearbeitet wurde. Wenn ich mir die Medienberichte anschaue, dann waren die 20 Prozent oft nur der Sozialminister Hundstorfer und ich (lacht). Ich bin optimistisch, dass wir diese Relation nun umdrehen werden.
Woher rührt dieser Optimismus?
Ich habe in den Sommerferien viele Gespräche mit Freunden und Bürgern gehabt, die mich immer das gleiche gefragt haben: Wozu seid ihr eigentlich in der Regierung, wenn ihr immer nur streitet? Der Bürger erwartet von uns zu Recht Problemlösungen. In Wahlkämpfen ist genug Zeit, das die Parteien wieder die Unterschiede herausarbeiten.
Wie lange werden diese guten Vorsätze halten?
Wenn es uns gelingt, das in den nächsten Monaten weiter durchzuhalten, bekommt das eine Eigendynamik. Und wir müssen das Marketing verbessern, Politik ist Informationsmanagement und Problemlösung.
Das werden Sie auch in Richtung Bundesländer verbessern müssen.
Ja, das beginnt schon bei einem gemeinsamen Haushaltsrecht.
Sie wollen den Ländern in die Kassen schauen?
Der Finanzminister hat berichtet, dass man gut unterwegs ist und es gab bei einer Sitzung mit den Ländern keinen Widerspruch. Im Rechnungshofpräsidenten haben wir auch einen Partner, mit dem wir Sparpotenziale finden werden.
Der hat da schon viele Vorschläge gemacht.
Ja, zum Beispiel fließt Wasser durch alle Kompetenzen. Von der Gemeinde bis zum Bund, von der Lawinenverbauung bis zum Katastrophenschutz. Das wird eine Frage sein, die man lösen muss.
Kommen wir zu einem besonderen Schwachpunkt der ÖVP. Wie konnte man es zulassen, dass die Wiener ÖVP so absandelt und in Umfragen nur mehr bei 8 bis 10 Prozent liegt?
Wir sind personell gut aufgestellt und werden den Wahlkampf gemeinsam so gestalten müssen , damit der Wähler erkennt, dass wir für den leistungsorientierten Mittelstand sind.
Personell gut aufgestellt? Das meinen Sie ernst?
Ja.
Braucht Spitzenkandidat Manfred Juraczka nicht vielleicht doch ein Team um sich?
Er stellt sein Team selbst auf. Ergänzend haben wir in vielen Wiener Bezirken bekannte Bundespolitiker, die werden sich in den Wahlkampf einbringen. Ich werde mich im 19. Bezirk engagieren, aber auch die Familienministerin, der Außenminister und der Finanzminister werden im Wahlkampf aktiv sein.
Der St.Pöltner Schelling ist auch schon Wiener?
Nein, aber er wird sich einbringen.
Warum ist ein Bundespolitiker nicht gleich der bessere ÖVP-Spitzenkandidat für Wien?
Das glaube ich nicht.
Die ÖVP Wien ist marginalisiert. Ist auch die ÖVP-Niederösterreich geschwächt, weil sie nicht mehr so stark in der Regierung vertreten ist?
Ich gehe nicht nach regionalen Gesichtspunkten vor.
Kommen wir zum Wissenschaftsminister Mitterlehner. Sie wollen mehr Zugangsregeln für die Unis. Warum?
Weil wir dann mehr Steuerungsmöglichkeiten haben. Wir sind in den Uni-Rankings wieder schlechter geworden. Aber doch nicht wegen zu wenig Geld. Die Finanzierung ist ja gleich geblieben. Wir haben offensichtlich ein anderes Problem. Die besten Unis haben alle Gebühren und Zugangsregelungen.
Und sie haben mehr Geld.
Da wollen wir von den Deutschen lernen und gemeinnützige Stiftungen steuerlich begünstigen. In Deutschland haben viele Unternehmen das genutzt und Unis unterstützt. Trotzdem braucht es auch eine starke öffentliche Finanzierung.
Frage an den Energieminister: Die Industrie droht immer öfter, wegen hoher Energiekosten und ehrgeiziger Klimaziele abwandern zu müssen. Zu Recht?
Das Problem ist in der EU erkannt, wir müssen bei der Weltklimakonferenz 2015 in Paris über eine gerechte Verteilung weltweit reden.
Was werden Sie im nächsten Sommer sagen, wenn Sie wie heuer gefragt werden, was habt Ihr in der Regierung eigentlich zusammengebracht?
Ich hoffe, dass die Leute dann das Gefühl haben, dass in der Regierung gearbeitet wird und nicht gestritten. Und die Leute werden dann hoffentlich wissen, dass in ihrem Geldbörsel mehr Geld übrig bleiben wird. Jedenfalls dann, wenn wir jetzt die richtigen Reformen machen.
Man wird im März schon wissen, wie viel jedem Einzelnen die Steuerreform bringt?
Das ist der Plan. Im März wird der Zeitpunkt des Inkrafttretens festgelegt.
Sie haben versprochen, dass die ÖVP Schluss mit der Klientelpolitik machen wird. Wirklich?
Ja, weil wir ansonsten in der sich wandelnden Gesellschaft immer weniger Leute erreichen. Wir sind als Partei keine Interessensvertretung, sondern eine Sinngemeinschaft.
Was ist der Sinn der ÖVP?
Wir sind für den leistungsorientierten Bürger, marktwirtschaftlich und sozial ausgerichtet. Das Wort "Ökosoziale Marktwirtschaft" beschreibt das richtig.
Einer Ihrer Vorgänger als ÖVP-Chef, Josef Riegler, hat mit diesem Slogan Anfang der 90er-Jahre noch 32 Prozent der Stimmen bekommen. Damals eine Niederlage, heute unerreichbar?
Heute gibt es eine ganz andere Konkurrenzsituation mit mehr Parteien. Für uns sind heute 24 bis 30 Prozent realistisch.
Reinhold Mitterlehner im Porträt:
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