Muss bald jeder bis 70 arbeiten?

Kanzler Werner Faymann und Sozialminister Rudolf Hundstorfer zeigen, dass mit den Pensionen – inklusive Beamte – alles in Ordnung ist. Die ÖVP zetert: "Wahrer Zynismus."
Alte Streitfrage neu belebt: Heißt länger leben automatisch länger arbeiten?

Tickende Budget-Bombe oder langfristig gesichertes System? Die Pensionsfrage entzweit – wieder einmal – die Koalitionspartner SPÖ und ÖVP. Wird politisch gestritten, bleibt kaum Zeit für Fakten. Dabei sind sich Fachleuten einig, dass es mit den bisherigen Pensionsreformen nicht getan sein wird.

Warum wird plötzlich über die Pensionen gestritten? Was ist passiert?

Anlass der Debatte ist das Pensionsgutachten bis 2060, das von ÖVP und SPÖ unterschiedlich interpretiert wird. Bei der ÖVP schrillen die Alarmglocken, der Finanzminister ortet ein riesiges Budgetproblem. Die SPÖ beruhigt: Unter Einrechnung der deutlich sinkenden Beamtenzahlen bleibe das System stabil. Die öffentliche Auseinandersetzung hat aber auch mit dem SPÖ-Parteitag zu tun. ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hat mit der "Pensionsautomatik" eine alte Forderung seiner Partei neu aufs Tapet gebracht. SPÖ-Chef Werner Faymann, dem Kritiker mangelnde Durchsetzungskraft vorwerfen, nutzt die Chance zum Konter und gibt den Robin Hood der Rentner.

Was soll die Pensionsautomatik bewirken?

Die Lebenserwartung der Österreicher steigt wesentlich schneller als das Pensionsantrittsalter. SPÖ und ÖVP wollen das ändern, die Menschen sollen länger arbeiten und einzahlen. Der Weg dorthin ist umstritten. Die Volkspartei will eine Automatik einführen, bei der nach Vorbild anderer EU-Länder die zu erwartenden Pensionsbezüge – automatisch – an die steigende Lebenserwartung angepasst werden. Wer länger arbeitet, bekommt eine höhere Pension. Der "Automat" sei also "keine kaltherzige Maschine", der angehende Pensionist selbst entscheide, schreiben die Experten von Agenda Austria. Die SPÖ ist strikt gegen jeden Automatismus – und sieht jetzt keinen Handlungsbedarf. 2016 werde man vereinbarterweise prüfen, ob bisherige Reformen (z. B. Invaliditäts- und Korridorpension etc.) wirken und nötigenfalls nachschärfen. Faymann: "Ich bin gegen jeden Automaten, aber für die volle politische Verantwortung, Rede und Antwort zu stehen, ob sich das, was wir an Einzahlungen haben, mit dem, was wir an Auszahlungen haben, ausgeht."

Und, geht sich das aus? Ist das Pensionssystem nachhaltig ausfinanziert?

Nein, sagen Experten wie Bert Rürup oder Ulrich Schuh, das weitere Pensionsantrittsalter müsse weiter angepasst werden. Arbeiten bis 70 steht seit Längerem im Raum, aussprechen traut sich das kein Regierungspolitiker. Abzulesen ist das Finanzierungsproblem am Bundeszuschuss zu den Pensionen. Der Staat schießt zehn Milliarden Euro zu, bis 2060 soll der Bundeszuschuss auf mehr als 30 Milliarden im Jahr steigen.

Woran krankt das System grundsätzlich?

Zur Pensionslücke ist eine Gerechtigkeitslücke gekommen. Mit den Pensionsreformen der letzten 20 Jahre wurden insbesondere die (späteren) Pensionen der heute Jungen gekürzt. Dazu kommt das Job-Problem. An den Stellschrauben des Pensionssystems kann man noch relativ leicht drehen. Wesentlich schwieriger ist es, ausreichend Arbeitsplätze für Ältere zu schaffen. Die Folge ist: Nur zehn Prozent der Männer und 13 Prozent der Frauen bleiben derzeit über den erstmöglichen Antrittszeitpunkt hinaus im Erwerbsleben.

Was ist vom Bonus/Malus für Ältere zu erwarten?

Wenig, denn die Wirtschaft wehrt sich gegen ein verpflichtendes System. Lediglich freiwillig soll es in Zukunft einen finanziellen Ausgleich zwischen Firmen geben, die sich bei der Beschäftigung Älterer hervortun – und solchen, die säumig sind.

Wie sehr belastet die neue Pensionsdebatte das Koalitionsklima?

Momentan sehr, der frische Wind des Neustarts scheint verflogen. Faymann sagt: "Das persönliche Verhältnis mit dem Herrn Vizekanzler ist gut. Die ÖVP ist die selbe geblieben." Schon Wilhelm Molterer habe eine Pensionsautomatik gefordert. Mitterlehner kontert scharf: "Tatenlose Beschwichtigung ist die schlechteste Automatik. Das ist der wahre Zynismus."

Kommentare