"Österreich könnte selbstbewusster auftreten"

Johannes Hahn: „In der Krise ist das Misstrauen der Länder untereinander größer geworden“
Johannes Hahn, Österreichs EU-Kommissar in Brüssel, über Milliarden für Griechenland, die Mafia, Glühbirnen und warum sich Österreich in der EU mehr einbringen sollte.

KURIER: Herr Kommissar Hahn, Sie kommen eben aus Griechenland. Haben Sie den Eindruck, dass man mit EU-Milliarden für die Regionen Länder wie Griechenland sanieren kann?

Johannes Hahn: Ich habe in der Regionalpolitik den Fokus von der Infrastruktur auf die Wirtschaftsförderung gelenkt. So haben wir etwa für die kommende Förderperiode eine Verdoppelung der Förderung von Klein- und Mittelbetrieben von 70 auf 140 Milliarden Euro vorgesehen.

Damit wollen Sie Klein- und Mittelbetriebe fördern. Entstehen da auch neue Arbeitsplätze?

Wir haben in Europa 275 Regionen definiert. Jede musste uns eine Strategie vorlegen, wo investiert wird. Auf den Ionischen Inseln werden wir Fremdenverkehr und Agrotourismus fördern, in Epirus die Lebensmittelproduktion. In Südandalusien fördern wir die Steinindustrie. Dort wurden Fachhochschulen gegründet, wo die Verarbeitung von Stein gelehrt wird. Daraus entstanden Arbeitsplätze.

Wie viel fließt zu den Griechen?

"Österreich könnte selbstbewusster auftreten"
European Commissioner Johannes Hahn during his visits of the project Katogi, Strofilia SA Winery, in Metsovo, as the local authorities is inform European Commissioner Johannes Hahn about project, in Mestovo on 5 November, Greece. EU kofinanziertes Projekt in Metsovo (Weingut), Region Epirus
16 Milliarden in den nächsten sieben Jahren. Dort müssen noch Autobahnen gebaut werden, aber wir konzentrieren uns auf dringend notwendige Strukturreformen und investieren in die Schaffung eines Grundbuchs, Voraussetzung für Investitionen. Und wir fördern erneuerbare Energie.

Das viele Geld wird richtig verwendet?

Das Geld fließt nur für konkrete Projekte, die permanent kontrolliert werden. Wir vereinbaren mit jeder Region klare Ziele. Diese kann jeder Bürger in seiner Region prüfen.

Und was haben wir von der EU-Regionalpolitik?

Ich war etwa in einem steirischen Unternehmen, das sich auf die Entwicklung von Flugsimulationsanlagen spezialisiert hat. Die Anschubfinanzierung kam von der EU.

Leider hört man auch, dass EU-Gelder in dunklen Kanälen versickern, 400 Millionen für die Mafia.

Wir kontrollieren das genau. 12 Prozent meiner Beamten kümmern sich um Kontrolle.

Weil Sie glauben, dass viel betrogen wird?

Betrug macht nur 0,2 % aller beanstandeten Fälle aus. Der Großteil der Unregelmäßigkeiten bezieht sich auf Fehler, etwa in Ausschreibungsverfahren. Aber jeder Fall ist zu viel. Der Rechnungshof hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten ihre Kontrollfunktion sorgfältiger wahrnehmen müssen.

In Europa gibt es 19 Millionen jugendliche Arbeitslose, für die soll jetzt auch Geld ausgegeben werden, gerade mal 200 Euro pro Person. Wohl zu wenig.

Beschäftigungspolitik ist Aufgabe der einzelnen Staaten. Wir haben ja noch keine einheitliche Wirtschafts- und Sozialpolitik. Am wichtigsten wäre, dass sich die duale Berufsausbildung überall durchsetzt.

Davon reden wir schon lange.

Und die Spanier tun es. Mit Mitteln aus meinem Ressort werden Berufsschulen und Lehrerausbildung finanziert. Das führt zu mehr Unternehmensgründungen. Nach über vier Jahren im Amt und vielen Reisen sage ich: Jede Region der EU hat noch zusätzliches Potenzial.

Trotzdem wächst in Österreich die Stimmung, dass die EU mehr kostet als sie bringt und die Verwaltung weit weg und realitätsfern ist.

Es ist in vielen Ländern beliebt, alle Entscheidungen, die eine Regierung nicht treffen will, nach Brüssel zu delegieren.

Das gilt auch für uns?

Das gilt für alle. Ich wünsche mir, dass nationale Politiker in Brüssel fragen, was kann ich hier beitragen, und nicht zu Hause sagen, was habe ich verhindert oder was habe ich durchgesetzt. Subsidiaritätsprinzip heißt, dass geprüft werden soll, was wir auf europäischer Ebene regeln und wo die Staaten näher dran sind. In Brüssel sitzen ja keine Bürokraten, die darüber nachdenken, was sie an sich ziehen können. Wir haben das REFIT-Programm gestartet. Da werden alle Vorschriften durchforstet und die unnötigen gestrichen.

Von der krummen Gurke, über die Glühbirne bis zur Toilettenverordnung wird alles gestrichen?

Wir müssen uns schon um Energieeffizienz kümmern. Und die Glühbirne war ja nur ein Teil unseres Maßnahmenpakets. Das ist ja die große Schwäche Europas, dass wir von fremder Energie abhängig sind. Wir hatten zuletzt einen Handelsbilanzüberschuss von 317 Milliarden Euro, aber durch die Abhängigkeit von Öl und Gas wurde daraus ein Minus von 105 Milliarden Euro.

Die deutsche Kanzlerin Merkel und andere wollen, dass die Kommission mehr Einfluss hat, die nationalen Budgets zu kontrollieren.

Nach Jahren, wo die einen Länder anderen helfen durften, gibt es den Ruf nach einem Schiedsrichter. Da ist die Kommission ideal, die darf selbst keine Schulden machen. Es ist im Interesse der Nettozahler, wo ja Österreich dazu gehört, dass es Spielregeln gibt, damit Budgets nicht ausufern.

In der Krise ist das Misstrauen unter den EU-Ländern eher größer geworden.

Es ist eine der großen Schwächen Europas, dass wir von einander zu wenig wissen. Deshalb ist es gut, dass es das Erasmus-Programm gibt, wo über eine Million Jugendliche in einem anderen Land studiert haben. Auch ein Fach „Europakunde“ an den Schulen könnte hier Abhilfe schaffen.

So können die Jungen Vorurteile überprüfen, dass die Italiener besser kochen, die Deutschen ordentlicher und die Griechen schlampiger sind?

Ja, warum nicht (lacht). Und feststellen, dass alle Klischees nicht stimmen!

Im KURIER hat Bundeskanzler Faymann Sie relativ deutlich gelobt. Ein Beweis, dass Sie Kommissar bleiben können?

Es freut mich, wenn meine Arbeit registriert und positiv kommentiert wird. Ich mache meine Arbeit gern, aber meine europäische Karriere hängt nicht von mir ab.

Wenn Sie bleiben, stellt sich die Frage nach dem Aufgabengebiet, Dossier heißt das hier. Was würden Sie sich wünschen?

Je früher in Wien entschieden wird, ob ich bleibe, um so eher kann man sich mit der Aufgabe beschäftigen. Aber alle Bereiche, die die österreichische Wettbewerbsfähigkeit unterstützen, sind für uns interessant.

Also der wichtige Bereich Wettbewerb.

Ich will da nicht nur auf den Kommissar eingehen, da geht es auch etwa um Beamte.

Haben wir genug Beamte, die nach Brüssel drängen?

Leider nein, Brüssel ist finanziell nicht mehr so attraktiv wie früher. Ich könnte mir vorstellen, dass es für zukünftige Spitzenbeamte eine notwendige Qualifikation ist, dass sie zumindest fünf Jahre in EU-Institutionen gearbeitet haben.

Viele fürchten, dass bei der Europawahl die rechten eher europafeindlichen Parteien gestärkt werden.

Da müssen die Bürger informiert werden: In Österreich hängt jeder vierte Arbeitsplatz am Export. Und zwei Drittel der österreichischen Exporte gehen in die EU, das ist unser Heimmarkt.

Europa wird immer mehr von der starken Frau Merkel dominiert. Ist das gut für Europa?

Momentan ist die Lage auch für Deutschland nicht ideal. Helmut Kohl hat seinen Leuten gesagt: „Ihr könnt in Brüssel alles verhandeln, aber am Ende des Tages müsst ihr wissen, Deutschland ist bei den Kleinen.“ Das war für Deutschland eine gute Maxime. Letztlich sind wir alle von einander abhängig.

Könnte Österreich in der EU eine größere Rolle spielen?

Österreich könnte aufgrund seines Ansehens und seines wirtschaftlichen Erfolgs selbstbewusster sein, sich mehr einbringen.

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