Gestohlene eCards: Spielarten des Sozialbetrugs

Gestohlene eCards: Spielarten des Sozialbetrugs
Mit welchen Betrügern die Krankenkassen wirklich kämpfen.

Nennen wir den Patienten einfach Herrn Maier. Herrn Maier wird die eCard gestohlen, und der Dieb nutzt die Karte fortan, um nicht krankenversicherte Freunde und Verwandte in den Genuss heimischer Sozialleistungen zu bringen. So oder so ähnlich soll er sich abspielen, der Sozialbetrug. 200 Millionen Euro will die Regierung im Zuge der Steuer-Reform alleine dadurch lukrieren, indem sie den Sozialmissbrauch stärker bekämpft. Wie groß ist das Problem?

Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen:

Wie viele eCards werden wirklich gestohlen oder verloren?

Im Vorjahr waren es rund 206.000. Zwischen 2008 und 2013 sind rund 1,2 Millionen eCards gestohlen oder verloren worden. Laut Hauptverband werden diese Karten aber gesperrt, sie sind nutzlos.

Wie viele konkrete Missbrauchsfälle gab es?

Seit 2008 wurden dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger 421 mögliche Missbrauchsfälle von Patienten gemeldet, davon kamen aber lediglich 39 wirklich zur Anzeige. Der verursachte Schaden betrug etwas mehr als 100.000 Euro, wobei sich die Krankenkassen 18.100 Euro wieder zurückholen konnten.

Gibt es demnach also kaum Sozialmissbrauch?

Nein, so kann man das nicht sagen. Der Korruptionsexperte und Volkswirt Friedrich Schneider (Universität Linz) schätzt den Schaden, der in Österreich durch Sozialbetrug angerichtet wird, auf immerhin rund eine Milliarde Euro pro Jahr. Das sind – gemessen an den Gesamtausgaben – 1,2 Prozent. Die gestohlene eCard ist im Vergleich zu anderen Phänomenen des Sozialbetrugs aber eher nicht das große Problem.

Welche Spielarten des Sozialmissbrauchs beschäftigen die Krankenversicherungen tatsächlich?

Als ernsthaftes Problem werden etwa die Ausstände der nicht in Österreich versicherten Patienten erachtet (siehe Interview unten). Dabei geht es darum, dass Patienten mit gefälschten Garantien ausländischer Versicherungen nach Österreich kommen, um hier behandelt zu werden. Die größten Ausstände verursachen Patienten aus Griechenland, Rumänien und Bulgarien. Die Sozialversicherung verhandelt derzeit Ratenzahlungen mit den betroffenen Ländern.

Ein weiteres Problem ist die Entwicklung beim Krankengeld. Hiefür wurden im Vorjahr 674 Millionen Euro ausgegeben, und der Aufwand stieg 2013 beträchtlich, nämlich um 7,6 Prozent. Es besteht der Verdacht, dass sich Bezieher (45 Prozent sind AMS-Kunden) falsch krank melden, um den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu verlängern. Eine interne Studie wurde in Auftrag gegeben.

Peter McDonald, Vorstandsvorsitzender im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, über Hunderttausende verschwundene eCards, möglichen Sozialmissbrauch und offene Spitalsrechnungen:

KURIER: Allein im Jahr 2014 wurden mehr als 200.000 eCards als gestohlen oder verloren gemeldet. Muss man nicht davon ausgehen, dass hier erheblicher Schaden angerichtet wird?

Die Zahl klingt beeindruckend, aber ich kann Sie beruhigen: Die verlorenen oder gestohlenen Karten werden gesperrt – sie sind also nicht länger verwendbar.

Also ist die Behauptung, dass Kriminelle mit gestohlenen eCards von Arzt zu Arzt ziehen, blanker Unsinn?

Sie ist insofern überzogen, als wir schon jetzt wirksame Kontrollen haben. Zum einen sieht das Gesetz vor, dass bei Patienten, deren Identität nicht klar ist, ein Ausweis in der Ordination verlangt werden muss. Zum anderen kontrollieren die Krankenkassen selbst, was sie für Medikamente oder ärztliche Leistungen im Einzelfall bezahlen. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Es kann vorkommen, dass ein Medikament binnen kürzester Zeit von verschiedenen Ärzten mit immer derselben eCard bezogen wird. Hier könnte man vermuten, das Präparat wird bezogen, um es zu verkaufen. In solchen Fällen schauen wir uns genau an, was passiert ist – wir sind ja gesetzlich dazu verpflichtet, das Geld der Versicherten sparsam einzusetzen. Damit kein Missverständnis entsteht: 99 % des eCard-Gebrauchs erfolgt im Sinne der Versichertengemeinschaft.

Was ist das größte Problem beim Sozialmissbrauch, wo geht Geld verloren?

Ein viel größeres Problem stellen die nicht in Österreich versicherten Patienten dar. Wir haben zum Beispiel europäische Patienten, die sich hier behandeln lassen, deren Kosten aber – trotz bestehender Abkommen – später von den dortigen Versicherungen nicht übernommen werden. Die fälligen Ausstände betragen 20 Millionen Euro.

Die Regierung will verstärkt "Mystery Shopping" betreiben, also verdeckt agierende Patienten vor Ort schicken, um Betrug aufzudecken. Ist das sinnvoll?

Ja, absolut. Es geht weniger um Besuche in Ordinationen, sondern eher darum, vorgetäuschte Krankenstände aufzudecken. Auch hier geht es um wenige Einzelfälle, aber das Signal zählt: Die Solidargemeinschaft darf nicht missbraucht werden, hier wollen wir unter Druck geratene Ärzte unterstützen.

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