Mitterlehner will neuen Kurs in der Schulpolitik

Mitterlehner will neuen Kurs in der Schulpolitik
Der ÖVP-Chef sammelt Ideen der Fachleute – von Schulautonomie bis Frühförderung im Kindergarten.

ÖVP-Landeshauptmann Günther Platter und seine Koalitionspartnerin, Grünen-Chefin Ingrid Felipe, präsentierten am Montag das schulische "Erfolgsmodell" Tirol. Platter freute sich bei dieser Gelegenheit über den frischen Schwung in seiner Partei unter Reinhold Mitterlehner. Er ortet Bewegung in der Schul-Debatte und gibt sich "guter Hoffnung".

In der Tat, Mitterlehner zeigt im Bildungsbereich Reformeifer. Er hat nun ein Team zusammengestellt, dem neben anderen der streitbare Bildungsexperte Andreas Salcher, der Genetiker Markus Hengstschläger und Paul Kimberger, der Chef der Lehrergewerkschaft, angehören.

Worum geht es: Mitterlehner sammelt die Vorschläge und Ideen dieser Experten, will sie ÖVP-intern diskutieren und dann mit dem Koalitionspartner SPÖ vereinbaren, was davon möglichst bald umgesetzt werden kann. "Auch in der ÖVP und in breiten bürgerlichen Kreisen gibt es eine große Mehrheit für eine grundlegende Schulreform", ist sich Andreas Salcher im KURIER-Gespräch sicher.

Frühförderung

Er skizziert, welche Reformen aus seiner Sicht rasch umsetzbar wären, und "wo wir sehr schnell Meter machen könnten".

Am "allerwichtigsten" sei eine bessere Frühförderung der Kinder. "Dort kann man sozialer Diskriminierung am schnellsten begegnen. Wir sind das einzige Land der EU, wo die Kindergärtner nicht einmal einen akademischen Abschluss haben", erklärt er sein oberstes Reformziel. "Einigen wir uns in einem breiten nationalen Konsens, dass wir die besten Kindergärten und Volksschulen der Welt bekommen." Soziale Diskriminierung und Sprachprobleme würden so schneller gelöst, und dazu noch die Lernfreude und Lernlust der Kinder massiv gesteigert.

Schulautonomie

Mitterlehner will neuen Kurs in der Schulpolitik
Interview mit Andreas Salcher (Bildungsexperte, Unternehmensberater und Autor) und Achim Kasper (Cisco, General Manager Austria) , geführt von Gerald Reischl (Futurezone)
Zudem würde eine "echte Autonomie" an den Schulen viel frischen Wind ermöglichen, glaubt der Experte. Ihm geht es dabei nicht nur um Personalhoheit des Direktors über seine Lehrer, sondern auch um inhaltliche Schwerpunktsetzungen, eine Ende der starren 50-Minuten-Unterrichtsstunde ("ein entscheidender Faktor"), und stattdessen ein Jahresarbeitszeitmodell für Lehrer: "Weil jetzt schon zu viel unterrichtet wird, und zu wenig Beziehungsarbeit mit den Kindern passiert."

Und nicht zuletzt sagt Salcher: "Ich bin ein Fan der echten Ganztagsschule. Es kann dann einen Sporttag geben. Oder einen Kunsttag. Oder einen Wissenschaftstag. Und weil dann der ganze Schulalltag mit den 50-Minuten-Einheiten entkrampft wird."

Markus Hengstschläger war für den KURIER am Montag nicht erreichbar, aber der Professor war bereits Teil der von Ex-VP-Chef Michael Spindelegger initiierten Expertengruppe anno 2012. Und da hat er für seine Reformideen breit geworben. Was auffällt: Hengstschläger machte sich schon damals für die gleichen Themen wie Salcher stark: Akademisierung der Kindergärtner; massive Frühförderung (in Form eines Eltern-Kind-Passes, wo Bildungsziele an Familienförderungen gekoppelt sind); und eine verpflichtende Ganztagsschule "mit Nachmittagsbetreuung durch Experten – aber ohne Hausübungen".

"Ich kann bestätigen, dass ich ein längeres Gespräch mit Vizekanzler Mitterlehner hatte. Er will auch die Expertise der Gewerkschaft haben", erklärt Paul Kimberger, Chef der (ÖVP-dominierten) Lehrergewerkschaft, dem KURIER. "Weil er der Meinung ist, dass eine Neupositionierung innerhalb der ÖVP notwendig ist", sagt der Gewerkschafter. Kimberger ist zwar mit den meisten Reformpunkten der Experten Salcher & Co durchaus zufrieden, aber nicht mit allen.

Zentraler Punkt auch bei ihm: "Die Frühkindpädagogik ist in Österreich völlig unterrepräsentiert und unterschätzt. Dabei wird dort die Basis der Bildung gelegt. Vor dem Volksschulalter muss angesetzt werden."

Problematischer ist für ihn die Sache mit der Ganztagsschule: "In den Ballungsräumen benötigen wir mehr davon, aber nicht flächendeckend, und nicht verpflichtend. Sondern nur dort, wo der Bedarf auch wirklich gegeben ist."

Eine Autonomie der Direktoren bei der Personalauswahl lehnt der Gewerkschafter Kimberger ab. "Das gäbe nur ein Chaos am Schulstandort, das funktioniert nicht."

Legt die ÖVP ihre "schulpolitischen Scheuklappen" ab, wie die SPÖ in einer Presseaussendung frohlockt? Sprich: Ist der Weg für die Gesamtschule frei? ÖVP-Chef Mitterlehner gab sich immer schon liberaler als sein Vorgänger und hat der Partei nun einen Diskussionsprozess mit Experten verordnet. Schulpolitik ist besonders vermintes Gebiet für die Schwarzen. Denn der Kanzlerpartei ist es gelungen, den Koalitionspartner ins reaktionäre Blockierer-Eck zu drängen. Damit rückt in den Hintergrund, dass es die SPÖ ist, die das Ressort seit auch schon wieder acht Jahren mit eher untermittelprächtigem Erfolg führt.

Der neue ÖVP-Boss ist taktisch gewieft genug, das Thema Gesamtschule vorerst einmal beiseitezulassen. Jedem, der sie einführt, muss nämlich klar sein, was sie – auch – bedeutet: einerseits eine Vergrößerung des Privatschul-Sektors wie in anderen Gesamtschulsystemen auch. Andererseits eine neue Notenwahrheit – also deutlich verschärfte Prüfungen am Ende, um weiterführende Schulen oder Unis besuchen zu können.

Aber es gibt ohnehin noch genügend anderes zu tun: 50-Minuten-Einheiten sind kein Konzept mehr für das 21. Jahrhundert, und Schulen brauchen viel mehr unbürokratischen Entscheidungsspielraum. Problemschulen müssen anders budgetiert werden, aber die AHS aus ideologischen Gründen auszuhungern, wie dies Ex-Ministerin Claudia Schmied begonnen hat, ist wohl auch kein Programm. Ob eine Akademisierung des Kindergartenberufs der Weisheit letzter Schluss ist (Vorschlag Andreas Salcher), darf ebenfalls bezweifelt werden. Seltsam wiederum ist, dass noch niemand ein großes Schulneubauprogramm gefordert hat. Denn in einem Gebäude aus der Monarchie kann das überparteiliche Ziel nicht gelingen: eine moderne ganztägige Schule.

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