"Staat benimmt sich wie Elefant im Porzellanladen"

Karl Aiginger vom WIFO.
Wirtschaftsforscher Karl Aiginger liest der Regierung die Leviten. Er verlangt u. a. Öko-Reformen.

KURIER: Sie sprechen von einem verlorenen Jahrzehnt für Europa, weil es seit der Finanzkrise kein Wachstum gibt. Die EZB versucht mit der Nullzinspolitik gegenzusteuern. Richtig, falsch?

Karl Aiginger: Ohne die EZB-Politik hätten wir eine Krise im Ausmaß der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre. Die Entscheidungen der EZB sind nicht schlecht, aber nicht ausreichend, weil die Staaten das zu wenig unterstützt haben.

Dann hat aber die Steuerpolitik versagt, damit die Hilfe auch für Zukunftsprojekte wie Bildung, Forschung, Umwelt oder Firmengründungen genutzt wird?

Ein Teil reicht eben nicht. Die Staaten und die EU haben die falschen Anreize gesetzt.

Ist der EU-Sozialstaat ein Hindernis im globalen Wettbewerb?

Nein, wir können uns das leisten. Einiges muss Europa aber geschickter machen. Es ist nicht gescheit, Menschen die Arbeitslosigkeit jahrelang zu zahlen. Stattdessen sollten wir sie so aus- und weiterbilden, damit sie selber wieder Jobs finden. Es ist auch nicht intelligent, älteren Personen einen so viel höheren Lohn als den jungen zu zahlen, sie aber in die Pension zu drängen.

Das WIFO und 33 Partnerinstitute haben eine konkrete Strategie ausgearbeitet, wie Europa wieder aufholen kann. Wie hat EU-Politik darauf reagiert?

Sie geben zu, dass das alles wichtig und richtig ist. Die EU selbst hat ja kaum Steuerkompetenz. Manches, etwa das Aus für Steueroasen, wird angegangen. Es ist wichtig, dass Steuern dort gezahlt werden, wo sie anfallen.

Wie war das Echo auf eine der zentralen Forderungen, höhere Energiesteuern, dafür die Abgaben auf Arbeit halbieren?

Bei höheren Energiesteuern gibt es immer einen Aufschrei, weil nicht das ganze Paket gesehen wird. Dabei wäre das eine Win-win-Situation. Dieser Deal, dass Arbeit deutlich billiger wird und dafür Energiekosten steigen, wird nicht geglaubt. Deswegen wurde bei den letzten vier Steuerreformen eigentlich gar nichts angegangen, weil jeder befürchtet hat, über den Tisch gezogen zu werden. Aber ein Deal, der zum Schluss alle besser stellt – Arbeitnehmer und Wirtschaft –, ist sehr wohl möglich.

Wer schreit als Erster?

Die Gewerkschaften sind gegen Energiesteuern, weil diese niedrige Einkommen mehr belasten. Deswegen müssen ja als Gegenleistung Sozialabgaben reduziert werden. Da fürchtet die Gewerkschaft dann, dass das zu einem Abbau des Sozialstaates führt und verzichtet auf eine Entlastung des Faktors Arbeit.

Zuletzt sind etwa im Gastro-Bereich die Lohnnebenkosten wieder stark gestiegen.

Das Steuersystem ist total unintelligent, der Staat benimmt sich wie der Elefant im Porzellanladen. Was er fördern will – Beschäftigung – verteuert er, was er verhindern will – Emissionen – entlastet er.

Sie wollen eine Öko-Steuerreform, die ja seit der Klimakonferenz 1999 auf dem Tisch liegt. Warum geht das so zögerlich?

Weil nie das Ganze gesehen wird – und es sehr starke Lobbys gibt. Der Klimawandel ist ja die Chance für Europa. Wenn wir das Pariser Klima-Abkommen vom Dezember einhalten, hat Europa eine Wachstumschance wie noch nie. Weil wir führend sind bei Umwelttechnologien und da noch sehr viel Platz nach oben ist. Aber andere Regionen der Welt holen auf.

Sollen wir dann wie die Dänen Ölheizungen und wie die Norweger Benzin-Pkw verbieten?

Das müssen wir so und so machen. Es ist ja der größte Blödsinn, nicht klar zu sagen, dass ein 150 PS-Auto in fünf Jahren keinen Wiederverkaufswert haben wird, weil Benzin sehr teuer wird. Oder Neubauten mit Ölheizungen eine Einkommensfalle sein werden. Da muss der Staat informieren, nicht mit billigen Anschaffungskosten argumentieren und falsch fördern. Wir können entweder das Klimaproblem erleiden, indem wir immer zu spät zu wenig machen, und uns ärgern, dass jemand anderer die Technik beherrscht. Oder es strategisch nutzen, um Europa in den wahrscheinlich wichtigsten Technologien der nächsten Jahrzehnte einen Vorsprung herauszuholen. Ich halte es für möglich, dass das 21. Jahrhundert das Europäische Jahrhundert wird. Weil wir für eine komplizierte und heterogene Welt das beste System haben.

Sie sagen auch, dass die Flüchtlinge Europa helfen werden?

Wenn wir es dumm machen, zerstören wir Europa mit den Flüchtlingen. Wenn wir es klug angehen, wird es uns helfen, etwa bei der Überalterung. Nur müssen wir diese Potenziale auch nutzen.

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