Aiginger: Spürbare Entlastung kostet mehr als 5 Milliarden Euro

Experte Aiginger: Der Faktor Arbeit muss dringend entlastet werden
WIFO-Chef Aiginger erklärt, warum eine Steuersenkung nottut und wo der Staat sinnvoll sparen könnte.

Einen "symbolischen Entlastungshunderter" für jeden Österreicher noch in diesem Jahr – als Signal für die bevorstehende, große Steuer-Reform. Das schlägt Karl Aiginger vom WIFO-Institut vor. Im KURIER erklärt der renommierte Wirtschaftsforscher, welche Entlastungsschritte jetzt möglich wären:

KURIER: Ist eine Steuerreform zu gegenwärtigen Zeitpunkt sinnvoll – oder bloß ein finanzpolitischer Luxus, den wir uns nicht leisten können?

Karl Aiginger: Wir brauchen eine Steuerreform, damit die Wirtschaft stabiler wird und mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Der Konsum leidet an den stagnierenden Reallöhnen, Unternehmen zahlen hohe Lohnnebenkosten. Eine Steuerentlastung muss so früh wie möglich kommen. Allerdings muss gleichzeitig klar sein, welche öffentlichen Aufgaben effizienter abgewickelt werden können – Sozialleistungen und Zukunftsaufgaben sollen ja nicht gekürzt werden. Der Spielraum für eine Steuersenkung muss erarbeitet werden. Wir haben 50 Prozent mehr Spitalsbetten als andere Länder. Wir haben doppelt so hohe Förderungen verglichen mit anderen Ländern, die Transparenzdatenbank ist gescheitert. Schulen sind überbürokratisiert und können nichts selbst entscheiden, Doppel- und Dreifachzuständigkeiten bestehen. Wenn eine Aufgabe wegfällt, bleiben die Beamten, kommt eine neue hinzu, gibt es Neu-Aufnahmen.

In welche Richtung sollte die Entlastung gehen?

Es geht um eine Entlastung des Faktors Arbeit. Das heißt, der Eingangssteuersatz sollte deutlich gesenkt werden. Allerdings müssen auch die höheren Steuersätze reduziert werden, damit die Progression nicht noch stärker wird, und der Höchststeuersatz sollte später einsetzen. Ganz wichtig ist außerdem, dass die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt werden. Ohne diese hätte ein Drittel der Unselbstständigen – die mit niedrigen Einkommen – für die nächsten Jahre keine Reallohnerhöhung. Die geringeren Einnahmen müssen den Sozialversicherungsträgern aus dem Steueraufkommen ersetzt werden.

Welches Volumen ist nötig?

Eine spürbare Entlastung des Faktor Arbeit erfordert mehr als 5 Milliarden Euro.

Gewerkschafter, Teile der SPÖ und andere drängen darauf, "erste Schritte" der Reform 2014 zu beschließen, damit diese 2015 in Kraft treten. Ist ein Aufteilen der Reform auf Etappen sinnvoll?

Ja. 2014 sollte das Gesamtkonzept beschlossen werden, sprich: Wie erfolgt die Gegenfinanzierung, welche Ausgaben werden gesenkt. Die Umsetzung kann dann je nach Konjunktur und Erfolg bei den Einsparungen erfolgen. Zur Glaubwürdigkeit der Steuerreform schlage ich vor, schon heuer eine Senkung der Besteuerung der Arbeitseinkommen um 100 Euro durchzuführen, indem Steuer-Privilegien eingeschränkt werden. Etwa Begünstigungen für neue Ölheizungen, die Absetzung von Geländewagen oder der begünstigte Umsatzsteuersatz für Sammlermünzen, Schnittblumen oder Opernkarten. Ein "Hunderter" kostet 200 Millionen Euro und wäre ein wichtiger symbolischer Akt. Er signalisiert: "Ab jetzt soll von Lohnerhöhungen netto etwas überbleiben". Der "Hunderter" wird in die Steuerreform eingerechnet und als Negativsteuer ausgezahlt – für jene, die keine Lohnsteuer zahlen.

Ja, es werde sie natürlich geben, die Steuerreform – aber eben erst dann, wenn Land und Verwaltung nachhaltig reformiert seien, und wenn die für die Reform nötigen Milliarden erfolgreich eingespart worden seien.

Seit Wochen bemüht sich Finanzminister Michael Spindelegger, mit dieser Botschaft beim Koalitionspartner, der politischen Öffentlichkeit und insbesondere den Wählern zu landen. So auch am Freitag.

Via ORF-Radio tat der Vizekanzler kund, dass ihn die neuerlich ventilierten Forderungen nach einer raschen Steuer-Entlastung nur mäßig beeindrucken.

"Keine Reform auf Pump" lautete die Ansage des ÖVP-Bosses.

Blockierer? Er doch nicht. Wenn jemand blockiere, dann wohl die Gewerkschafter – hier insbesondere die sozialdemokratischen, befindet der Vizekanzler.

Die Klarstellung tat insofern not, als zuletzt auch in der Volkspartei deutliche Begehrlichkeiten in Richtung Steuerentlastung kamen.

„Ich hoffe, dass der Finanzminister bald diese Propaganda mit falschen Zahlen beendet.“ Andreas Schieder
Klubobmann der SPÖ

Norbert Schnedl, Chef der ÖVP-nahen Christgewerschafter, hatte bereits am Mittwoch via KURIER auf eine rasche Entlastung der heimischen Arbeitnehmer gedrängt – im Idealfall ab dem Jahr 2015. Am Donnerstag waren dann die von der ÖVP gestellten AK-Präsidenten in Tirol und Vorarlberg mit der Forderung an die Öffentlichkeit geprescht, über die Steuerreform bald eine Volksbefragung abzuhalten.

Populismus-Keule

Spindelegger wischte derlei am Freitag einfach weg: "Mit Populismus macht man keinen Euro locker."

Die beharrliche Haltung des Vizekanzlers ändert freilich wenig daran, dass der politische Druck auf ihn stetig steigt. "Wenn die deutsche Bundesregierung unter einer Angela Merkel über die Abgeltung der kalten Progression nachdenkt, dann sollten wir in Österreich auch dazu in der Lage sein", sagte Freitagnachmittag FCG-Chef Schnedl zum KURIER. Immerhin bedeute eine steuerliche Entlastung der Arbeitnehmer auch eine Ankurbelung der Wirtschaft. Schnedl: "Das bringt mehr Umsatzsteuer, mehr Körperschaftssteuer – und es schafft neue Jobs."

Beim Koalitionspartner sorgt der Finanzminister mit seiner unbeirrbaren Haltung in Sachen Entlastung seit Wochen für Zähneknirschen.

Die Aussage Spindeleggers vom Freitag, wonach sich Österreich eine Steuersenkung nicht leisten könne, weil die SPÖ und ihre Gewerkschafter die Strukturreformen blockierten, rief einen zornigen SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder auf den Plan. "Das ist eine billige Ausrede! Wie man weiß, sitzen die Blockierer in Spindeleggers Lager. Bei der Schule und bei der Föderalismusreform blockiert die ÖVP, und die Steuerreform blockiert der Finanzminister selbst", sagte Schieder zum KURIER.

Propaganda-Vorwurf

Den Vorhalt, die roten Gewerkschafter würden die Steuer- und Abgabenquote mit einer Vermögenssteuer auf über 50 Prozent hinauf treiben, kommentiert Schieder so: "Das ist falsch. Ich hoffe, dass der Finanzminister bald zu finanzpolitischer Expertise zurückkehrt und diese Propaganda mit falschen Zahlen beendet."

Die SPÖ und die Gewerkschaft würden keine Erhöhung der Steuer- und Abgabenquote wollen, sondern eine Entlastung der Arbeitnehmer und des Mittelstandes. Schieder: "Das macht Italien, das wird in Deutschland diskutiert. Aber in Österreich betreibt der Finanzminister eine Unkultur des Nichtredens."

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