Balanceakt des Diktators zwischen EU und Putin

Lukaschenko positioniert sich als Vermittler – der Ukraine-Krieg birgt für ihn aber Risiken.

Gespräche in Minsk, weißrussische Kämpfer in Schützengräben in der Ostukraine – der Krieg strahlt aus nach Weißrussland. Ein Land mit einer Führung, die kaum eines mehr fürchtet als Instabilität. In einem Interview mit Bloomberg sagte Präsident Alexander Lukaschenko jetzt: Ein Problem sei, dass die USA nicht offen involviert seien, er glaube, "ohne die Amerikaner kann es keine Stabilität in der Ukraine geben." Die kryptische Formel für eine Einladung? Der Krieg hat ihm, dem von EU und USA geächteten Autokraten, jedenfalls eine nie gewesene Bühne geboten – eine mit Risiken.

Am 20. November ist es wieder so weit: Präsidentenwahl. Der Sieger wird Lukaschenko heißen, Präsident seit 1994, von der EU mit Sanktionen belegt. Da ist nur eine offene Frage: Wie wird die Straße auf seine Wiederwahl reagieren? Denn was in der Ukraine passiert, hat immer ein Echo in Weißrussland. Und es ist viel passiert: Revolution, Krim, Krieg. Hunderte Weißrussen kämpfen aufseiten der Ukraine. Netzwerke weißrussischer Aktivisten haben sich in Kiew neu formiert: in Freiheit, wie es heißt.

Auf dünnem Eis

Andrej Sannikau sieht Lukaschenko auf dünnem Eis. Er hatte bei den Wahlen 2010 als letztlich stärkster Kandidaten der Opposition um die Präsidentschaft kandidiert, war zwei Jahre in Haft und lebt heute in Polen. "Lukaschenkos Regime", so sagt er, "ist unfähig zu Reformen." Das, während Preise steigen und Russlands Wirtschaftsmisere an Weißrussland nicht spurlos vorübergeht. Es könne jederzeit losgehen. "Das Naturell solcher Regime ist, dass sie unglaublich stark wirken, aber ebenso unglaublich schnell fallen können." 2010 habe gezeigt, dass es Potenzial gebe.

Es war am Abend nach der Präsidentenwahl 2010, als eine für Minsk riesige Masse (ca. 6000) vor den Präsidentensitz zog. Es roch nach Revolution: Hatten Demonstranten in Jahren zuvor peinlich genau etwa rote Ampeln beachtet, legten sie damals den Verkehr lam – bis Polizei und Armee einschritten. Am Tag danach war es, als wäre nie etwas gewesen: Lukaschenko war Präsident, der Verkehr floss, alle Kandidaten der Opposition waren in Haft. Auch Sannikau.

Die Revolution und den Krieg in der Ukraine nennt er heute einen "Befreiungskampf, den die gesamte post-sowjetische Welt benötigt". Der Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch sei für Lukaschenko jedenfalls "furchterregend" gewesen. Er verstand es aber bisher, ihn in seinem Sinne zu nutzen. Schließlich hat Lukaschenko durch die Minsk-Gespräche mit einem Mal breite Öffentlichkeit bekommen – Gruppenfoto mit Merkel, Hollande, Putin inklusive. Und vor allem: Keinerlei Kritik gab es seitens der EU-Gäste an Menschenrechten. Sannikau ärgert das. In der Ukraine ginge es letztlich um so etwas wie Werte; Werte, die in Minsk geopfert worden seien. Ein, wie er sagt, "fatales Signal".

Für Lukaschenko ist all das zugleich aber ein heikler Balanceakt zwischen EU und Russland. Am zweiten Jänner, einen Tag nach Inkrafttreten der Verträge zu Moskaus Prestigeprojekt "Eurasische Union", setzte er das Ziel fest, Russlands Einfluss zu minimieren. Später polterte er gegen eine Währungsunion – angesichts des fallenden Rubels. Das sind innenpolitische Signale an Gegner, die ihm den Ausverkauf an Russland vorwerfen.

Man müsse Lukaschenko nicht an Worten sondern an Taten messen, sagt Sannikau. Er verweist auf russische Truppenpräsenz in Weißrussland sowie enge Koordinierung mit Moskau beim Abfangen der US- und EU-Sanktionen gegen Russland. Diese gelten nicht gegen Weißrussland.

Über sich selbst sagt Sannikau: "Ich bin raus aus dem Land, aber nicht raus aus der Politik." Er stehe breit, sollte er benötigt werden. Und er sagt: "Ich hoffe, es wird der Tag kommen, an dem die Weißrussen aus der Ukraine zurückkommen, und mit ihnen Ukrainer, um uns zu helfen."

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