Parlament beschließt Ende des "Anti-Terror-Einsatzes"

Politisches Chaos nach dem Blutbad. Janukowitsch soll zu Neuwahlen bereit sein, EU hat Sanktionen verhängt.

Bei den Protesten der Opposition gegen die ukrainische Führung hat es am Donnerstag in Kiew ein weiteres Blutbad mit Dutzenden Toten gegeben. Die meisten Opfer starben, als unbekannte Scharfschützen gezielt auf Demonstranten feuerten. Auch Sicherheitskräfte wurden getötet. Regimegegner und Polizisten lieferten sich schwere Straßenkämpfe, rund um den Unabhängigkeitsplatz (Maidan) herrschten bürgerkriegsartige Zustände. Nach offiziellen Angaben starben allein am Donnerstag mindestens 45 Menschen, radikale Regierungsgegner sprachen von mindestens 60 Toten.

Am Abend beschloss das Parlament in einem vor allem symbolisch wichtigen Schritt ein Ende des am Vortag vom Geheimdienst angekündigten „Anti-Terror-Einsatzes“ im Land.

Während sich die EU-Außenminister in Brüssel auf Strafmaßnahmen geeinigt haben (mehr dazu hier), sind zwei Gesandte noch vor Ort in Kiew: Deutschlands Frank-Walter Steinmeier und Polens Radoslaw Sikorski loten dort die Möglichkeit einer Lösung aus.

Angeblich lässt Präsident Viktor Janukowitsch inzwischen mit sich reden, was vorgezogene Neuwahlen betrifft. Im Gespräch mit den Außenministern Deutschlands, Frankreichs und Polens seien auch eine „Regierung der nationalen Einheit innerhalb von zehn Tagen und Verfassungsänderungen bis zum Sommer“ beschlossen worden, sagte Polens Premier Tusk.

In der Nacht auf Freitag ging das Ringen um eine politische Lösung weiter – Ausgang mehr als ungewiss. Einen Überblick über die Ereignisse des Tages finden Sie im Anschluss.

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Parlament beschließt Ende des "Anti-Terror-Einsatzes"

Wegen der anhaltenden Gewalt in der Ukraine hat US-Vizepräsident Biden erneut mit Staatspräsident Janukowitsch telefoniert. US-Verteidigungsminister Hagel versuchte dagegen vergeblich, seinen ukrainischen Amtskollegen Lebedew in Kiew zu erreichen, berichteten US-Medien. Man habe sich die ganze Woche um ein Gespräch bemüht, sagte ein Pentagon-Sprecher John Kirby. „Das ist ziemlich ungewöhnlich.“ Es sei seines Wissens das erste Mal, dass Hagel einen seiner Amtskollegen in einem anderen Land nicht erreichen könne.

Die Suche nach einer politischen Lösung für den blutigen Konflikt dauert an. In der Nacht zum Freitag berieten noch die Außenminister aus Deutschland und Polen mit Staatspräsident Janukowitsch.Später sollten auch Vertreter der Opposition zu den Gesprächen im Präsidialamt hinzukommen.

Die EU hat zur Lösung der Krise einen Fahrplan vorgelegt. Der Plan sieht die baldige Bildung einer Übergangsregierung unter Beteiligung der Opposition, eine Verfassungsreform sowie Wahlen noch in diesem Jahr vor. Am Abend waren entscheidende Punkte aber noch strittig. In die Beratungen schaltete sich telefonisch auch der russische Präsident Putin ein. Offen war, ob in der Nacht Ergebnisse bekanntgegeben werden.

Bei einem Anschlag auf eine Polizeikaserne in der westukrainischen Großstadt Lwiw (Lemberg) sind mindestens zwei Mitglieder einer Spezialeinheit getötet worden. Eine nicht genauer geklärte Detonation habe einen Brand ausgelöst, teilte die örtliche Polizei mit. Lokale Medien berichteten, vier Unbekannte in Zivil hätten eine Handgranate in das Gebäude geworfen. Unklar war, ob es sich um Demonstranten oder Provokateure handelte. Die Stadt mit etwa 700 000 Einwohnern gilt als Hochburg radikaler Regierungsgegner. Erst vor kurzem waren dort bei der Erstürmung öffentlicher Gebäude Hunderte Schusswaffen erbeutet worden.

Außer den Außenministern aus Deutschland, Polen und Frankreich sind auch die ukrainischen Oppositionsführer zu neuen Gesprächen mit Präsident Janukowitsch aufgebrochen. Bisher gab es nach Angaben Klitschkos noch keine Ergebnisse in dem erbitterten Machtkampf in Kiew. Die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko hatte die Opposition dazu aufgerufen, sich nie wieder mit Janukowitsch an einen Tisch zu setzen.

Das ukrainische Parlament hat ein Ende des „Anti-Terror-Einsatzes“ im Land beschlossen. Die Abgeordneten verlangten, dass sich alle Einheiten in ihre Kasernen zurückziehen, wie Fernsehsender am Donnerstagabend live berichteten. Zudem untersagten die Parlamentarier fast einstimmig den Einsatz von Schusswaffen. Anwesend waren 238 Abgeordnete von offiziell 450. Nach der Abstimmung sangen die Parlamentarier die Nationalhymne. Zwar muss Präsident Janukowitsch den Beschluss noch unterzeichnen. Beobachter sprachen aber von einem symbolisch wichtigen Zeichen. Der Geheimdienst SBU hatte den „Anti-Terror-Einsatz“ am Vortag angekündigt.

Inmitten des Chaos gibt es in Kiew auch noch einen leisen Hauch von Alltag: Nach zwei Tagen Unterbrechung fährt die U-Bahn wieder. Es gab aber noch immer weitreichende Einschränkungen. So blieben mehrere Stationen im Stadtzentrum geschlossen. Die Metro war am Dienstag wegen der Straßenkämpfe zwischen Sicherheitskräften und Regierungsgegnern komplett gesperrt worden. Sie gilt als Hauptschlagader des Verkehrs in der ukrainischen Hauptstadt mit mehr als 2,8 Millionen Einwohnern.

US-Präsident Obama und Deutschlands Kanzlerin Merkel haben in einem Telefongespräch über die Lage in der Ukraine beraten. Merkel hat auch mit dem russischen Präsidenten Putin gesprochen. Alle stimmten überein, dass eine rasche politische Lösung der Krise gefunden werden muss.

Das EU-Trio aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien hat bei der Suche nach einem Kompromiss in der Ukraine noch kein Ergebnis erreicht. „Die Lage ist sehr schwierig“, sagte Frankreichs Außenminister Fabius nach einem Treffen mit der Opposition. „Wir machen das Maximale, um eine Lösung zu erreichen. Aber so weit sind wir noch nicht.“ Fabius kündigte an, gemeinsam mit seinen beiden EU-Kollegen noch am Abend erneut mit Janukowitsch beraten zu wollen.

Erstmals sind in mehreren westukrainischen Städten ganze Polizeieinheiten zu den Regierungsgegnern übergelaufen. In den Gebieten Transkarpaten und Tschernowzy sowie im mittelukrainischen Poltawa sollen sich die Einsatzkräfte komplett zu den Gegnern von Janukowitsch bekannt haben, berichteten örtliche Medien. Im antirussisch geprägten Westen haben nationalistische Kräfte eine politische Mehrheit. Radikale Demonstranten hatten hier zuletzt zahlreiche Verwaltungsgebäude besetzt oder geplündert. In Lwiw (Lemberg) erbeuteten sie Hunderte Waffen. In Kiew gab es Gerüchte über eine Massenflucht von Mitgliedern der Regierungspartei.

Das ukrainische Innenministerium hat gedroht, knapp 70 angeblich verschleppte Milizionäre notfalls mit Waffengewalt zu befreien. Das Schicksal der Angehörigen der Innentruppen sei unbekannt, teilte das Ministerium am Donnerstag mit. Die zumeist jungen Rekruten seien von radikalen Regierungsgegnern gefangen genommen worden. Auch das Verteidigungsministerium drohte mit Gewalt. Zum Schutz von Leib und Leben sowie von militärischen Anlagen sei die Armee vom Gesetz her berechtigt, Waffen einzusetzen, hieß es.

Unerbittlich in ihrer Gegnerschaft bleibt im Konflikt auch die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Sie hat die Opposition aufgerufen, nie mehr mit Janukowitsch zu verhandeln. Der Staatschef müsse umgehend von seinem Amt entfernt und wegen der „Organisation von Massenunruhen“ vor Gericht gestellt werden. Das schrieb Timoschenko in einem Brief, den ihre Vaterlandspartei am Donnerstag verbreitete. Janukowitsch lasse Unschuldige töten. „Er tötet Menschen, die ihn ihren Präsidenten nennen“, hieß es. Dabei handele es sich um „sadistische Gewalt“.

Angeblich lässt Präsident Janukowitsch angesichts der aussichtslosen Lage mit sich reden, was Neuwahlen betrifft: Reuters meldet eine diesbezügliche Stellungnahme des polnischen Premiers. Janukowitsch könnte sich zu Neuwahlen bereit erklären. Das
habe der Präsident bei dem Treffen mit den Außenministern von Deutschland, Frankreich und Polen gesagt.

Der Maidan, das Epizentrum der ukrainischen Proteste. Die Bilder des Abends:

Das Schicksal einer jungen Frau beschäftigt derzeit besonders die Menschen, die sich mit der Ukraine befassen. Olesia, eine Sanitäterin, wurde angeschossen. Sie twitterte "Ich sterbe". Olesias Foto wurde auf den sozialen Medien tausendfach geteilt. Ob sie überlebt hat oder nicht, darüber gibt es nur unbestätigte Gerüchte.

Die EU hat sich nach Angaben der italienischen Außenministerin Emma Bonino auf Strafmaßnahmen gegen Personen geeinigt, die für die Gewalttaten in Kiew verantwortlich sind. Vorgesehen ist demnach, Visasperren zu verhängen und Guthaben einzufrieren. "Diese Entscheidung muss in den nächsten Stunden umgesetzt werden", sagte Bonino nach einem Treffen in Brüssel.

Auch die litauische EU-Vertreterin bestätigte auf Twitter, die EU-Außenminister hätten Sanktionen gegen Personen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, verhängt.

Die Opferzahl steigt: Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind seit Dienstag 67 Menschen getötet worden. Damit dürften allein am Donnerstag 39 ums Leben gekommen sein.

Zum Vorschlag des Vermittler-Trios der EU, gibt es inzwischen mehr Informationen: Die Rede ist von einem Fahrplan für die nächsten Monate, der die Bildung einer Übergangsregierung umfasst, ebenso wie eine Verfassungsreform Wahlen. Ziel sei, „im Laufe des Jahres Schritt für Schritt alle offenen Fragen“ zu klären. Nach dem mehr als vierstündigen Gespräch mit Janukowitsch kamen die Minister in der EU-Botschaft in Kiew wieder mit Vertretern der Opposition zusammen. Aus der Delegation hieß es, deren Zustimmung sei völlig offen. Auch das Einverständnis von Janukowitsch stehe noch aus. Der ukrainische Präsident telefonierte am Donnerstag nach diesen Angaben auch mit Kreml-Chef Wladimir Putin. Zudem gab es ein Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

In Kiew blockieren die Sicherheitskräfte die Zufahrtsstraßen zum Parlament. Das Areal gleicht einer Hochsicherheitszone.

Die Nachrichtenagentur zeigt ein Video aus Kiew. Die Gefechte zwischen Polizei und Opposition halten an. Die USA warnen Janukowitsch einmal mehr: Er solle umgehend die Sicherheitskräfte aus dem Kiewer Zentrum abziehen, heißt es aus dem Weißen Haus.

Nach dem Treffen der drei EU-Vertreter (Steinmeier, Fabius, Sikorski) mit Janukowitsch: Das Trio schlug einen Fahrplan für eine politische Lösung vor. Demnach sollen eine Übergangsregierung gebildet, eine Verfassungsreform begonnen und Parlaments- und Präsidentenwahlen abgehalten werden.

Nach dem Gespräch mit Janukowitsch kamen die EU-Minister mit den ukrainischen Oppositionsführern zusammen, um über den Fahrplan zu beraten. Anders als zunächst geplant wollen die drei Minister ihre Gespräche in Kiew am Freitag fortsetzen. Ursprünglich hatten sie am Donnerstagnachmittag zum EU-Außenministertreffen nach Brüssel weiterreisen wollen.

In Kiew wird eine Art Mahnwache für die Todesopfer abgehalten. Priester, die die Toten gesegnet haben, schließen sich teilweise den Protesten an. Die ukrainischen Behörden bestätigten die Opferzahl von 64, mehr als 550 wurden verletzt.

Dass radikale Regierungsgegner Polizisten in ihre Gewalt brachten, bestätigte inzwischen auch das ukrainische Innenministerium. Einige sollen auch ums Leben gekommen sein.

Vor dem Fußball-Europa-League-Spiel zwischen Dnjepr Dnjepropetrowsk und Tottenham Hotspur soll eine Schweigeminute stattfinden. Zudem werden die Spieler beider Mannschaften schwarze Armbänder tragen. Damit wird in der ukrainischen Stadt der Opfer der jüngsten blutigen Proteste in Kiew gedacht. Die Partie der Zwischenrunde findet etwa 350 Kilometer von der ukrainischen Hauptstadt statt.

Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens fehlen noch in Brüssel, trotzdem beginnt die Sondersitzung der EU-Chefdiplomaten zu Sanktionen gegen die Ukraine begonnen. Frank-Walter Steinmeier, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski sollen in Kiew bleiben und sich per Videoschaltung einbringen.

Die drei Gesandten haben ihr Vermittlungsgespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch in Kiew bereits beendet. "Ansätze für Fortschritte sind vorstellbar", heißt es nach dem vierstündigen Treffen aus Delegationskreisen. Steinmeier will jetzt noch mit der Opposition reden.

Kremlchef Wladimir Putin schickt auf Bitte des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch einen Vermittler nach Kiew. Der scheidende Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin solle an Gesprächen zwischen Führung und Opposition in der Ex-Sowjetrepublik teilnehmen, sagt Putins Sprecher Dmitri Peskow nach Angaben russischer Agenturen.

Auch außerhalb von Kiew kommt Unterstützung für die Regierungsgegner in der Hauptstadt.

Die meisten der EU-Außenminister sind bereits in Brüssel angekommen. Die Minister von Deutschland, Frankreich und Polen halten sollen sich aber noch in der Ukraine aufhalten.

Laut dem ukrainischen Innenministerium sollen die Demonstranten 67 Polizisten als Geiseln genommen haben.

Nach Angaben radikaler Regierungsgegner sind bei den Auseinandersetzungen am Donnerstag mindestens 60 Menschen getötet worden. Die Demonstranten seien gezielt erschossen worden, sagt der Abgeordnete Swjatoslaw Chanenko von der rechtspopulistischen Partei Swoboda (Freiheit) in einer Mitteilung. In einem CNN-Bericht war sogar von 100 Toten seit Tagesbeginn die Rede.

Außenminister Sebastian Kurz befürwortet ein EU-Waffenembargo gegen die Ukraine. Vor der Sondersitzung der EU-Außenminister in Brüssel plädiert Kurz für ein einheitliches Vorgehen der Europäischen Union: „Ich bin auch der Meinung, dass es gezielte Sanktionen braucht, zielgerichtet auf diejenigen, die verantwortlich sind für die Gewalt in der Ukraine.“ Und: „Ich glaube auch, dass es darüber hinaus gut wäre, ein Waffenembargo zu beschließen, um hier ein klares politisches Signal zu setzen.“

Die EU-Staaten erwägen neben Einreise- und Kontensperren gegen die Verantwortlichen für die Gewalteskalation in der Ukraine laut einem EU-Entwurf auch ein Embargo von Waffen und anderen Repressionsmaterialien. Dieses sei aber noch umstritten, weil es Widerstand von EU-Staaten dagegen gebe, heißt es in Ratskreisen.

Mehr Todesopfer sind zu befürchten: Laut dem ukrainischen Innenminister Vitali Sachartschenko haben die Sicherheitskräfte Schusswaffen für den "Anti-Terror-Einsatz" erhalten. Die Waffen dürfen mit scharfer Munition eingesetzt werden, so Sachartschenko.

"Die Polizei darf nun Schusswaffen mit sich tragen und wird diese im Zusammenhang mit dem Gesetz der Ukraine verwenden", so Sachartschenko.

Die englischsprachige Zeitung Kyiv Post bezifferte die Zahl der Toten auf 30.

Auch Journalisten scheinen vor den Snipern nicht sicher zu sein.

Auf dem Maidan scheint sich die Lage weiter verschärfen:

Die EU-Außenminister wollen heute nur Kriterien festsetzen, wer unter die Ukraine-Sanktionen der EU fallen soll. Die Festlegung auf konkrete Namen der Betroffenen soll erst danach erfolgen, heißt es in EU-Ratskreisen. Geplant ist außerdem nur eine politische Entscheidung und noch kein Rechtstext.

Im Parlament geht der Protest offenbar weiter:

Österreichische Unternehmen erwägen angesichts der politischen Turbulenzen den Rückzug vom dortigen Markt. Die Lage in dem osteuropäischen Land sei äußert angespannt und auch das Wirtschaftsleben komme zum Erliegen, sagt der stellvertretende österreichische Wirtschaftsdelegierte in Kiew, Siegfried Weidlich, der APA.

Protest in Sotschi: Ukrainische Skifahrerin Bogdana Matsotska: "Aus Solidarität mit den Kämpfern auf den Barrikaden des Maidan-Platzes und aus Protest gegen die kriminellen Aktionen gegen die Demonstranten und gegen die Verantwortungslosigkeit des Präsidenten und seiner Lakaien-Regierung ziehen wir unsere weitere Teilnahme an den Olympischen Spielen in Sotschi zurück."

Großbritanniens Europaminister David Liddington hat den ukrainischen Botschafter in London, Wladimir Khandogiy, zu sich zitiert. Liddington soll deutlich gemacht haben, dass das Eingreifen gegen friedliche Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz nicht akzeptabel sei.

Aus dem Entwurf für die Abschlusserklärung des Sondertreffens der EU-Außenminister in Brüssel geht hervor, dass ein Waffenembargo zu den gewählten Maßnahmen zählt. Außerdem soll das Angebot des Assoziierungsabkommens erhalten bleiben.

Die EU-Nachbarländer der Ukraine bereiten sich auf einen möglichen Flüchtlingsstrom vor. Rumänien, Polen, Ungarn und die Slowakei erklären sich bereit, im Notfall Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufzunehmen.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich eingeschaltet. Laut ihrem Regierungssprecher Steffen Seibert hat sie mit Janukowitsch Donnerstagvormittag telefoniert. Merkel habe die Eskalationen scharf verurteilt, erklärt Seibert. Janukowitsch solle demnach "dringend" einlenken. Alle Seiten müssten unverzüglich von Gewalt Abstand nehmen und die vereinbarte Waffenruhe umsetzen, forderte Merkel. Die Hauptverantwortung dafür liege bei der Staatsführung."Nur Gespräche mit schnellen, greifbaren Ergebnissen bei Regierungsbildung und Verfassungsreform bieten die Chance zu einer nachhaltigen Lösung des Konflikts".

Die Regierungschefin habe die Bereitschaft der EU, Deutschlands und weiterer Partner erklärt, Gespräche von Regierung und Opposition zu unterstützen. Sie habe Janukowitsch dringend geraten, dieses Angebot anzunehmen. Jedes Spiel auf Zeit werde den Konflikt weiter anheizen und berge unabsehbare Risiken.

Laut russischen Medien sollen die Banken in Kiew demnächst schließen. Das würde den drohenden Ausnahmezustand weiter verschärfen.

Die Novaya Gazeta berichtet von Lynchjustiz der Oppositionellen: Auf dem Kreschtschatik, der Prachtstraße nahe des Maidan, hätten Demonstranten einige Tituschki - also von der Regierung bezahlte Schlägertrupps - in Gewahrsam genommen und Selbstjustiz verübt.

In Kiew herrscht Benzin-Panik, schreibt das russische Blatt Novaya Gazeta - eines der letzten unabhängig berichtenden Medien in Russland. Mann lasse keine Lkw mehr zu den Tankstellen, die Tankstellen selbst würden großflächig geschlossen. Der Grund, recht simpel: Man will verhindern, dass Oppositionelle zu Benzin für Molotwococktails kommen.

Interfax vermeldet indes, dass die Gespräche zwischen Präsident Janukowitsch und dem EUAußenminister-Trio nach wie vor andauern; das Ergebnis ist offen. Einen Rücktritt Janukowitschs erwartet heute - noch - niemand.

Die EU überlegt neben gezielten Sanktionen nun auch ein Waffenembargo gegen die Ukraine - so sieht es zumindest ein Entwurf für eine gemeinsame Erklärung der EU-Außenminister vor, die AFP vorliegt. Die EU-Außenminister beraten ab 15 Uhr in Brüssel über ihr weiteres Vorgehen.

Angesichts der sich verschlechternden Lage werde die EU "gezielte Maßnahmen gegen die Verantwortlichen für Gewalt und übermäßige Härte" verhängen, heißt es in dem Entwurf der Schlussfolgerungen, der an die Mitgliedstaaten verteilt wurde. "Gleichzeitig haben die Mitgliedstaaten beschlossen, ein Waffenembargo und ein (Einfuhr-)Verbot für Ausrüstungsgegenstände in Kraft zu setzen, die für innere Repression benutzt werden", heißt es in dem Text weiter.

Glaubt man den sozialen Medien, so steht Kiew eine Abschottung bevor: Marina Weisband, einst Geschäftsführerin der deutschen Piraten und in der Ukraine geboren, meldet, dass die Brücken in die Stadt geschlossen werden sollen; zudem sei geplant, den Internetzugang einzuschränken - Ausnahemzustand also. Passiert dies, so wollen die Maidan-Demonstranten Journalisten ihre Satellitenverbindung zur Verfügung stellen.

ÖVP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner schließt bei EU-Sanktionen gegen die Ukraine "Gegenüberlegungen gerade im Gasbereich" nicht aus. De facto gehe ein Großteil der Gaslieferungen aus Russland durch die Ukraine. "Ich nehme aber an, dass es auch im Interesse der Ukraine ist, dass hier keinerlei Störungen vorliegen", so Mitterlehner nach dem EU-Wettbewerbsrat in Brüssel.

"Das könnte ja auch die Wirtschaftsland der Ukraine und die finanzielle Situation nochmals negativ beeinflussen", sagt Mitterlehner. "Ich sage das im Konjunktiv. Weil ich mir das nicht vorstellen kann. Sollte diese Diskussion auftauchen, ist Österreich aufgrund der Speichersituation und des Reverse Flow als Konsequenz aus der Gaskrise 2009 auf jeden Fall gut aufgestellt".

Auf politischer Ebene müsse mit dem Faktor Russland als wichtiger Punkt in der Gesamtregion auch intensiv verhandelt werden, um eine politische Lösung zu erreichen, so der Wirtschaftsminister.

Laut ORF-Korrespondentin ist in der Eingangshalle der Hotel Ukraina am Maidan ein provisorisches Krankenlager eingerichtet worden. In dem Hotel halten sich auch viele Journalisten aus dem Ausland auf.

Oppositionspolitiker Vitali Klitschko hat Janukowitsch einen Angriff auf das eigene Volk vorgeworfen. „Die Regierung hat vor den Augen der gesamten Welt zu blutigen Provokationen gegriffen“, teilt der Ex-Boxweltmeister via Aussendung mit.

"Bewaffnete Verbrecher wurden auf die Straßen gelassen, um Menschen zu verprügeln."


Er fordert eine Sondersitzung des Parlaments. Zudem müsse Präsident Viktor Janukowitsch umgehende Neuwahlen ausrufen. „Das ist jetzt der einzige Ausweg, die Gewalt zu stoppen“, so Klitschko.

Janukowitschs Position scheint zu wackeln: Der Bürgermeister von Kiew, Wladimir Makeenko, ist aus der Regierungspartei ausgetreten.

"Die heutigen Ereignisse in den Straßen der Ukraine sind eine Tragödie für das gesamte Volk."

Zehn Abgeordnete haben außerdem bekanntgegeben, dass sie den Regierungskurs nicht weiter unterstützen. Sie wollen gegen 14 Uhr eine Erklärung abgeben. Einige sprechen sich für eine Beteiligung der Opposition an der Macht aus.

Gegen 14Uhr wollen sich die EU-Außenminister in Brüssel treffen: Einreisesperren und das Einfrieren von Konten stehen zur Diskussion. Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch und seine Familie sollen noch nicht betroffen sein, um ihn nicht zu sehr in die Enge zu treiben – das berichtete das Ö1-Morgenjournal.

Die Berichterstattung könnte demnächst erschwert werden.

Für den russischen Außenminister Lawrow sind die angekündigten EU-Sanktionen "Erpressung".

Der Einsatz von Schusswaffen spreche eindeutig für einen gewaltsamen Staatsstreich, sagt Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch russischen Agenturen über die Regierungsgegner in Kiew.

Auf Youtube findet man mittlerweile dutzende Videos von den Angriffen - hier etwa eines, auf dem man sieht, wie Oppositionelle beschossen werden; die Bilder sind mehr als verstörend.

Mittlerweile ist teils von bis zu 35 Toten die Rede, der ukarinische Sender Channel 5 spricht gar von 50 Opfern - allerdings gibt es bisher keine Bestätigung für diese Angaben. Nach Aussage eines Mediziners seien allein am Maidan 13 Menschen getötet worden; „jeder wurde mit einer einzigen Kugel erschossen“, sagte der Arzt Dmitri Kaschin am Donnerstag der russischen Agentur Interfax.

Auch die renommierte Medizin-Professorin Olga Bogomolez betonte, offenbar seien Scharfschützen auf der Jagd nach Regierungsgegnern. Das Innenministerium sprach von mindestens einem getöteten und 29 verletzten Polizisten.

Die Hoffnung auf eine politische Lösung des Konflikts existiert noch. Wie die Zeit berichtet, soll es um 14 Uhr zu einer Krisensitzung des Parlaments kommen. Im Vorfeld haben Oppositionelle alle Mandatare dazu aufgerufen, für den Rücktritt Janukowitschs zu stimmen; Abgeordnete der Regierungspartei haben sich indessen für eine Beteiligung der Opposition an der Macht ausgesprochen.

So solle aus den Reihen der Regierungsgegner das einflussreiche Amt des Parlamentspräsidenten besetzt werden, teilte der frühere Vizeregierungschef Sergej Tigipko am Donnerstag stellvertretend über Facebook mit. Zudem müsse die Regierung umgebildet werden. Der neue Ministerpräsident müsse die Unterstützung aller Fraktionen im Parlament haben.

Auch eine eine Untersuchungskommission soll es geben, die die Gewalttaten aufklärt - und innerhalb der regierenden Partei der Regionen von Präsident Viktor Janukowitsch sei eine Anti-Krisen-Gruppe geschaffen worden.

Die Frage, wer auf wen schießt, bleibt: Die Regierung hat der Opposition nun ganz offen vorgeworfen, sie habe nur zum Schein und zur Vorbereitung neuer Angriffe einem Gewaltverzicht zugestimmt. „Das waren nur Manöver“, teilte Janukowitschs Kanzlei mit. „Alle Versuche der Behörden zu einem Dialog und zu einer friedlichen Lösung des Konflikts wurden von den Militanten ignoriert“, hieß es.

Und weiter: Die Radikalen hätten tödliche Waffen eingesetzt, auch Vorwürfe, sie hätten sich aus staatlichen Arsenalen bedient, wurden laut - Bilder von bewaffneten Oppositionellen bestätigen dies (siehe oben). In den Reihen der Sicherheitskräfte gebe es mittlerweile Dutzende Tote und Verletzte - Beobachter hatten bislang nur über Tote aus den Reihen der Oppositionellen berichtet. Auf TV-Bildern sollen zudem staatliche Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren zu sehen sein.

Hier eine Karte von Kiev - jene Plätze, an denen gekämpft wird, liegen sehr nahe beinander. Der Maidan ist der zentrale Platz der ukrainischen Haupstadt, dort halten sich seit Wochen die Demonstranten in einem Zeltlager auf - das Hotel Ukraina, in dem heute die ersten Toten gefunden worden sind, grenzt an den Platz. Ebenso wie die Institutskaja-Straße, von wo derzeit Meldungen über weitere Gefechte kommen.

Das ukrainische Präsidialamt hat laut Reuters vermeldet, dass die Demonstranten Sniper eingesetzt hätten - was allerdings nicht erklärt, warum hauptsächlich Aktivisten mit tödlichen Schusswunden aufgefunden worden sind. Laut Administration seien bei den neuen Auseinandersetzungen auch "dutzende Polizisten" zu Tode gekommen.

Daneben hat Präsidialamtschef Kljujew die EU mit Nachdruck vor Strafmaßnahmen gegen die Führung in Kiew gewarnt: "Sanktionen würden die Situation verschärfen, sie wären Öl ins Feuer", so Kljujew . "Einseitige Schritte" würden die frühere Sowjetrepublik vor eine Zerreißprobe stellen, warnte er. Um 15 Uhr treffen sich heute die EU-Außenminister, um über Sanktionen finanzieller Natur und über Visabeschränkungen zu beraten.

Kljujew ist ein enger Vertrauter des umstrittenen Präsidenten, er wäre möglicherweise auch selbst von finanziellen Maßnahmen betroffen - er besitzt mit seinem Bruder Serhij die Wiener Slav AG und gilt als einer jener "Oligarchen", die mit Kontosperren getroffen werden sollen, berichtet die APA. Für solche Sperren haben sich Finanzstaatssekretärin Sonja Steßl und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner ausgesprochen.

Auf Twitter wird indes vermeldet, dass die der Chef der Kiewer Metro - sie ist seit gestern gesperrt - den U-Bahn-Betrieb wieder aufnehmen will, aber daran gehindert werde - und zwar vom Geheimdienst. Er drohe nun damit, sein Amt zurückzulegen.

Wir haben Bilder aus Kiew gesammelt, um die Lage vor Ort zu zeigen - hier die Slideshow:

Der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedew hat sich zur Lage in Kiew geäußert. Er fordert die Verantwortlichen in Kiew auf, die Bevölkerung zu schützen - die Russen als Partner könnten ihre Verpflichtungen nur erfüllen, wenn die Regierung effektiv und auch legitimiert sei. Ratschläge erteilen will der Kreml nicht - Dmitrij Peskow, Sprecher des Präsidenten, ließ ausrichten, dass man den ukrainischen Kollegen nicht dreinreden wolle.

Die drei EU-Delegierten sind doch mit dem ukrainischen Präsidenten zusammengetroffen, berichten nun mehrere Agenturen. Die drei Außenminister aus Deutschland, Polen und Frankreich führen nun Gespräche im Kiewer Präsidentamt mit Viktor Janukowitsch. Das teilte dessen Beraterin Anna German am Donnerstag der Agentur Interfax mit.

Das Präsidentenamt ist von schwer bewaffneten Polizeieinheiten abgeriegelt, nur wenige hundert Meter davon entfernt kam zu Straßenschlachten zwischen Polizei und Regierungsgegnern.

Reuters berichtet von mittlerweile 15 Toten - zudem wurde eben bekannt, dass mehrere ukrainische Olympiateilnehmer sich nach
Angaben des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) entschlossen haben, die Spiele in Sotschi wegen der Unruhen in ihrer
Heimat zu verlassen. Wie viele Athleten abreisen wollten, teilte das IOC noch nicht mit.

Die Bilder aus Kiew sind dramatisch - Leichen sind zu sehen, Verletzten werden verarztet. Von acht Toten allein im Hotel Ukraina ist die Rede - das Gebäude befindet sich am Rande des Maidan; es soll sich um getötete Aktivisten handeln. Journalisten vor Ort sprechen von Snipern, die die Schüsse abgegeben haben sollen:

Verwirrung herrscht um das Treffen zwischen den europäischen Außenministern und Präsident Janukowitsch: Während die Agenturen berichten, dass die Gespräche aus Sicherheitsgründen abgesagt würden, berichten Medien vor Ort, dass man sich doch trifft - die drei Politiker seien bereits bei Janukowitsch.

Reporter vor Ort berichten davon, dass die Lage aus dem Ruder gerät:

Die Meldungen aus Kiew überschlagen sich: Auf TV-Bildern fahren Krankenwagen auf den Maidan, es wird mittlerweile von mehreren Toten berichtet. Die EU-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski, die eigentlich Gespräche mit den Streitparteien führen wollten, verlassen Kiew - aus "Sicherheitsgründen".

Augenzeugen hatten zuvor von zehn Toten bei neuen Auseinandersetzungen in Kiew berichtet; ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters sah zehn Leichen auf dem Maidan. Sechs mit Tüchern bedeckte Tote seien am nordwestlichen Ende des Platzes und vier weitere an anderer Stelle zu sehen, berichtete Reuters-Fotograf Vasily Fedosenko.

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