Erste russische Hilfe erreicht Rebellen

Nach Tagen des diplomatischen Tauziehens rollen Moskaus Lkw in Lugansk ein. Kiew spricht von "Invasion".

Für den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ist es „ein eklatanter Bruch des Völkerrechts“, für Moskau dagegen nichts als eine längst überfällige Reaktion auf eine „sinn- und grundlose Blockade“: Freitagmorgen schuf Russland – wie schon so oft im Konflikt in der Ostukraine – vollendete Tatsachen. Die ersten 100 der 260 Lkw mit Hilfsgütern, die seit mehr als einer Woche an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine, auf die Weiterfahrt gewartet hatten, setzten sich in Bewegung und rollten ins Nachbarland. Noch am frühen Nachmittag meldeten russische Nachrichtenagenturen, dass die ersten Wagen die von den pro-russischen Rebellen kontrollierte, aber schwer umkämpfte Stadt Lugansk erreicht hätten.

Wie und auf welche Weise die Lieferungen tatsächlich kontrolliert wurden, blieb bis zuletzt unklar. Reporter westlicher Medien berichteten, die Wagen seien von Vertretern der pro-russischen Milizen gesteuert und begleitet worden. Russland sprach von ausführlichen Kontrollen durch das Rote Kreuz sowie durch Zoll- und Grenzschutzbeamte, die in den vergangenen Tagen absolviert worden seien. Das Rote Kreuz widersprach dieser Darstellung zwar nicht, erklärte aber, seine Mitarbeiter seien „in keiner Weise an dem Konvoi beteiligt“.

Das aber war die Voraussetzung für die ukrainische Regierung, um den umstrittenen Transport auf ihrem Territorium zuzulassen. Schließlich befürchtet man weitere Waffenlieferungen an die Rebellen, und die Vorbereitung einer militärischen Intervention Russlands. Nur das Rote Kreuz, so hatte Kiew deutlich gemacht, dürfe die Lkw an ihr Ziel, also die von den Rebellen gehaltenen Städte, bringen. Entsprechend groß war am Freitag die Empörung in Kiew. Der Chef des ukrainischen Geheimdienstes, Valentin Naliwajtschenko, sprach von einer „zynischen Invasion unter dem Deckmantel des Roten Kreuzes“, versicherte zugleich aber, dass die Ukraine keinerlei Gewalt gegen den Transport einsetzen werde.
Moskau hatte allerdings schon zuvor deutlich gemacht, dass man jegliche gegen den Transport gerichtete Maßnahmen nicht akzeptieren würde. Wenn der Konvoi attackiert werde, drohte das Außenministerium, werde man „direkt eingreifen“.

Wegen offener Sicherheitsfragen hatte der Konvoi tagelang an der Grenze gewartet. Die rund 280 Lastwagen haben nach Angaben Moskaus 1.800 Tonnen Hilfsgüter für die Bevölkerung der Ostukraine geladen. Die Kolonne war am 12. August in Moskau losgefahren und hatte danach tagelang an der Grenze gestanden.

Kiew bestätigt Grenzüberquerung

Auch Kiew hat inzwischen bestätigt, dass erste russische Lastwagen auf ukrainisches Staatsgebiet gefahren sind. "Die Kolonne hat eigenmächtig mit der Fahrt begonnen, ohne Erlaubnis der ukrainischen Seite und ohne Begleitung des Roten Kreuzes", sagte ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter der ukrainischen Regierung. Die Lastwagen stünden derzeit auf ukrainischem Territorium am Grenzübergang Iswarino, der von prorussischen Separatisten kontrolliert werde. Eine Sprecherin des Roten Kreuzes sagte der Agentur Interfax, die Organisation sei "kein Teil dieser Fahrzeugkolonne".

Russland hatte ursprünglich vereinbart, die Leitung des Konvois dem Roten Kreuz zu übergeben. Die Organisation wollte aber nicht ohne Sicherheitsgarantie der Ukraine losfahren. Diese verweigerte die Führung in Kiew aber mit Hinweis darauf, dass das Gebiet zwischen der Grenze und Lugansk von Aufständischen kontrolliert werde.

Separatisten schossen Hubschrauber ab

Prorussische Separatisten haben nach Angaben Kiews in der Nähe der ostukrainischen Stadt Lugansk einen Armeehubschrauber abgeschossen. Bei dem Angriff am Mittwoch sei die Besatzung des Helikopters vom Typ Mi-24 getötet worden, teilte Armeesprecher Andrej Lyssenko in Kiew am Freitag mit. Der Hubschrauber wurde demnach über Georgiwka etwa 20 Kilometer südlich von Lugansk abgeschossen. Ebenfalls am Mittwoch war ein Militärflugzeug der ukrainischen Armee nahe Lugansk abgeschossen worden. Die Städte Luhansk und Donezk sind seit Wochen heftig umkämpft zwischen den Separatisten und den Regierungstruppen.

Merkel versucht zu vermitteln

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel reist am Samstag in die Ukraine. Sie wertete ihren Besuch laut ihrem Sprecher am Freitag als "ein Zeichen der Unterstützung in schwierigen Zeiten". Deutschland forderte in diesem Zusammenhang erneut Russlands Präsidenten Wladimir Putin auf, "eine wirkungsvolle Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze" sicherzustellen, um ein Einsickern von Menschen und Ausrüstung auf Seiten der prorussischen Separatisten in der Ostukraine zu verhindern. Es müsse von wiederholten Grenzverletzungen ausgegangen werden, sagte dazu der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer.

Merkel will in Kiew unter anderem den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko treffen. Zudem ist eine Zusammenkunft mit Bürgermeistern ukrainischer Städte aus unterschiedlichen Regionen des Landes geplant, darunter voraussichtlich aus Kiew, Lemberg (Lwiw) und Donezk. Auch ein Vertreter der Minderheit der Krimtataren dürfte an dem Gespräch teilnehmen.

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